The networked mode – (anti)social media?

Bezogen auf den Umfang meines persönlichen Wirkens in den sozialen Medien, der durchaus nicht gering ist, müsste man annehmen, dass ich mich mit manchen Eigenheiten mittlerweile angefreundet hätte; vielleicht aber zumindest meinen Frieden gemacht. Au contraire, liebe Leser… au contraire! Wie im letzten Post bereits im Nebensatz angeklungen sein mag, ist der Gebrauch solcher Netzwerke für mich stets mit ambivalenten Gefühlen versehen. Einerseits versuche ich – so wie jede Oberflächenpolierte Influencer-Blödfliege auch – meine Reichweite zu steigern, indem ich meine Posts zum Beispiel auf Facebook teile, obwohl ich weiß, dass die Zuckerberg’sche Aufregungs- und Beleidigungsschleuder das Letzte ist und ich damit auch noch einen Anbieter unterstütze, der echte Partizipation und nachhaltiges Handeln mit Füßen tritt. Ich erweise der Demokratie also gerade einen Bärendienst. Andererseits wüsste ich nicht, wie ich sonst an mehr potentielle Leser kommen sollte, um Ideen für mehr Partizipation und bewussteren Umgang mit der eigenen Existenz zu streuen. Tolles, Dilemma, aber für SEO bin ich halt zu blöd. Oder zu wenig Verkäuferseele.

Folgen wir den Meta-Überlegungen zu Netzwerken, die ich im letzten Post angestellt habe, spiegelt mein Bemühen um Reichweite den Wunsch wieder, die Emergenz von Interaktion, also die Entstehung von Punktualisierungen anzuregen, zu beschleunigen, und bestenfalls sogar zu lenken. Das ist grundsätzlich weder unmöglich noch falsch. Andernfalls könnte ich zum Beispiel als Lehrer einpacken, weil alle Versuche der Lern-Ermöglichung für meine SuS bereits im Kern sinnlos wären. Aber dazu in einem anderen Post mehr. Indem ich also meine Sichtbarkeit steigere, vergrößere ich die Wahrscheinlichkeit der Konvergenz anderer Akteure mit mir, bzw. dem, was ich von mir preisgebe. Das Prinzip kennen wir auch aus der Werbung – in unnachahmlicher Weise vom „Seitenbacher-Mann“ auf die Spitze getrieben. Oder anders gesagt: man kann es auch übertreiben. Denn natürlich ist es möglich, dass ein bewusster Versuch, Konvergenz zu erzeugen als unerwünschtes Eindringen in die so genannte Intime Zone oder die Privatsphäre interpretiert und entsprechend unterbunden oder gar sanktioniert wird.

Dabei entsteht das Problem, dass speziell in der digitalen Kommunikation, die einerseits oft anonym, vor allem aber asynchron abläuft, die Wahrnehmung dieser Begriffe verschoben sein kann, oder aber diese von manchen sogar als schlicht irrelevant betrachtet werden, weil ja zumeist keine Face-to-Face-Gespräche stattfinden. Dieser soziale Aspekt von Kommunikation, den unter anderem Paul Watzlawick in seinem 2., 4. und 5. Axiom sehr präzise beschrieben hat, kann dabei vollkommen entkoppelt werden. Die Folgen können wir – höchst eindrucksvoll – in den Kommentarspalten auf Facebook betrachten. Und weil nur einen Stein werfen darf, wer ohne Sünde ist, sei hier angemerkt: auch meine Contenance ist gelegentlich erschöpft und ich begebe mich auf das televerbale Schlachtfeld des Nazi- und Querdenker-Bashings. Wenn man diese Knalltüten auf die richtige Art triggert, kann man sie danach sperren lassen. Jeder braucht halt ein Hobby und gelegentlich ist das für ein Stündchen mal ganz unterhaltsam. Mein Druck steigt dabei mittlerweile kaum noch…

Es ist jedoch diese – zumeist unbewusst vollzogene – Entkopplung von Kommunikation und echter Beziehungsarbeit (die unteilbarer Aspekt der Face-to-Face-Kommunikation ist), welche Phänomene wie Amok laufende Foren-Trolle und Influencer (ich sehe beides auf ungefähr der gleichen Evolutionsstufe) erst möglich macht. Indem ich mich beim Sehen, Hören, Schreiben, Posten in den (Anti)sozialen Medien mit meinen Äußerungen nur selbstreferentiell auf meine individuellen derzeitigen Emotionen beziehen kann, weil mir durch die Asynchronizität die tatsächliche Gemütslage meines Gegenübers verborgen bleibt, sitze ich in einer hausgemachten Echokammer. Dabei verkümmert einer der Hauptaspekte menschlichen Miteinanders vollkommen: die Empathie! Im digitalen Netzwerk werden Menschen sehr schnell zu Machiavellisten: der Zweck (andere zu treffen, herabzusetzen, die eigene Position zu stärken, etc.) heiligt die Mittel (des Internet-Trolls)! Und damit ist die Idee des Netzwerkes als Modell für soziale Beziehungen zur Disposition gestellt. Möchte man daran festhalten, muss man – mit Resignation – Soziale Medien als zumindest in nicht unerheblichen Teilen dysfunktionale Netzwerke betrachten. Ein weiteres Problem dabei ist, dass die, beim beschriebenen Mechanismus zu Tage tretenden Affekte der Protagonisten nur schwer zu kontrollieren sind.

Diesen Mechanismus der individuellen, aber auch der Kleingruppen-Selbstreferentialität bespielen die Apologeten der Anti-Demokratie (im Moment vor allem Rechte Gruppen) virtuos. Ängste werden getriggert und selbst ansonsten eher nicht diesem politischen Spektrum zuzuordnende Menschen teilen und liken übelste Propaganda, und posten auch noch ihren – leider allzu oft unreflektierten – Senf dazu, ohne zu verstehen, dass sie gerade hinterhältig manipuliert und instrumentalisiert werden, um eine Agenda zu betreiben, die ihnen am Ende noch mehr Schaden zufügen wird. Sogenannte Kleinbürger, welche die AfD als Besitzstandswahrer wahrnehmen und sie deshalb der SPD oder den Linken vorziehen (soziologisch gleichen sich die beiden Wählerklientel ziemlich!), würden ihr wahrhaft blaues Wunder erleben, wenn diese neoliberale Agenda zum Tragen käme. Aber dazu soll hier nichts weiter gesagt werden, es kann ja jeder das Wahlprogramm lesen – wenngleich ich befürchte, dass das vielen zu mühsam ist…

Was also in den (anti)sozialen Medien passiert ist, dass der Meta-Begriff „Netzwerk“ seiner Kommunikationskomponente „Empathie“ beraubt und stattdessen auf Ereiferung getrimmt wird. Insbesondere der Zeitaspekt spielt hierbei eine wichtige Rolle; die Ausbildung einer Punktualisierung braucht, wie letzthin gesagt, Zeit und bewusste Pflege; also ab einem bestimmten Zeitpunkt ein aktives Investment der Akteure in deren Erhalt. In ein Ereiferungs- und Wut-Netzwerk hingegen muss ich nicht mehr investieren, als ein paar Mikrogramm Adrenalin und Cortisol, sowie ein paar Mausklicks – und fertig ist der Hass! Ich wünsche einen schönen Tag – und die Muse, nachzudenken, bevor man sich äußert.

  • Watzlawick, P.; Beavin Bavelas, J.; Jackson, D. 2011: Pragmatics of Human Communiaction. New York: W. W. Norton & Company Inc.
  • Machiavelli, N. 2001: Der Fürst. Frankfurt/Main: Insel Verlag.

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