Symbolik für Anfänger – Part 2

Ich hatte gestern über die Synonymisierung von Fortschritt und Konsum gesprochen, welche das Werbedauerfeuer der letzten 100 Jahre in unseren Köpfen hat entstehen lassen; und von der wir uns nur sehr schwer lösen können. Was im Privatbereich gilt (und nebenbei desaströse Auswirkungen auf das hat, was wir „öffentliche Meinung“ nennen, doch dazu ein anderes Mal mehr), findet aber natürlich im Kontext der Arbeitswelt genauso statt. Ein ZON-Artikel im letzten Sommer (sorry, Paywall) titelte denn auch so schön: „Ich habe einen Bullshitjob in einer Bullshitbranche.“. Da ging es eigentlich darum, dem Begriff Systemrelevanz und dem für manche Menschen daraus resultierenden Gefühl der Nutzlosigkeit ihrer eigenen Tätigkeit nachzuspüren. Man könnte, nicht ganz zu Unrecht sagen, dass ein Job, der einem Spaß macht und Erfüllung bringt purer Luxus ist, und das Broterwerb nun mal mit negativen Dingen zu tun hat, wie etwa, irgendwann irgendwo sein zu müssen, um dort irgendwas tun zu müssen. Oder wir reden weiter über Zeichen und ihre Wirkung.

Wir Menschen lassen uns gerne von einem besonderen Zeichen blenden: man nennt dieses gemeinhin Geld. Den Besitz einer, eher willkürlich definierten Mindestmenge davon bezeichnen wir als Wohlstand. Aber was ist Geld eigentlich? Es ist das Versprechen, Waren im Gegenwert der gegebenen Summe beziehen zu können. Geld ist damit ein Symbol für Kaufkraft. Entstanden ist es, weil es irgendwann zu mühsam wurde, mit einem Korb Hühnereier zum Schmied zu gehen, um den Pflug reparieren zu lassen. In einer komplexen Welt, wie unserer ist es als symbolisches Tauschmittel für Waren und Dienstleistungen einfacher zu handhaben, als Naturalien. Aber ist genauso manipulierbar, wie es manipulativ ist. Um die Manipulierbarkeit und das sinnlose Generieren von Fiat-Geld soll es hier nicht gehen. Sondern um den manipulativen Aspekt dieses Symbols.

Wir neigen, dem Calvinismus sei hier zumindest teilweise Dank immer noch dazu, den Wert einer Person an der Höhe ihres Einkommens festmachen zu wollen. Insbesondere unter Menschen, die sich selbst als Leistungsträger sehen wollen, ist derlei Gang und Gäbe. Unter ethischen Aspekten ist das natürlich genauso Kokolores wie die finanzmathematische Berechnung des Wertes eines Menschenlebens. Passiert trotzdem. So wie wir Konsum mit Fortschritt verwechseln, missinterpretieren wir ein hohes Salär als Indikator für große Leistung; oder, noch schlimmer, als Hinweis auf den Wert des Empfängers für die Gesellschaft. Das Problem ist, dass wir Menschen allesamt eine mehr oder weniger starke, narzisstische Ader haben und derlei inhaltsloses Geschwätz nur zu gern als Wahrheit akzeptieren. Was dazu führt, dass auch die unzulässige Synonymisierung von Kaufkraft und gesellschaftlichem Wert uns in vielerlei Hinsicht funktional beeinflusst.

Systemtheoretisch betrachtet reproduzieren sich solche mentalen Landkarten innerhalb jeder komplexen Organisation von Generation zu Generation, weil Machtstrukturen der landläufigen Annahme nach für das Gefüge jeder Organisation von Bedeutung sind und sich Macht am einfachsten durch das Symbol Geld ausdrücken lässt. Ein dabei gemachter, äußerst fataler Fehlschluss ist, dass man wiederum Symbole für die Entscheidung heranzieht, wer Machtpositionen besetzen darf; nämlich Papierqualifikationen wie Zeugnisse, Urkunden, etc., die, dem gesellschaftlichen Konsens folgend ein bestimmtes Maß an Können und Wissen repräsentieren sollen. Weil man an die ikonische Messbarkeit indexikalisch kodierter Kompetenzen glaubt. Sei’s drum. Es gibt da dieses Meme im Internet, dass man auch mit Hochschulabschluss dumm wie drei Meter Feldweg sein kann. Bezogen auf tatsächlich messbare Kompetenzen (die gibt es) ist das Blödsinn, denn jemand, der ein entsprechendes Zeugnis erworben hat, hat damit auch bewiesen, dass er die dort beurteilten Kompetenzen zumindest bis zu einem gewissen Grad beherrscht / besitzt.

Was ist jedoch so gut wie nie Bestandteil solcher Prüfungen? Menschliche Qualitäten, Kreativität, Improvisationstalent, Stresstoleranz, Führungsverhalten etc. werden, wenn überhaupt, nur implizit abgebildet. Was dazu führt, dass ich mir mit einer rein symbolisch motivierten (also an Hand der Papierlage getroffenen) Entscheidung ganz leicht einen Soziopathen auf eine Schlüsselposition setzen kann. Also stimmt das Meme doch wenigstens ein bisschen. Jetzt rufen, nicht ganz zu unrecht, die Personaler „Aber dafür gibt’s doch Assessment-Center und Vorstellungsgespräch!“. Ihr wisst aber schon, dass Soziopathen ganz fantastische Schauspieler sein können und eure Menschenkenntnis nie so gut ist, wie ihr glaubt…? Noch immer verlässt man sich nämlich viel zu gerne auf sein tolles Näschen, anstatt auf psychologisch und sozialwissenschaftlich recht gut validierte Messinstrumente. Na ja, das muss jeder selbst wissen.

Damit man mich bitte nicht missversteht: es gibt jede Menge gute Führungspersonen, die sich tatsächlich um ihre Mitarbeiter kümmern, Entwicklungspfade unterstützen, bei Krisen moderierend und tolerierend wirken, statt fordernd und sanktionierend. Die mit der Zeit gehen und auf Äußerlichkeiten nicht so viel Wert legen. Und trotzdem – für jede gute Führungsperson gibt es nach meiner Erfahrung eine toxische. Toxisch in dem Sinne, dass sie durch Druck zu führen versucht und mehr Wert auf Symbolik legt, denn auf das, was tatsächlich getan / geleistet wird. Und natürlich kommt dann auch noch das gute alte „net g’schennt isch g’nug g’lobt!“ zum Tragen. Wenn ich so was höre, kann ich nicht annähernd so viel fressen, wie ich kotzen möchte! Was aber für Führungspersonen gilt, möchte ich für die „lieben“ Kollegen genauso verstanden wissen. Soziales Trittbrettfahren, Mobbing, Intrigen, Lorbeeren für anderer Leute Arbeit einstreichen; all dass sind auch auf der gleichen ebene leider keine Unbekannten. Das sind dann die „Kleiderständer“ von denen ich gestern sprach.

Das ich mit diesen Beobachtungen nicht alleine stehe, also am Ende der Synonymisierung von vorzeigbarem Zertifikat und tatsächlicher Leistung für die jeweilige Organisation, zeigt die weiter oben erwähnte Feststellung, „Ich habe einen Bullshitjob in einer Bullshitbranche.“ Denn zu viel Toxizität am Arbeitsplatz tötet letztlich die Motivation, die Loyalität und damit die gute Arbeit! Also z. B. solche Dinge wie zu viele talentlose Selbstdarsteller, die ihre Arbeit auf andere abwälzen, und dafür beim Boss auch noch die Anerkennung bekommen. Zu wenig Freiräume und zu viele Restriktionen, die Flexibilität und Kreativität killen. Der Kampf um Ressourcen. Vollkommen unterschiedliche Zielvorstellungen und Maßgaben. Und noch manches mehr.

Ich beginne gerade meine Prioritäten neu zu sortieren. Und ich muss leider feststellen – ich bin im Moment nicht zufrieden. Mir ist bewusst, dass das zum Teil an Rahmenbedingungen liegt, auf die keiner im Hause einen Einfluss hat. Auch tradierte Handlungsweisen, die es in jeder komplexen Organisation gibt spielen eine Rolle. Bekannterweise sterben schlechte Angewohnheiten langsam. Und natürlich wirft einem niemand Geld einfach so nach, um „mal was auszuprobieren“; auch, wenn es nur ein Symbol ist. Am Ende des Tages brauchen alle was zu beißen auf dem Tisch, ein Dach über dem Kopf und was zum anziehen. Allright, bin ich absolut einverstanden mit. Aber wenigstens mal über „das machen wir schon immer so“ nachdenken wäre doch schon ganz schön. Ist nämlich immer noch der Satz, der weltweit die meisten Menschen umbringt – und vermutlich auch die meisten produktiven Mitarbeiter frühzeitig verscheucht… Wir werden sehen. Ich wünsche schon mal viele dicke, bunte Eier!

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