Ich habe in meinem letzten Post einen Nebensatz hingeworfen, der nach längerem Überdenken vermutlich einer Erläuterung bedarf: „…in dem die Äußerlichkeit der Dinge und deren Bedeutung dauernd miteinander verschmolzen werden, …„. Man merkt, dass ich mal wieder tiefer in das Thema Zeichenbedeutung eingestiegen bin. Aber Semiotik fasziniert mich, nicht nur des Berufes wegen, schon länger. Worauf ich damit hinweisen wollte, ist der Umstand, dass unser durchschnittlich konsum-kapitalistisches Verhalten uns allzu oft dazu bringt, den Inhalt mit der Verpackung zu verwechseln. Und das ist eine der stärksten Nachwirkungen des Jahrhunderts des Modernismus (des 20. Jahrhunderts): die teilweise unfassbare Wirksamkeit moderner Werbung!
Warum wollen Menschen jedes Jahr das neueste Smartphone? Weil sie dessen Leistung tatsächlich benötigen? Wenn man die Tatsache in Betracht zieht, dass das Phone als solches maximal so smart sein kann, wie sein Benutzer, kommen wir mit dieser Erklärung bei den weitaus meisten Menschen (leider) nicht sehr weit. Na gut; dann halt geplante Obsoleszenz? Physisch sicher nicht, denn abseits der üblichen Produktionsfehler-Wahrscheinlichkeit machen die meisten mobilen Endgeräte 3-4 Jahre täglichen Gebrauch selbst bei fest verdrahtetem Akku klaglos mit. Zumindest die Geräte, die ich im letzten Jahrzehnt hatte. Und die gehörten nicht zur Oberklasse. Psychisch jedoch schon eher. Denn natürlich wird in den hochglanzpolierten Anzeigen in jedwedem Medium geflissentlich verschwiegen, wie groß (oder eher klein) der Performance-Gewinn tatsächlich ausfällt, und für welche Nutzergruppen sich das tatsächlich lohnen könnte. Und weil auch die Redakteure der vielen Test-Portale sich dem Sirenen-Gesang des Fortschrittsversprechens nicht entziehen können, gibt es viel zu oft riesige Lobeshymnen auf marginale Entwicklungsschritte.
Fortschrittsversprechen. Da haben wir es. Das Movens Maximus unserer Zeit. Alles muss weiter gehen, alles muss besser werden; wobei besser dabei mit „schneller, höher, weiter, etc.“ synonymisiert wird. Doch ist ein performanteres Smartphone – oder irgendein anderes neues Tech-Gadget – tatsächlich Fortschritt? Führt es zu einer echten Verbesserung des menschlichen Daseins? Oder wird uns hier von der Werbung nicht vielmehr ein ziemlich dicker Bär aufgebunden? Denn wenn wir uns den aktuellen Zustand der Welt anschauen, der sich ziemlich gut mit einem einzigen Wort beschreiben lässt, darf man daran starke Zweifel hegen; dieses Wort lautet übrigens „RESSOURCENVERSCHWENDUNG“…
Ich will hier gar nicht anfangen, darüber zu diskutieren, dass echte Nachhaltigkeit, die unseren folgenden Generationen eine Zukunft schenken würde, vermutlich anders aussieht. Mir geht es um die Zeichen, welche unsere Zeit durchdringen und damit das Denken sehr vieler Menschen (un)nachhaltig beeinflussen. Denn natürlich arbeitet die Werbung mit den – von uns selbst – in diese Bilder hineininterpretierten Bedeutungsüberschüssen. Semiose, also (vereinfacht) die Entstehung von Zeichenbedeutungen im Interpretanten (uns) ist von vielen Faktoren abhängig. Gleich ist aber fast allen Menschen, aus fast allen Kulturkreisen eines: das Streben nach mehr oder weniger bescheidenem Wohlstand; weil dieser uns ein Gefühl der Sicherheit vor den schlimmsten existenziellen Sorgen und Ängsten gibt. Und im Kern ist das ja auch wahr.
Da Konsumkapitalismus aber das oben beschrieene „schneller, höher, weiter, etc.“ braucht, weil er sonst zusammenbricht, begann man im Zuge seines Wachstums im 20. Jahrhundert mittels des, damals noch neuen Mediums Werbung, dieses Mantra in die Köpfe aller Menschen zu transportieren – bis zu dem Punkt, dass wir alle es so sehr verinnerlicht haben, dass wir Konsum mit Fortschritt verwechseln; und die Verpackung mit dem Inhalt. Oder noch besser: Dinge subjektiv mit einem Sinn füllen, den sie objektiv nicht haben. Wie das oben beschriebene jährlich neue Smartphone. Und bevor jetzt irgend jemand wieder anfängt, über moralinsauer erhobene Zeigefinger zu schwadronieren: ich selbst bin mehr als oft genug in diese Falle getappt, bevor ich erkennen durfte, wie grundlegend diese Synonymisierung von Konsum und Fortschritt auch mein Denken von Kindesbeinen an durchzieht. Doch wenn man genau sucht, ist da eigentlich keine Leere, die es zu füllen gilt.
Fortschritt als Begriff ist nicht begreifbar. Er verweist immer auf irgendwas (gutes?), dass (vielleicht?) in der Zukunft passiert. Fortschritt ist also Kontingenz (ein gedachter Raum von Möglichkeiten) in Reinform. Alles kann – nichts muss! Und dieser Raum voller gedachter Möglichkeiten war schon immer der Motor aller Entwicklungen, welche die Menschheit hervor gebracht hat. Doch seit unsere Gesellschaft mehr und mehr der oben beschriebenen konsumkapitalistischen Logik unterworfen wird, erzeugt allein der (sogar oft unbewusste) Gedanke an Fortschritt einen Sog auf uns alle; einen Sog in die Zukunft, der das Jetzt unvollkommen erscheinen lässt! Werbung bespielt diesen, sowieso schon vorhandenen Drang nach vorne jetzt schon so lange, dass es ihr ohne größeren Aufwand möglich ist, Begierden in uns zu wecken, die jedwedes realen Bedürfnisses entbehren. Das bedeutet, wir synonymisieren mittlerweile (unzulässigerweise) nicht nur Konsum und Fortschritt – wir wollen Konsum ALS Fortschritt…
Diese Gedanken sind weder neu, noch sind sie besonders originell. Aber sie müssen anscheinend immer wieder neu gedacht und kommuniziert werden. Was das mit der (meiner) Arbeitswelt zu tun hat, darüber rede ich schon sehr bald in Part 2. Bis dahin fröhliche Katharsis am Karfreitag…