Der verwirrte Spielleiter N°26 – Weekend Warriors

Ambivalenz ist ein Gefühl, dass ich aus mannigfaltigen Gründen gut kenne. Nachts mal aufzuwachen und sich zu fragen, welche Entscheidung nun die Richtige ist, eine Sache fortzuführen, obwohl man sich nicht sicher ist, dass einen das irgendwo hin bringt, ständig zwischen Polen hin- und hergerissen zu sein; wahrscheinlich ist das Meiste davon einfach nur typisch menschliche Fehlleistung, das macht die Intensität allerdings nicht unbedingt besser erträglich. Bezogen auf mein Berufsleben ist das der Normalzustand. Nun bin ich allerdings in letzter Zeit immer häufiger auf ein Phänomen gestoßen, dass ich bisher nicht kannte: mein Hobby N°1 – Pen’n’Paper – erlebt einen, vor allem von den sozialen Medien mitgetragenen Boom, den ich nie für möglich gehalten hätte.

In meiner Jugend war eine allzu intensive Beschäftigung mit dem Fantastischen die sichere Fahrkarte nach Nerdistan; zumindest in den Augen der Anderen. Heutzutage schreibt sich ja Hinz und Kunz gerne selbst zu, ein Nerd zu sein, weil es seit „The Big Bang Theory“ irgendwie hip geworden zu sein scheint. Hierzu eine Anmerkung: ich war seit mindestens 1989 zertifizierter Nerd, also 18 verf****e Jahre, bevor dieser Mist ins Fernsehen kam; schreibt euch also gefälligst hinter die Ohren, dass Nerd in meiner Jugend kein Ehrentitel war, sondern eine fremdattribuierte Pejoration. Ich habe mein Rollenspiel trotzdem geliebt und tue es noch heute.

Nun hat sich die Welt in den letzten 31 Jahren in mehr als einer Hinsicht ziemlich verändert und heute sind insbesondere D&D 5E oder sein Halbbruder Pathfinder ziemlich beliebt. Ich habe neulich sogar gesehen, dass man online einen Schreib-Workshop für die Abenteuer-Entwicklung kaufen kann. Und da war ich dann raus, denn wer SL sein möchte, ohne sich die notwendige Zeit nehmen zu können oder zu wollen, um das Geschichtenerzählen von Grund auf zu lernen, der/die sollte es – pardon, wenn ich das hier mal in aller Deutlichkeit sage – bleiben lassen. Inspiration kann man zwar nicht zwingen. Wohl aber kann man seine Fantasie anregen und seine Schreibfähigkeiten trainieren, ohne dazu einen albernen Ratgeber kaufen zu müssen. Denn wer das Netz durchsucht, findet tonnenweise Ideen und durchaus hochqualitative Ratschläge für lau. Zum Beispiel hier…

Ich möchte zugeben, dass ich den Boom zunächst witzig fand. Mittlerweile bin ich da etwas reservierter geworden. Nicht etwa, weil ich was gegen Newbees hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube jedoch, teilweise einen qualitativen Rückschritt hin zu mehr Wargaming und weniger Charakterplay ausmachen zu können. Bevor jetzt jemand wieder denkt, ich hätte etwas gegen Action im Pen’n’Paper: fragt meine Spieler. Deren Chars bekommen regelmäßig eine vor den Latz. Es darf nur nicht zum Selbstzweck geschehen, sondern soll ein Movens der Geschichte sein. Und da habe ich bei den Berichten der ganzen Weekend-Warrior-Zocker so meine Zweifel. Ich meine… Rollenspiel SOLL Eskapismus sein, es SOLL Spaß machen und es SOLL eine soziale Angelegenheit sein. Dann erfüllt es seinen Zweck. Nun ja, vielleicht bin ich einfach schon zu lange SL, um einfache Geschichten mit hohem Hack’n’Slay-Faktor noch mögen zu können. Zurück zum Ur-D&D mag ich auch aus anderen Gründen nicht gehen. Das hat mir damals schon keinen Spaß gemacht.

Ich habe mich schon immer gefragt, wieso man Kampfregeln so unfassbar kompliziert und langsam machen muss? Hier noch Modifikator für dies und dort noch eine Spezialfähigkeit, die nur diese Charakterklasse haben darf? Wozu? Um die Leute zum Teamplay zu zwingen? Kleiner Tipp vom Pädagogen: so funktioniert das nicht! Mein eigenes System ist sicher auch nicht der Weisheit letzter Schluss und weist, wenn ich die letzte Sitzung mal Revue passieren lasse noch so einige Balanceprobleme und andere Schwächen auf. Dennoch funktioniert es schnell, hart und dreckig, ohne dabei cineastische Stunts zu verhindern, wenn diese denn gewünscht sind – so wie Kampf im Rollenspiel halt sein soll. Wie in einem schönen Action-Flic.

D&D 5E jedoch kann seine Erbe (Chainmail und Ur-D&D) an vielen Stellen kaum verleugnen. Und dieses Erbe heißt Wargaming. Wenn es den Leuten denn Spaß macht, soll es mir Recht sein, mein Ding ist das allerdings nicht. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum ich mit dieser ganzen Publicity fremdele: die ganzen Newbees machen subjektiv mal eben 25 Jahre Entwicklung des Genres zunichte. Und dieses ganze „Ich-bin-jetzt-auch-ein-Nerd“-Gefasel entwertet irgendwie ein wenig meine persönlichen Jugenderfahrungen. Schwamm drüber. Ich mache einfach weiter mein Ding, Matt Mercer macht weiter sein Ding und die Firma, der das D&D-Franchise jetzt gehört, macht auch ihr Ding – und dabei jede Menge Kohle. Wo ist der Independent-Core meines Hobbies N°1 nur geblieben. Ich glaube, ich gehe den jetzt mal suchen. In diesem Sinne: always game on!

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