Erwachsen Bilden N°36 – Pädagokratie gefällig?

Nachdem wir heute Morgen Besuch von lieben Freunden gehabt hatten, ging ich vorhin eine Weile im Herbsbelaubten Waldpark spazieren. Ein paar Spuren des Sturms vom Donnerstag waren auch zu besichtigen. Das war mir allerdings eher Wumpe, denn ich ging mal wieder los, um den Kopf frei zu kriegen und ein paar Gedanken zu ordnen. Zuvor hatten wir nämlich, wie soll es auch anders sein, beim Brunchen über den Job gesprochen. Die liebe Freundin arbeitet im allgemeinbildenden Schulwesen und hat das gleiche Problem wie ich: es ist verdammt, schwer geeignetes Personal – also Lehrkräfte – zu finden! Und es ist noch viel schwerer, Leute zu finden die bleiben, weil so manche potentielle Lehrkraft mit den Arbeitsbedingungen so gar nicht zufrieden ist. Über das Thema der Arbeitszeit-Problematik hatte ich an anderer Stelle schon mal gesprochen; damit sind aber andere Problemzonen noch überhaupt nicht angesprochen.

Wie ich also ging, fragte ich mich, warum wir einen so großen Fachkräftemangel im Bildungswesen haben, und die Antwort, die ich gefunden habe, erscheint verblüffend einfach: weil Bildung und Erziehung zur Carework gerechnet werden, und Carework nach wie vor nicht den gesellschaftlichen Stellenwert hat, den sie eigentlich haben müsste. Schauen wir uns zunächst die Berufsfachschule an. Wenn ich Facharbeiter für die Auto-Industrie ausbilde, dann ist klar, dass die danach in einer Wertschöpfungskette eingesetzt werden, die zumindest gedanklich hoch transparent ist. Zu gewissen Stückkosten (SK) werden Automobile gebaut, die ich später für einen Preis (VK) an die Kunden bringen kann. In den Stückkosten sind Lohnkosten, Betriebskosten (für die Maschinen, Gebäude, Grundstücke, etc.), Aus- Fort- und Weiterbildungskosten, Abschreibungen für Anschaffungen, Rückstellungen für künftige Investitionen, Marketing und whatnot enthalten. VK – SK – WVR (Wiederverkäuferrabatt) = Umsatzrendite vor Steuern. Ist eine vereinfachte Darstellung, aber es wird schnell klar, dass hier ein Verdiensthorizont entsteht, für dessen Realisierung die Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals essentiell ist.

Ein etwas naiver Blick auf meinen Arbeitsplatz… 😉

In meinem Gewerk, das zum Gesundheitswesen gehört, ist das schon schwierig, denn natürlich werden Betreiber des Rettungsdienstes entlohnt, weil man hochprofssionelle Arbeit nicht für Lau bekommt, auch wenn manche Menschen das bis heute zu glauben scheinen. ABER… der individuelle Aufwand, welcher für Aus-, Fort- und Weiterbildung getrieben werden muss, damit die Dienstleistung auf dem Niveau bei den Patienten ankommt, welches diese verdient haben (nämlich am aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik orientiert und auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt), entspricht im Gegensatz zur Auto-Industrie nicht einem direkten Benefit in der Kasse der Betreiber. Den Kostenträgern ist es nämlich verdammt egal, wie gut oder schlecht die Versorgung war. So lange nicht gerade ein Kunstfehler zur Anzeige kommt, wird immer der gleiche (per Bereich verhandelte) Satz bezahlt. Ob die Sanis kompetent und nett zu Oppa Schnippenfittich waren, fragt dabei niemand…

Kommen wir zum allgemeinbildenden Schulwesen. Auch hier entstehen Kosten in nicht unerheblichem Maße. Den Benefit zu beziffern, ist hier aber noch ungleich schwerer, als bei den beiden vorherigen Beispielen. Denn den meisten Menschen ist offenbar nicht klar, dass die Hauptaufgabe der Schule mitnichten ist, die Kinder fit für die Tretmühle Kapitalismus zu machen, sondern ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Viele Eltern sind nämlich mangels Sozial- und Bildungskapital nicht dazu in der Lage, ihren Kindern diesebzüglich eine große Hilfe zu sein. Die Teilhabe möglichst großer Gruppen der Gesellschaft ist aber die Voraussetzung für den Fortbestand von Demokratie. Und der Fortbestand der Demokratie ist die Voraussetzung für den Fortbestand wirtschaftlicher Prosperität. Wenn es einem autokratischen Regime nämlich von heute auf morgen einfällt, bestimmte Geschäftsfelder „zu regulieren“, erzeugt das eine (vor allem juristische) Unsicherheit, welche sich schlecht auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Staates auswirkt. Bis hin zum Totalversagen. Kann man bei Acemoglu und Robinson („Warum Nationen scheitern“) nachlesen.

Das bedeutet, abseits des hehren Humboldt’schen Bildungsideals ist die alte Diskussion um die Hauptaufgabe von Schule (humanistische Bildung vs. Arbeitsmarktchancen) eigentlich schon lange obsolet. Meritokratie ist eine schöne Illusion, doch ohne Demokratie ist sie nichts weiter als eine gestaltlose Hirnschimäre, die ohne rechtsphilosophisches und gesellschaftliches Fundament in sich zusammenfällt, wie das Soufflé, wenn man die Ofentür zu früh geöffnet hat. Womit wir zum Anfang zurückkomen: diese Erkenntnis ist leider noch nicht in allzu vielen Köpfen angekommen. Oder sie kam an – und wurde zugunsten anderer Dinge wieder vergessen. Jedenfalls genießen Pädagogen als Fachkräfte für den Erhalt der Demokratie (wenn man mal vom alten Fascho Höcke absieht, der träumt vom 4. Reich) und damit als Bereitsteller gesellschaftlichen Kitts keinesfalls die soziale Anerkennung, die ihnen gebührt. Was sich Lehrer*innen tagtäglich von den „lieben Kleinen“ und ihren Erzeugern anhören dürfen, spottet dafür jeder Beschreibung.

Deshalb der Titel. Ich wäre bereit für was Neues. Eine Pädagokratie könnte Schulen zu den Orten des individuellen Wachstums und der Solidarität machen, die sich eigentlich schon immer sein müssten; wenn wir nicht schon von Kindesbeinen an zwanghaft ettikettieren und auf „Normmaß“zurechtstutzen müssten. Ich wäre dabei. Und wenn potentielle Lehrkräfte mitbekämen, dass es auf einmal ganz geil ist, Lehrer zu sein, hätten wir vielleicht alsbald auch keinen Fachkräfte-Mangel mehr. Denkt doch mal drüber nach…

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