Der verwirrte Spielleiter N°54 – Sich drauf einlassen…

Ich hatte in letzter Zeit keinen Nerv, keine Muse, keine Kraft, selbst besonders viel zu produzieren, was die Bezeichnung Pen’n’Paper verdient gehabt hätte. Ich meine, ich habe genug Material, um noch die eine oder andere Kampagne zu fahren, ohne mich besonders anstrengen zu müssen. Aber ich war leer und ausgebrannt. Ein Zustand, der sich ja eine ganze Weile durch all meine Lebensbereiche gezogen hat, wie man unschwer an meinen sonstigen Posts lesen kann. Nun ist es so, dass Pen’n’Paper ZU SPIELEN für mich schon immer (zumindest subjektiv) die beste Therapie von allen war. Nennt es Eskapismus, nennt es Realitätsflucht, nennt es eine Coping-Strategy, nennt es einen iruklanischen Berg-Karakara-Braten – für mich funktioniert es; und dass ist verdammt noch mal das EINZIGE, was zählt. Nun ist es so, dass ich eine Weile lang abseits meiner üblichen Pfade nach alternativen Runden als Spieler gesucht habe. Und was soll ich sagen – irgendwie sind Rollenspieler doch manchmal komische Käuze. Mit denen, die eine Runde angeboten hätten, wurde ich nicht so recht warm. Dann habe ich mir etwas Gutes getan und bin endgültig aus Facebook ausgeschieden. Ich hatte mir damit allerdings auch den Weg zu manchem Angebot verbaut, weil viele Leute dort immer noch ihre Kontakte pflegen. Ich will das aber nicht, weil mich der ganze andere Scheiß drumherum nur noch anwidert. Daran hat sich in den letzten knapp zwei Jahren auch nichts geändert, eher ist es da noch schlimmer geworden. Trotzdem fehlt damit eine Möglichkeit, sich zu konnektieren. Und ehrlich gesagt renne ich auch nicht mit einer gut sichtbaren „Spielgruppe-gesucht!“-Badge an meinem Kittel rum. Scheiße gelaufen, nicht wahr…?

Ich gebe es offen zu, ich bin als Spieler in den letzten Jahrzehnten kritischer geworden. Vielleicht liegt es an meinem eigenen Qualitätsanspruch – falls man so etwas bei einem Hobby, dass hauptsächlich Spaß machen soll überhaupt haben darf – vielleicht aber auch daran, dass ich die eine oder andere … interessante … Erfahrung gemacht habe. Ich steh halt nicht so auf Railroading. Und ich hatte mal eine ziemlich gute Zeit, als ein alter Freund sich bereit erklärt hatte, zu spielleiten. Die Charaktere, die Story, die Settings, das Power-Level – alles vollkommen over the top! Wäre mit Sicherheit nicht jedermans Geschmack gewesen, aber mir hat es damals unendlich gut getan, die Sau rauslassen zu dürfen. Man konnte auch recht verrückte Ideen umsetzen, sofern man sie gut zu beschreiben vermochte und das Ziel irgendwie innerhalb der Kontinuität der Spielwelt erklärbar blieb. Die Herausforderungen machten das allerdings auch notwendig. Heute allerdings… ich weiß nicht, aber irgendwie fiel es mir anfangs immer noch schwer, mich drauf einzulassen. Und immerhin ist es eine Welt, die ich mit jenem guten Freund, der zurzeit auf der Spielleiter-Couch Platz nimmt zusammen entwickelt habe. Ich verlange vermutlich manchmal einfach zu viel. Weil es – für das Befinden meine Seele – viel zu selten stattfindet, soll es dann jedes Mal perfekt sein. Das konnte ICH als SL niemals, das kann vermutlich niemand als SL. Aber jetzt, so ganz langsam finde ich wieder zurück in den Charakter, in die Welt, in die Geschichte, ins Zocken. Und stelle fest, dass der lang vermisste therapeutische Effekt wieder einzusetzen beginnt. Und das ist GROSSARTIG!

Ausgerechnet ich, der immer so groß und breit über die „Willing Suspension of Disbelief“ referiert, der zuviel „Breaking of the 4th wall“ nervtötend findet, der immer sagt, dass er zu viel Seitengequatsche nicht leiden kann, der alles mögliche über Storytelling weiß und daher letzthin einfach viel zu viel analysiert hat, ANSTATT EINFACH ZU SPIELEN, um dann hinterher darüber zu mosern, was ihm alles nicht gepasst hat… ja genau ICH gehe in all diesen Dingen langsam auf. Und mir geht auch etwas auf – nämlich ein Licht, dass lange maximal gedimmt in den hintersten Kammern meines Hirns vor sich hin geflackert hat: Zocken bedeutet, sich vom Analysieren und Zerdenken zu verabschieden! Früher konnte ich das super! In den letzten Monaten war ich jedoch noch viel zu sehr im Master-Thesis-induzierten Analytiker/Akademiker-Modus, um echten Spaß haben zu können. Schluss damit! Ich will wieder über das Ziel hinausschießen und meinen Char einfach Sachen machen lassen, die mir in dem Moment in den Kopf kommen – am Liebsten vollkommen over the top. Und wenn ich danach ’nen neuen Char brauchen sollte, dann ist das halt so. Sich drauf einzulassen, tatsächlich zu spielen bedeutet, die analytische Komponente weitestgehend auszublenden. Natürlich darf ein Char – im Rahmen seiner/ihrer Kenntnisse und Möglichkeiten – vernünftige Entscheidungen treffen. Aber ich habe viel zu viel Meta-Gaming im schlechten Sinne betrieben, die Szenarien und Handlungen meiner Mitstreiter aus der Sicht eines SL BEWERTET, anstatt einfach meine Figur zu SPIELEN – und die Welt durch deren Augen zu sehen.

Solches Verhalten ist eine Mischung aus einem Tactician, der seine Mitspieler zu den taktisch sinnvollsten/erfolgreichsten Handlungen zu drängen versucht, weil er das Spiel „gewinnen“ will und einem Powergamer, der aus den gleichen Gründen seinen Char optimal auszubauen versucht => jede Situation wird als Wettstreit gelesen! In jedem Fall war ich auf der dunklen Seite des Gamism unterwegs. Denn Pen’n’Paper kann man nicht gewinnen. Das Schöne daran ist, dass man ja (zumindest theoretisch) aus seinen Fehlern lernen kann; und da ich nicht vorhatte, vollends zu einem Toxic Player zu degenerieren, probiere ich mich jetzt wieder als Storyteller, also als ein Spieler, der vor allem eine coole, spannende, schicksalsträchtige und hoffentlich auch ein bisschen lustige Geschichte mit gestalten möchte. Denn an der Entstehung der Story sollen ja alle am Tisch Teil haben. Diese Erfahrung beweist mir einmal mehr, dass Pen’n’Paper nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem mit dem Herz gespielt wird, dass der Spaß für alle im Vordergrund stehen sollte, und dass man die Dinge nicht zu ernst nehmen sollte. Sonst wird aus einem Spiel ein Wettkampf. Und davon habe ich im realen Leben schon mehr als genug, dass brauche ich am Spieltisch nicht auch noch. [Kleiner Hinweis: ich spielleite immer noch, und auch wieder mehr. Und mir ist auch dort aufgefallen, dass ich Dinge letzthin manchmal zu sehr technisch abgespult habe. Ich gelobe Besserung. Die Muse kehrt langsam zurück; und die Macht ist noch stark in dem hier… 😉] Daher freue ich mich auf die nächsten Sitzungen, wenn ich wieder in die Rolle fallen darf… always put your heart in it, when you game on!

Auch als Podcast…

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