Ich denke also bin ich… nicht?

Es ist ernüchternd, von einem Neurowissenschaftler, der schon eine Weile an dem Thema forscht zu hören, dass er Bewusstsein nicht definieren kann, bzw. dass er nicht klar definieren möchte, ob ICH am Ende ICH bin, nur weil ich als Wesen meiner Existenz bewusst bin. Wessen bin ich den bewusst? Meiner selbst? Oder irgendetwas anderem? Er definiert Bewusstsein als einen Regelprozess, welcher lediglich dem Zweck der Erhaltung des Organismus‘ dient, welchem dieses innewohnt. Oder überspitzt ausgedrückt: ich fresse und scheiße, also bin ich. Hier ist, natürlich einmal mehr eine stark biologistische Sicht am Werk, welche SEIN zuvorderst als Subsistenz und BEWUSSTSEIN als Subsistenz-Regelkreislauf betrachtet. Der befragte Wissenschaftler Anil Seth möchte Fragen der Metaphysik und der Transzendenz bewusst ausklammern, weil sie nach seiner Ansicht nicht zum Verständnis des “Bewusstseins” als Phänomen helfen. Diese Reduktion auf eine rein funktionale Betrachtung klammert jedoch – zumindest meines Erachtens – einige grundlegende Fragen des Menschseins aus. Kann man machen; dann wird’s aber Scheiße, wenn Menschen nach Sinn und Unsinn fragen. Denn wir Menschen lassen uns nur sehr ungern auf Biologie reduzieren. Ich verkürze hier bewusst (sorry für das Wortspiel) ein wenig, denn der Mann zeigt sehr wohl, dass er Kategorien abseits seines speziellen wissenschaftlichen Arbeitens sehen kann. Er verneint jedoch die Existenz einer Kategorie ICH als Essenz des Seins; er baut da nicht wirklich eine Brücke… Aber ICH bin doch…oder?

Ich erfahre mich selbst als menschliches Wesen, mit allen positiven und negativen Aspekten. Ich definiere mich selbst durch das bewusste Anwenden eines Werte- und Normenkanons auf mein Tun und Lassen; stets mit Bezug auf die Erfahrungen, welche ich auf dem Weg sammele; es gibt also situative Updates. Ich pflege mannigfaltige soziale Beziehungen und erlebe mich dabei als Wesen, welches sich von seinen Gegenübern unterscheidet. Nicht nur optisch, sondern auch in meinen Meinungen, Gefühlen, Handlungsoptionen. Ich erkenne MICH als MICH, wenngleich gewiss nicht völlig einzigartig, so doch von den Anderen unterscheidbar und damit erkennbar nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Anderen. Wenn ich nun jedoch auf der anderen Seite die Denkart von Anil Seth sehe, der in seinem Gebiet als führend gilt, dann muss ich mich der Frage stellen, wie viel von meiner eben geschilderten Selbst-Wahrnehmung MICH tatsächlich zu MIR macht? Also, wie individuell das Individuum wirklich ist? Oder ob ich doch bloß subsistiere und mir mein ICH dazu fantasiere, weil meine psychische Integrität davon abhängig ist, ein Selbstbewusstsein zu besitzen? Wie groß oder klein dieses auch immer sein mag…? Ich weiß es natürlich nicht besser als Herr Seth; immerhin bin ich nur Pädagoge, kein angesehener Neurowissenschaftler. Ich ahne aber, dass ich mir lieber eine andere Betrachtungsweise zu eigen machen möchte. Selbst wenn Herrn Seths Betrachtungen für mich aus forensischem Interesse durchaus interessant sind.

Ich setze mir jetzt mal die konstruktivistische Brille auf, die – zumindest in der radikalen Variante – sagt, dass es keine objektiv erfahrbare Welt gibt, sondern nur die subjektive Rekonstruktion aller erlebten Wahrnehmungseindrücke des Außen in unserem Kopf. Alles lebt nur in uns! Wenn Herr Seth unter dieser Annahme nun Recht hätte, dann lebten wir vielleicht doch in der Matrix und unser Leben wäre nur eine Simulation. Denn es gäbe in dem Fall kein wahrhaftiges Außen – und es gäbe auch kein ICH, sondern nur ein, auf den Erhalt des Organismus ausgerichtetes Gleichgewicht aus Regelkreisen. Herr Seth setzt übrigens eine objektiv erfahrbare, materielle Umwelt voraus. Andernfalls wäre sein Gedankengebäude nämlich problematisch. Wie man hier sieht, ist das Ausklammern der Metaphysik und der Transzendenz vielleicht doch nicht so geschickt. Ich sage daher Danke, aber NEIN Danke und bleibe bei der Annahme eines definierten ICH. Es bedarf übrigens nicht des Glaubens an eine unsterbliche, transzendente Seele, um sich im Hier und Jetzt als Individuum begreifen und erleben zu können. Kann man aber machen, wenn man möchte; sofern man dabei nicht zum Dogmatiker-Arschloch gegenüber Anderen wird.

Es geht mir auch gar nicht so sehr darum, ob ICH so individuell bin, wie ICH mir das gerne einrede. Es geht nur um die Frage, ob derartige Betrachtungen zum Bewusstsein nicht sogar eher schädlich sind, weil sie die ABSOLUTE WIRKSAMKEIT DES SOZIALEN in den Bereich des nicht-wissenschaftlichen Voodoo stellen, weil alles was nicht objektivierbar ist, sondern mittels Verständnis-Näherung erfahren werden muss (und das ist bei den Geistes- und Sozialwissenschaften nun mal so) für Herrn Seth keine brauchbare Grundlage für das endgültige Verstehen des Bewusstseins als real erfahrbarer Instanz unseres Seins darstellt. Warum man immerzu Bewusstsein und Seele miteinander verwechseln muss, weil ein nicht unerheblicher Teil der Menschheit auch über 2000 Jahre später immer noch den Märchen-Geschichten von den Lagerfeuern der Hirten in den levantischen Steppen mehr Bedeutung beimisst, als objektiver wissenschaftlicher Erkenntnis, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Ich WEISS, dass ich ein Bewusstsein habe. Ich GLAUBE JEDOCH nicht an eine unsterbliche Seele; wenngleich andere dies gerne tun dürfen. Ich muss jedoch einmal mehr feststellen: ich hasse Dogmatiker-Arschlöcher. Insbesondere die in rituellen Gewändern! Aber vielleicht sollte ich auch hierbei einfach den Rat von Mark Manson beherzigen: Don’t give a fuck, if it’s not absolutely necessary! In diesem Sinne… habt einen schönen Tag.

Auch als Podcast…

Beannachtaí na hÉireann N°13 – performative…?

Ich habe in den unendlichen Weiten des Internets mal wieder etwas dazu gelernt, nämlich dass es wohl sogenannte “performative males” gibt; also Männer, die bewusst das Image eines woken, feministischen, sanften, “modernen” Mannes kultivieren, um damit auf Frauenfang zu gehen. Also mit anderen Worten eine gefällige Fassade aufbauen, die danach trachtet, für Mädels attraktiv zu sein, ohne jedoch tatsächliche Substanz zu haben. Dabei spielen wohl bestimmte Kleidungscodes, Musikgeschmäcker und Accessoires eine Rolle, die heutzutage eine Gesinnung symbolisieren sollen. Früher nannte man sowas übrigens “so tun als ob”, “Schauspielern”, “Manipulation” oder was auch immer. Es ist ja nicht so, dass es nicht schon zu allen Zeiten Männer gegeben hätte, die sich als Frauenversteher inszeniert haben, um Mädels rumzukriegen – und sich dabei einen Scheiß für die Belange der Frauen interessiert haben. Das war schon immer mysogyn, daran ändert auch ein neues Hashtag jetzt eher wenig. Was mich heutzutage allerdings immer wieder f***t, ist der Umstand, dass man wirklich ALLES zu einem instagrammierbaren Trend stylen oder Tiktokerisieren muss. Diejenigen, welche darüber berichten und es bewerten, um sich darüber wahlweise mokieren oder echauffieren zu können, sind dabei im Übrigen selbst nichts weiter als performative Aufmerksamkeitshuren. Hauptsache die Shitstorm-Schleuder läuft immer schön auf Hochtouren, denn Klicks verkaufen… was auch immer. My five Cents: wer nicht in der Lage ist, solche Fake-Feminists zu erkennen, sollte sich vielleicht weniger mit den sozialen Medien sondern mehr mit echten Menschen befassen. Das schult die Sinne. Aber was weiß ich schon…

Mich überkam dabei natürlich auch die Frage, welche “performativen” Aspekte ich an mir selbst wahrnehme. Und ihr müsst jetzt stark sein, denn ich muss euch jetzt leider Folgendes mitteilen: wenn das Adjektiv “performativ” neuerdings als Synonym für das Vorspiegeln falscher Tatsachen (also “Lügen”) herhalten muss, anstatt als Indikator für das Erbringen einer Leistung (auf welchem Gebiet auch immer), bin ich endgültig raus. Ja ich bin performativ. Aber eben im letzteren Sinne; und auch nur dann, wenn ich es entweder a) für sinnvoll und angebracht halte, oder b) dazu auf Grund meines Anstellungsverhältnisses durch das mit Geld Beworfen Werden genötigt bin. Und was mein Äußeres und meinen Habitus angeht – ich sehe seit knapp 30 Jahren immer gleich aus. Ich folge keinen Trends (zumal ich in den Klamotten, die für “performative males” beschrieben werden Sch***e aussähe), ich trinke kein Matcha, ich trage keine dämlichen Kappen und ich hasse In-Ear-Kopfhörer. Lediglich den Jutebeuteln kann ich etwas abgewinnen. Allerdings schon seit knapp 35 Jahren… Zu was macht mich das jetzt? Keine Ahnung.Aber die Debatte, ob ich für einen white middle-aged cis-gender male hinreichend feministisch eingestellt bin, führe ich sicher nicht mit irgendwelchen random Deppen im Internet, sondern mit meinen Lieben. Wofür hat man drei Mädels zu Hause! Ich finde es jedenfalls extrem schwierig, dass man immerzu alles zu einem “Trend” einer “Bewegung” oder einem “neuen sozialen Phänomen” machen muss, ohne mal darüber nachzudenken, oder – Gott behüte! – zu recherchieren, was zuvor schon war. Denn so wenig, wie irgendeine Geschichte, die heute erzählt wird vollkommen neu ist, so sind es irgendwelche sozialen Artefakte. Lediglich die Einordnung mag sich ändern. Für mich bleibt der ganze Schmonz einfach nur Click- oder Ragebait. Aber ihr dürft natürlich denken, was ihr wollt.

Für mich viel wichtiger ist nun die schmerzliche Tatsache, dass wir morgen Irland “farewell” oder “Slán”sagen müssen; auch wenn das Wetter die letzten Tage eher durchwachsen blieb, nehme ich einerseits eine Menge schöner Erinnerungen mit, andererseits aber auch – zumindest für jetzt – auch einen erheblichen kreativen Schub, der mich echt glücklich macht. Außerdem warten noch eine weitere Fährfahrt und die dritte Station unserer Reise auf uns. Doch davon werde ich in der kommenden Woche sicher auch noch zu berichten wissen. Bis dahin bleibt immer schön performativ im richtigen Sinne und habt einen guten Start in die kommende Woche.

Sind KIs Kapitalisten?

Ich habe heute morgen einen schönen Satz gelesen: “Das Rad der Zeit hat einen Elektromotor bekommen.” Der Autor sprach dabei von der möglicherweise zunehmenden Verblödung durch die ubiquitäre Nutzung von KI – oder besser dem, was wir gerne für künstliche Intelligenz halten würden… Doch darauf kommen wir später zurück. Tatsächlich ist dieser Motor ja aber schon vor langer Zeit montiert worden, er wird nur in regelmäßigen Abständen “verbessert”. Selbst, wenn wir nicht über all die Entwicklungen von der Steinzeit bis in die Rennaissance reden wollen, bleibt da doch noch einiges Bemerkenswertes. Zuerst kam in der Moderne die Dampfmaschine, dann der Elektrogenerator, dann das Auto, dann der Rundfunk, das Fernsehen, und schließlich irgendwann – befeuert durch die DARPA-Projekte, wie etwa das ARPANET und die Entwicklung von HTML durch Tim Berners-Lee – die wunderbare Online-Welt. Und stets gab es Dinge, Umstände, Sachverhalte, Erkenntnisse, die damit jeweils einher gingen, wie etwa die, dem Taylorismus folgende Arbeitsteilung, die von Henry Ford eingeführte Fließbandarbeit, neue soziale Ordnungen und der Kampf um die diesbezügliche Deutungshoheit – und natürlich der Kapitalismus als jene Wirtschaftsordnung, welche von so vielen fälschlicherweise als symbiotisch der Demokratie zugehörig erachtet wird, dass alles Andere UNDENKBAR scheint. Da wird von den immer gleichen Möchtegern-Leistungsträgern und Entscheidern immer davon gesprochen, dass der Sozialismus (oder was auch immer) bisher nicht funktioniert habe – dabei verleugnend, dass der Kapitalismus ebensowenig funktioniert. Immer sind es nur ein paar besondere Ego-Arschlöcher an der Spitze, welche vom System profitieren. Alle anderen schauen in die Röhre.

Kommen wir zurück zur KI. Die These lautet, dass KI die Klugen klüger und die Dummen dümmer machen würde. Ich persönlich halte das für riesigen Quatsch, weil Intelligenz noch niemals automatisch vor Abusus geschützt hat. Andernfalls gäbe es keine Alkoholiker mit Doktortitel. Was KI jedoch leistet, ist Folgendes: sie bietet Abkürzungen. Die Verlockungen eines leichteren Weges. Ganz gleich, ob es um Lernaufgaben oder die Arbeit geht, stellen KI-Anwendungen  vermeintlich effizienzsteigernde Shortcuts zur Verfügung. Aufgaben, die keinen Spaß machen, die wiederkehrende Routine sind, die Zeit brauchen, sollen von der KI erledigt werden. Doch bevor ich eine Routine auslagere, tue ich gut daran, diese Routine selbst zu beherrschen, um die oftmals nur vermeintlich effizienteren Ergebnisse meines LLMs beurteilen zu können. Andernfalls versende ich nämlich nicht selten die sachlich unrichtigen Halluzinationen der Maschine, die weder soziale, noch moralische, noch politisch-taktische Erwägungen kennt. Dieser Dünnschiss muss oft erst mühsam von einem echten Experten demaskiert werden. KI macht also nicht den Dummen Dümmer, sondern nur fauler… und den Klugen gleich mit. Denn der sirenen-süße Ruf der Arbeitsvermeidung lässt auch den 1,0-Abiturienten nicht kalt, wenn doch andere Dinge viel wichtiger sind. An dieser Stelle sei vielleicht noch erwähnt: in der, durch den KI-Einsatz gewonnenen Zeit wird mitnichten weiter in die Hände gespuckt zur Steigerung des Bruttosozialprodukt; viel wahrscheinlicher ist, dass die so gewonnene Zeit damit verbraten wird, anderen Lockrufen des weltweiten Desinformationsgewebes und seiner APP-solut wahnsinnigen Auswüchse zu folgen. Ach, was würden wir nur ohne Antisocial Media und dieses ganze nutzlose Produkt-Influencer-Geschmeiss tun… oh… vielleicht weniger konsumieren und mehr leben?

Denn all der Huzz and Buzz um KI folgt natürtlich der, weiter oben bereits angeklungenen kapitalistischen Verwertungslogik. Alles MUSS dem Effizienz-Paradigma unterworfen werden. “Die Arbeit muss schnell erledigt sein, bediene dich des Outsourcings und erziele so mehr Wertschöpfung – für deinen Arbeitgeber…!” “utere machina!” (Nutze die Maschine!) anstatt “sapere aude!” (Wage, dich deines Geistes zu bedienen!); mit dem Effekt, dass wir gleichzeitig auch der Fähigkeit zum kritischen Denken beraubt werden. Aber die ist für den Konsumkapitalismus auch eher hinderlich, unterbricht sie doch u.U. diesen wahnsinnigen Zyklus, von Geld, welches man nicht hat Dinge kaufen zu wollen, die man nicht wirklich braucht, um Menschen zu beeindrucken, die man nicht mal mag… Die ausufernde KI-Nutzung ist der direkte Weg auf die sehr bequeme Couch in der Komfortzone, Unterhaltungsprogramm mit Shoppingmöglichkeiten inklusive! Ob ich KI hasse, fragt ihr? Die Antwort lautet jedoch “Nein”. Denn KI-Anwendungen sind tatsächlich nützliche Werkzeuge. Allerdings lassen sich die allzu Bereitwilligen von der KI zu deren Werkzeug machen, anstatt zu lernen, wie man KI dort – und nur dort – wo es sinnvoll ist als Werkzeug zu nutzen und die Ergebnisse kritisch zu beobachten, und ggfs. zu korrigieren. Auf die Art gwinnen wir mittelfristig immer noch erheblich an Effizienz, verblöden dabei aber nicht. Und das wäre ja zumindest ein Effizienzerhalt. Ich wünsche daher allen – in mehr als einer Hinsicht – eine baldige Abkühlung.

Auch als Podcast…

Benvenuti nelle Marche N°10 – Mad New World…

Menschsein ist anscheinend eine komplizierte Angelegenheit. Immer wieder steht man subjektiv vor der Herausforderung, seine eigenen Wünsche, Ziele, Bedürfnisse mit denen der anderen Menschen – insbesondere denen, die einem nahe sind – austarieren zu müssen. Objektiv jedoch scheint ein nicht geringer Prozentsatz der Menschoiden da draußen auf diese Verpflichtung zu scheißen, die sich daraus ergäbe, wenn wir wirklich unserer Nächsten Grenzen und Rechte achten würden. Anders lässt es sich kaum erklären, dass so viele Ego-fixierte Bastarde mit ihrem Ego-Müll „die Zone fluten“ wie dieser Fascho-Flüsterer Steve Bannon das Zumüllen der antisozialen Medien mit Fascho-Müll mal nannte. Welche Art Ego-Müll dabei in die Zone flutet ist vollkommen gleichgültig, weil jede weitere Schmutz-Welle dazu geeignet ist, den eben benannten Austarierungs-Prozess zum Halten zu bringen. Es stellt sich spontan die Frage, zumindest sofern man die Menschheit noch nicht vollkommen aufgegeben hat, wie man dem Einhalt gebietet, wenn Erpressung, Totschlag, Brandstiftung, etc. leider kein gangbarer Weg sind, weil man dafür leider viel schneller in den Knast kommt, als dieses dreckige Antiscocial-Media-Verbrecher-Gesocks, welches das Internet verpestet; und damit unterdessen die einstmals hoffnungsvolle Idee einer weitreichenden Demokratisierung mittels des Internets durch die zunehmende Faschistoidisierung desselben ad absurdum geführt hat? What a Mad New World!

Ich habe gerade „Brave New World“ wieder gelesen – und für ein paar Augenblicke erscheint diese kranke Utopie einer weltumspannenden Zukunfts-Gesellschaft verlockend, in welcher die Menschen synthetisiert, für die spätere wirtschaftlich Funktion physiologisch und psychologisch konditioniert und als hedonistische, konsumorientierte Abziehbilder freier Menschen sozialisiert werden; alles im Namen sozialer Stabilität. Manches in dem Buch erscheint heute aus der Zeit gefallen, was beim Veröffentlichungsjahr 1932 auch nicht weiter verwundern mag. Und doch ist Huxleys Vision eines perfekten Totalitarismus, in dem alle glücklich sind, weil jeder bekommt, was er will, weil er nur will, was er bekommen darf, auch über 90 Jahre später immer noch erschreckend aktuell. Kein Wunder, dass die Nazis es direkt verboten hatten. In den Vereinigten Staaten ist das Buch übrigens schon lange vor dem dreckigen Fascho-Trumpel in diversen Staaten auf der Bann-Liste. Man könnte es als Ironie des Schicksals betrachten, dass ein Buch verboten wird (bzw. bleibt), in dem es u. A. auch um die Kuratierung des den Menschen verfügbaren Wissens durch die Nichtverfügbarkeit von Büchern geht; also harte Zensur, um die Konditionierung der Menschen als willfährige Drohnen des Weltstaates nicht zu gefährden.

Ich bin da eher bei John dem Wilden: „But I don’t want comfort. I want god, I want poetry, I want real danger, I want freedom, I want goodness, I want sin.“ In meinem Verständnis wünscht er sich eine Welt (zurück), in der die Menschen wieder Verantwortung für sich selbst übernehmen dürfen und damit die Chance bekommen, zu wachsen; selbst, wenn dies Herausforderungen, Anstrengungen, Kämpfe und Verluste bedeutet. Weil eine Existenz, die in allen Aspekten der Funktionalität untergeordnet ist, bestenfalls eine Subsistenz ist, die nichts mehr hervor bringt, als die reine Reproduktion dessen, was schon da war. Der Gedanke, darauf reduziert zu werden, erscheint auch mir schmerzhaft. Ich bin kein gläubiger Mensch im Sinne kirchlicher Doktrinen, wohl aber ein durchaus spirituelles Individuum und ich möchte mir – ebenso wie John der Wilde – meine mentalen Drogen gerne selbst auswählen; Irrungen und Wirrungen inklusive. Aber was weiß ich schon… außer, dass Lesen bildet. Daher empfehle ich Aldous Huxleys „Brave New World“ als Originaltext mit Kommentaren in der English Edition von Klett. Ansonsten lesen wir uns bald wieder mit anderen Themen. Bis dahin, gehabt euch wohl.

ISBN: 978-3-12-579850-2

Alt und trotzdem jung?

Ich habe irgendwann in letzter Zeit festgestellt, dass ich immer häufiger über dieses “Das Ziel ist, möglichst jung alt zu werden!”-Meme stolpere. Vermutlich weiß dieser verdammte “Algorithmus”, dass ich in ein paar Wochen 51 werde und versucht jetzt, auf KI-typisch unbeholfene Art zu socialisen. Oder, eine groß angelegte Verschwörung der Wellnes- und Gesundheits-Industrie möchte mich dazu verführen, deren Produkte zu kaufen. Leute! Ich interessiere mich weder für Ratgeber, noch für Nahrungsergänzungsmittel. Training zur Selbstoptimierung ist eine Kategorie von selbstverletzendem Verhalten (und damit auch irgendwie eine Psychopathologie), die anderen passiert. Aber wenn ihr mir einen Berater vorbeischicken würdet, mit dem man ein wirklich intelligentes Gespräch über Gott, die Welt, Politik und neue philosophische Ideen führen kann – dann her damit. Dafür nehme ich mir gerne Zeit. Zumal ich mich noch nicht wirklich alt fühle. Meine Arbeit gibt mir sehr oft die Gelegenheit, mich mit Menschen verschiedenster Altersgruppen auszutauschen. Die meisten sind deutlich jünger als ich (unsere Berufsfachschüler). Und wenn man dann eine Haltung zu den Dingen (und den Menschen) hat, die es einem erlaubt, neugierig auf die jungen Leute zuzugehen, wird man nicht so schnell alt im Kopf. Ich beachte dabei lediglich meine ganz persönliche, total subjektive “Three-Strikes-Rule”: jeder Mensch ist es wert, als Mensch angenommen, respektiert und behandelt zu werden. So lange, bis diese Person drei Mal meinen Respekt und mein Vertrauen missbraucht hat – dann ist Sense und sie wandert automatisch in den nicht eben kleinen Pool all jener Menschoiden, die mich häufiger zu folgendem Satz veranlassen: “ICH HASSE MENSCHEN!”

Ich weiß nicht, ob man es wirklich Hass nennen kann, denn das ist ja ein sehr starkes Gefühl, welches üblicherweise für jene Menschen reserviert ist, mit denen ich noch irgendeine Art von Beziehung führen muss. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass anderer Leute Blödheit, Respektlosigkeit, Faulheit und Unverschämtheit der Motor für meine immerwährende Wut sind. Und dass mir die allermeisten Menschoiden nach den eben genannten Three Strikes einfach am Arsch vorbeigehen. Nur für ganz wenige habe ich diesen besonderen Hass übrig, der mich noch nicht einmal in ihren Rachen pissen ließe, wenn ihre Zähne brennen würden (danke für diesen Spruch Lemmy! Rock Hell for me, ’til I’m ready to come down…). Vielleicht liegt es tatsächlich am Alterungsprozess, dass mir so vieles heute meilenweit am Arsch vorbeigeht. Wobei ich mir da nicht ganz sicher bin. Neulich bemerkte einer meiner Kollegen, dass er ja jetzt langsam altersmilde würde – nur um in der nächsten Szene mit einer Hingabe über einen Sachverhalt abzuledern, die so manchen Berliner Taxifahrer alt aussehen ließe. Und ich konnte ihn volles Programm fühlen. Man wird nicht unbedingt milder. Man steigert lediglich die Effizienz des Energieeinsatzes und bohrt nur noch jene kognitionsallergischen Subsistenzen ungespitzt in den Boden, die das auch WIRKLICH verdient haben. Alle anderen, die unbedingt negativer Emotionen bedürfen, bekommen eine reduzierte Version, die aus wesentlich mehr kühler Distanz als heißer Wut besteht. Man muss Idioten allerlei Geschlechts auch einfach mal schweigend links liegen lassen können. Denn die Meisten verdienen meine Wut nicht mal im Ansatz.

Und meine positive Energie? Zuvorderst sei gesagt, dass ich davon tatsächlich jede Menge habe. Sie wandert heutzutage allerdings beinahe ausschließlich in jene Dinge, die mir etwas bedeuten, die mich inspirieren, die mir Freude machen und tendenziell mindestens die gleiche Menge Energie zurückgeben, die sie auch verbrauchen: man muss dem Ersten Hauptsatz der Thermodynamik nämlich auch in psychischen Belangen uneingeschränkt Beachtung schenken! Und ja – nur bescheidene Teile davon haben mit meiner abhängigen Lohnarbeit zu tun. Nämlich jene Teile, die es mir erlauben, mit, an und für Menschen etwas positiv zu bewegen – so lange, bis sie ihre Three Strikes aufgebraucht haben. Danach gilt, womit dem ich den ersten Absatz beendet hatte… Und was hat das alles nun mit dem Altern zu tun? Sagen wir mal so: ich habe für mich beschlossen, dass Alter nur eine Zahl ist und dass es darauf ankommt, mit welchem Handeln, mit welchen Worten und Gedanken, mit welchem Unterlassen ich meine Tage anfülle und welche Haltung daraus resultiert; nur das gibt einen Hinweis darauf, wie alt ich wirklich bin. Ich handele nach dem Prinzip des kategorischen Imperativ, bin stets auf Ausgleich und Gerechtigkeit bedacht! Vollkommen unabhängig von Nachteilen für mich selbst oder dem Alter der betreffenden Personen. Ich zocke unfassbar gerne! Ich suche nach Schöneit und Wahrheit und Inspiration für meine Geschichten, mit denen ich Menschen davon überzeugen möchte, für sich selbst zu denken und dabei dennoch die Sichtweisen anderer zuzulassen; und ich erzähle diese Geschichten natürlich nicht nur zum Lehren, sondern auch zur Unterhaltung! Ich versuche, Egoismus, Arroganz, Boshaftigkeit, Hinterhältigkeit und Doppelzüngigkeit zu unterlassen, auch wenn ich als Mensch genauso anfällig dafür bin, wie jeder andere – insbesondere für Arroganz, denn es ist ein schmaler Grat zwischen dem simplen Wissen um das eigene Leistungsniveau – und der Aktion, dieses Merkmal demonstrativ jedem unter die Nase zu reiben! Daraus ergibt sich als Haltung ein humanistisches Menschenbild, welches das Gegenüber zu dessen Bedingungen zu erkennen sucht; nicht zu meinen. Und wer glaubt denn bitte schon, dass man seinem eigenen Ideal immer gerecht wird? Das macht mich alt und jung zugleich. Ich weiß nicht, wie ich zum Altern stehe – außer, dass ich mich immer wieder frage, wie viele Tage, Wochen, Monate, Jahre ich noch haben werde, um all die Dinge zu tun, die ich noch vorhätte. Nun ja, wir werden sehen. Einstweilen füllt sich mein Sonntag mit Schreiben. Ich wünsche euch einen gediegenen Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Am Ende des Tages…

…ist eine Formulierung, die ich wohl allzu oft in meinen Vorträgen benutze. In meiner Diktion meinen diese Worte, dass man jetzt einen Flow of Events, einen Handlungsstrang, oder eine Abfolge von Erkenntnissen subsummiert und zu einem (vielleicht nur vorläufigen) Ergebnis kommt, an dem man sich dann orientieren kann; oder halt auch nicht. Ich habe eine ganze Menge solcher sprachlicher Maniriertheiten, die meine Kommunikation mehr oder weniger dekorativ garnieren. Sie sind in aller Regel hörbarer Ausdruck meines Bemühens, die Menge der “Ähms” und “Öhms” und “Hms” zu minimieren, welche etwa Edmund Stoibers öffentliche Verlautbarungen stets zu einem recht schmerzhaften Akt des Fremdschämens haben degenerieren lassen. Wenngleich er da definitiv nicht der einzige Politikoide war und ist, bei dessen Verbalabsonderungen man ein Bügeleisen für die Fußnägel brauchte! Solche sprachlichen Wendungen entstehen zumeist als eine Art Ersatzhandlung für die geistige Leere, welche man mit wenig Mühe durch das Gestammel blitzen sehen kann. Das passiert, wenn man sich mit den Inhalten, über die man gerade gerne sprechen möchte gar nicht mal so gut auskennt – ein altbekanntes Kennzeichen des Politikbetriebes, dessen öffentliches Frontend von der regelmäßigen Absonderung inhaltsleerer, nutzloser, überwärmter Sprechblasen gekennzeichnet ist. Hauptsache, man bleibt im Gespräch. Heutzutage ist etwa Jens Spahn eine besonders widerliche, nervtötende und mittlerweile auch deutlich rechtsauslegende Luftpumpe. Na ja, dumm gebabbelt is glei…. Kommen wir lieber zurück zum eigentlichen Thema: Je länger und häufiger man das Vortragen übt, desto leichter wird es, den Sprechrhythmus an die eigenen Denkmodalitäten anzupassen, sofern überhaupt welche vorhanden sind. Insbesondere bei Themen, die ich oft referiere gibt es ein ganzes Repertoire nach Inhalten indexierter, wiederkehrender Textschnipsel, die ich, gleich den Erzählenden des alten Griechenland, die sich ganze Epen merken konnten, memoriere, indem ich spezielle Muster narrativer (Über)Zeichnung benutzte, um für mich selbt den Inhalt besser strukturieren zu können. Und zu diesen Mnemo-Techniken gehört eben auch, dass man Sprechpausen, die schlicht durch bloßes Nichtwissen der nächsten passenden Formulierung entstehen würden, nicht durch die Übersprungshandlung “Ähm” zu überdecken versucht. Viel zu viele Menschen vergessen nämlich mittlerweile, das auch Stille ein Teil des Sprechens sein kann…

Was im Kleinen funktionieren würde, wenn man sich denn öfter dazu hinreißen ließe, nicht einfach unbedacht drauf los zu reden, sondern versuchte, seinem Vortrag eine Struktur zu geben und mit einem gewissen Vorlauf schon wüsste, was man als Nächstes sagen wollen würde – also ohne “ÖHM…” auf den Punkt zu kommen versuchte – würde auch in größeren Gebilden durchaus Sinn ergeben können. Der Begriff Ohm bezeichnet nicht umsonst die Einheit für den Widerstand; in diesem Fall für den Widerstand der eigenen Blödheit gegen einen stetigen und sinnhaften Sprachfluss. “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold” ist ein Sprichwort, dass im Zeitalter dauerhaften, ubiquitären, multimodalen Senden-Müssens offensichtlich LEIDER so gut wie keinen Stellenwert mehr besitzt. Anders lässt sich es nicht erklären, dass so viele Leute es nicht beherzigen, einfach mal die Fresse zu halten, wenn sie von irgendwas überhaupt keine Ahnung haben. Nun macht unsere heutige Antisocial-Media-Landschaft es einem auch nicht leicht, herauszufinden, ob jemand Ahnung von irgendwas hat, oder eben nicht. Und genau darin liegt die größte Gefahr von Antisocial-Media: einfach jeder Depp kann zu jeder Zeit jedwede noch so absurde Scheiße absondern und irgendwelche kognitionsallergischen Online-Subsistenzen feiern ihn dafür ab: ich präsentiere Andrew Tate…, oder die AfD…, oder einen großen Haufen sogenannter Coaches auf Insta… – Graumsankeitsgruseln inclusive. Case closed, da quod erat demonstrandum. Am Ende des Tages ist es also oft schlicht Glück oder Pech, auf welchen Blödsinn wir zuerst reinfallen, oder auch nicht. Es sei denn, wir beginnen uns selbst, gegen die ganze Bullenscheiße zu imprägnieren. Dafür gibt es aber nur einen einzigen Weg: sich von der Couch in der Komfortzone zu erheben, hinaus in die wahre Welt zu gehen, sich Wissen und Erfahrungen zu eigen zu machen und so die Fähigkeit zu erwerben, sich eine ECHTE EIGENE MEINUNG bilden zu können; und diese auch zu vertreten, wenn es darauf ankommt! Dabei lernt man übrigens auch flüssig zu sprechen, indem man seine Gedanken sortiert hat, bevor man den Mund aufmacht. UND ZU WISSEN, WANN MAN BESSER NICHTS SAGT! Beides zusammen ergibt übrigens einen – beredten – Hinweis auf das Vorhandensein von Tugenden wie Weisheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Aber über Tugenden, ihren heutigen Wert und wo man diese seltenen Tiere eventuell findet reden wir bei anderer Gelegenheit. Schönen Sonntag noch.

Erwachsen bilden N°54 – On Tour…

Überraschenderweise finde ich mich von Zeit zu Zeit in Settings wieder, in denen ich mich wohl fühle, obwohl diese gleichsam für mich von Ambivalenz erfüllt sind. Oder anders formuliert: eigentlich dürfte ich mich gar nicht so wohl fühlen, wie dies tatsächlich der Fall ist. Einmal mehr bin ich mit einer neuen Klasse on Tour und es ist anstrengend! Ein Zahl neuer Bekanntschaften will geküpft und gleichsam gefestigt werden, weil meine jetzige Aufgabe natürlich darin besteht, den Leutchen einen Weg in die Ausbildung hinein zu weisen und ihnen gleichzeitig zu helfen, sich selbst eine Idee davon bilden zu können, wie das alles denn funktionieren könnte. Spannend. Das fordert mich von früh bis spät, denn einerseits möchte ich einfach als Mensch natürlich nahbar genug sein, dass die neuen Schüler:innen Vertrauen zu mir fassen können – muss aber andererseits dafür sorgen, dass auch genug Respekt vor meiner Person, meinem Amt und, vor allem den ab nun anstehenden Aufgaben entsteht. Denn ohne das geht es nicht. Denn Nahbarkeit darf nicht bedeuten, die analytische Distanz zu verlieren, derer es Bedarf, um ihnen irgendwann später faire Noten geben zu können. Doch all diesen Herausforderungen zum Trotz (und obwohl ich nebenher auch noch andere Amtsgeschäfte aus der Ferne erledigen muss) fühle ich mich wohl, weil ich zu bestimmten Zeiten einfach die Tür zu machen, für mich sein, nachdenken und die Dinge analysieren kann. Ich bemerke, dass ich es oft noch schöner fände, NUR allein für mich und kreativ sein zu können. Aber gerade jetzt formen sich spannende Beziehungen, was der Geschichte ein hoch spannendes Element gibt.

Ich habe den neuen Schüler:innen gegenüber gestern von meiner ganz persönlichen, total subjektiven “Three-Strikes-Regel” erzählt: jeder Mensch bekommt von mir einen Grund-Vorschuss an Vertrauen und Respekt – aber wenn jemand dreimal verkackt, ist es rum mit Vertrauen und Respekt. Ab dann gilt wieder die Grundannahme, dass Menschen, so ganz grundsätzlich betrachtet schon ganz schön Scheiße sind. Man muss sich – insbesondere als Pädagoge, aber auch in anderen Funktionen – gestatten, die weitaus meisten Menschen zu hassen, wenn man die wenigen, die einem wirklich anvertraut werden mögen können soll. Denn wir haben zu jeder Zeit nur eine bestimmte Menge an Liebe (oder Vertrauen, Respekt, Zuneigung, etc.), die wir geben können; um diese Vorräte, und damit auch sich selbst, nicht zu erschöpfen, muss man mit derart kostbaren Gütern sparsam umgehen. Was für meine aktuelle Situation bedeutet, dass ich einmal mehr versuchen muss, herauszufinden, mit was für Menschen ich es gerade zu tun habe. Und ob diese – auf längere Sicht – meine Mühen und mein gegebenes Vertrauen wert sein werden. Man kann, nein MUSS, sicher trefflich darüber streiten, WIE NAHE man solche “Schutzbefohlenen” an sich heran lässt; Stichwort analytische Distanz. Doch am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen. Und so versuche ich, die private Person von der Funktionsperson auch durch äußerliche Zeichen, wie etwa das Tragen (oder auch NICHT-TRAGEN) von Dienstkleidung zu trennen, damit es einfacher wird, zu verstehen, dass ich als Privatperson u. U. eine Meinung haben darf, die ich vielleicht im Lehrsaaal so nicht vertreten würde, weil es der falsche Platz dafür wäre (etwa in politischen Fragen). Und dass ich – überraschend, aber dennoch wahr – auch (nur) ein Mensch bin.

Wohin führt uns das alles nun? Erstens zu der eher wenig überraschenden Erkenntnis, dass ich immer häufiger feststellen muss, dass ich mit meinen ernergetischen Reserven besser haushalten sollte; wie auch immer das gehen kann. Denn all die sozialen Kontakte kosten mich Kraft, die sich oft nur langsam regeneriert. Zweitens mache ich jedoch die – wirklich – ungewöhnliche Feststellung, dass der Umgang mit der neuen Klasse mich nicht nur Kraft kostet, sondern mir auch welche zurück gibt! Die Impulse, welche ich in den letzten Tagen auf vielfältige Art mitgenommen habe – auch, wenn es natürlich immer Zielkonflikte gibt, zwischen Lehrkraft und Schüler:innen – machen mich zuversichtlich. Mit neuen (jungen) Menschen darf man ab und an auch interessante Einblicke, Ideen und Energien mitnehmen. Das ist es, was den Beruf für mich immer noch zu etwas Besonderem und damit zu meiner Berufung macht. Klingt euch das jetzt doch zu pathetisch? Fuck it – und wenn schon! Es ist meine Wahrnehmung und die darf ich behalten. In diesem Sinne auf zum Endspurt und euch da draußen so langsam schon mal (f)rohe Ostern.

Auch als Podcast…

Absurdistan ist zurück N°2 – Erfolgversprechend…

“Ich bin…” spricht jener “… zum Erfolge verpflichtet, daher gewährt mir die Bitte, gebt mir ein paar Berichte, bis ich endlich versteh, was ich eigentlich verrichte!” Der Schiller – so sollte man wohl hoffen – wird dem Autor irgendwann vergeben können, auch wenn diese (V)Ferse mehr Archill gebühren, als einem Dichterfürsten. Ort der Tragödie – nicht nur dieser einen, sondern auch manch anderer – war (oder ist immer noch) ein Raum, welcher, gemeinhin herkömmlich der Bildung gewidmet, so doch gelegentlich auch der Introspektion der Bildenden dienen mag und somit nicht nur gemeinhin, sondern auch gemeinerweise dem Arbeitsumfelde zuzurechnen sei. Jener Sphäre der angeblichen Selbstverwirklichung, die doch nur dem Zwecke dient, jene 30 (oder hoffentlich mehr) Silberlinge zu erwerben, welcher es bedarf, um zu den anderen Zeiten – jenen freien, ACH SO FREIEN Stunden der Nichtnotwendigkeit, der Muße, des Spiels, des Sanges und der leiblichen Freuden nicht bei Luft und Liebe allein darben zu müssen. Doch, oh weh, der Verrat an sich selbst geht noch weiter, denn damit das Leben unter dem Joch jenes diabolischen Handels – gebunden durch den Mephistopheles der Abhängigkeit, im Volksmunde auch “Arbeitsvertrag” geheißen – uns nicht allzusehr drücken möchte, schufen wir uns die Legende von diesem ominösen “Sinn des Lebens”, um diese sogleich mit der ganz und gar hinterhältigen Idee zu vergiften, abhängige Lohnarbeit sei eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung; ja nun, wenn Autofahren Naturschutz sein soll und Homöopathie Medizin, können wir uns gleich noch einer weiteren Selbstlüge bedienen, nicht wahr. Doch, ach es ging ja nicht um die mentale Rahmung des Seins – von Fachleuten auch “Framing” genannt, denn Anglizismen schaffen nicht nur Schismen; manchmal sind sie einfach griffiger; wobei Griffigkeit, abseits des Küchenmessers allzu oft überbewertet wird. Nein, vielmehr geht es um Erfolg… oder das , was wir, bei Lichte betrachtet oder auch mal unter dem Mantel der Selbst- und Fremdbenebelung verborgen, stolz wie eine Monstranz vor uns hertragend, manchmal aber eher im Fahrwasser unserer überbordenden Bescheidenheit mitschwimmen lassend als positives Ergebnis unseres Tuns und Lassens erleben. Und da kannst du aber mal was erleben…!

…oder auch nicht! Denn eben in dieser lichtdurchfluteten Kemenate des Lehrens und Lernens sitzend und von Gleichgesinnten – oder zumindest gleichartig Malochenden – umgeben musste der Autor hinter, ob der supranasalen Anstrengung gerunzelter Stirne erkennen, dass es ihm an einem Sentiment des “Erfolges” nur allzu häufig mangelt. Dies soll, und das ist nicht leichthin gesagt, zum Anlasse dienen, sich mit Verve der Belebung der eigenen Affekte zu widmen. Denn wenngleich subjektiv offenkundig nicht durchlebt so werden objektiv doch sehr wohl Erfolge realisiert, die durchaus der eigenen Erbauung dienlich sein dürfen, Potzblitz! “Doch…” ertönt, Hörnerschall gleich ein erster, gar nicht so träger Gedankenfetzen aus den bislang somnambulen Tiefen des limbischen Hirnkellers “…wie geht derlei vonstatten? Reicht es” so fuhr die helle Stimme aus der Tiefe fort “… es einfach zu wollen, um ‘gut drauf zu kommen’…?” Hey, Amygdala, du kannst vielleicht selten dämliche Fragen stellen! Da kommt dem Schreiber unvermittelt ein Zitat von berühmten Ökonomen John Maynard Keynes in den Sinn “Die größte Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen!” Ja wunderbar, die Runzeln auf der Stirn können sich nach unten verkrümeln und sich in die freudigeren Fältchen um die Augen verwandeln – denn mit der Mimik wandelt sich auch das Gemüt – Lächeln macht einen glücklicher. Hinfort mit der Laudatio auf die Abgründe des Lebens; weg mit dem ständigen Kontemplieren über den eigenen Wert und Zweck, wenn doch schon lange erkannt ist, dass sich der eigene Wert im Lehren und Lernen unterdessen verwirklicht – und somit gleichsam der eigene Zweck geworden ist. In den Orkus mit den ständigen Zweifeln – und endlich herbei mit aufrechtem Rücken, erhobenem Haupt und der Erkenntnis, dass man sich auch mal selbst feiern darf – nein sogar muss!! Wie aber derlei angemessen begehen? Wie ERFOLG für sich selbst begreifbar machen?

Für den Schreiber dieser Zeilen beginnt die Reise, damit “NEIN” zu sagen. NEIN zu jenen, die alles, was man tut oder auch lässt angreifen, kleinreden, sich selbst ans Revers heften, oder zu einem ausschließlichen Teamerfolg erklären wollen. Ja, Teams sind immer stärker als Einzelkämpfer. Aber in der Mitte jedes erfolgreichen Teams, gibt es einen Nukleus, ohne den alles auseinanderbricht, weil es das Handeln dieser einen Person ist, welches ALLES zusammenhält. Nimmst du diese Figur weg, bricht der Rest in relativ kurzer Zeit sang- und klanglos in sich zusammen. Dessen muss man sich gelegentlich erinnern. Dann wird es auch wieder möglich, eigene Erfolge zu fühlen; und angemessen zu feiern. “Aber, aber, mein Freund…” höre ich nun eine andere, dunklere Stimme aus dem amygdaloiden Vorratskeller für die harten Dämpfer “… nicht gleich arrogant werden!” Da erreichst du den Autor zu spät, lieber Geist der kommenden Weihnacht. Denn der Volksmund lässt schon lange vernehmen, dass Bescheidenheit die höchste Form der Arroganz sei. Das stimmt natürlich nur, wenn man diese allen Leuten auch überdeutlich unter die Nase reibt: “Sehr her ICH bin bescheiden…” . Aber es ist schon wahr – dieses anstrengende Austarieren zwischen Höhenflug und Absturz führt wohl gelegentlich dazu, dass man nivelliert und lieber weder das Eine noch das Andere fühlen möchte, weil Hochmut bekanntlich vor dem Fall kommt; und emotionale Bruchlandungen stets das Zeug haben, einen nachhaltig zu beschädigen! Aber keine Sorge – hier wird nicht so hoch geflogen, dass die Federn sich von den Flügeln lösen könnten. Ikarus bleibt auf niedriger Flughöhe. Nur ein BISSCHEN höher als letzthin. Weil er sich das wert ist. Weil er sich das wert ein MUSS. Und… was seid ihr euch wert? Schönes Wochenende.

Erwachsen bilden N°53 – …im Spiegel

Schüler*in: "Och nö, DAS habe ich doch schon in der Schule zwei Jahre lang gehabt!" 
Ich: "Was meinst du denn?"
Schüler*in: "Na Philosophie. Und jetzt kommst du auch wieder mit 'kategorischem Imperativ' und 'Utilitarismus' um die Ecke!"
Ich. "Ja gut... wenn du das zwei Jahre in der Schule gehabt hast, dann erzähl mir doch mal, was du noch darüber weißt..."
Schüler*in: "...ähm..."
Ich: "Hat es dich denn damals interessiert...?"
Schüler*in: "...*mpfstammelmurmel*..."
Ich: "Okay... darf ich dann mit meinem Vortrag fortfahren? Und dich darum ersuchen, mir wenigstens die CHANCE zu geben, dich für das Thema zu interessieren...?

Das da oben ist mir vor ein paar Wochen so (oder zumindest so ähnlich) passiert, als ich mal wieder selbst vor einer Klasse stand. Ethik im Rettungsdienst ist nicht sexy. Zumindest nicht mal im Ansatz so sexy, wie etwa das stumpfe Ende der Nadel, der Cuffdruckmesser, oder das EKG-Papier. Schon klar. Ihr wollt richtige MEDIZIN machen! Euer Handwerk auch ausüben dürfen! Action! Um das an dieser Stelle für alle, die es interessiert – vor allem aber auch für jene, die es NICHT interessiert – noch mal in aller Deutlichkeit klarzustellen, habe ich fünf schwer verdauliche Thesen über die Arbeit (und das Lernen) im Rettungsdienst zusammengestellt. Keine Sorge, das wird keiner von diesen beknackten Listicles und die Reihenfolge ist vollkommen willkürlich gewählt, stellt also in keiner Weise ein Ranking dar. Alle ab hier getroffenen Aussagen sind mir gleich wichtig! And here comes…

  • 1. Es gibt KEINE Bullshit-Einsätze! Es gibt Low-Code-Einsätze, die vor allem unsere sozialen Fähigkeiten und unser organisatorisch-strukturelles Know-How abfragen, uns aber wenig Raum für Action-orientiertes Handeln lassen. Schlicht, weil die Notwendigkeit dazu nicht besteht. Dennoch erfordern auch diese Situationen unsere Aufmerksankeint, denn…
  • 2. Bei unserem Job geht es um die uns anvertrauten Menschen! Nicht um UNSER EGO, UNSERE Bedürfnisse (außer, abends wieder heil und gesund nach Hause kommen zu dürfen), oder UNSER Ansehen – es geht ausschließlich um die Menschen, die uns der Zufall für eine kurze Zeit anvertraut! Sie haben unsere professionelle Aufmerksamkeit verdient – bis zu dem Punkt, da sie dieses Verdienst durch eigenes Zutun verspielen. Denn wer uns absichtlich schlecht behandelt, hat unsere 100% auch nicht verdient. Dennoch sollte jeder Mensch von uns diesen Vertrauensvorschuss bekommen, der aus einem humanistischen Menschenbild erwächst.
  • 3. Wer stehen bleibt, den überholt die Welt! Wir sind stets dazu aufgerufen, uns weiter zu entwickeln. Nicht als Selbstzweck, sondern weil die medizinische Wissenschaft, in welche unser Job eingebettet ist sich – Gott sei Dank – weiter entwickelt. Und damit alles, was wir zu wissen und zu können glauben, stets nur vorläufig gelten kann. So lange, bis wir es wieder etwas besser wissen. Lernen hört damit niemals auf.
  • 4. Nachhaltiges Lernen findet NIEMALS in der Komfortzone statt! Bequem auf einer Chaiselonge hingeflezt, mit einem Tütchen Mononatriumglutamat-ertränktem, dünn frittiertem Kartoffelmatsch in der einen und einem mehr oder weniger Zucker- und/oder Hopfenhaltigen Erfrischungsgetränk in der anderen Hand, erfahren wir bestenfalls Mattigkeit, aber keine Entwicklung. Denn Entwicklung erfordert ernsthafte Aktivität, gepaart mit Reflexion derselben!
  • 5. Wir sind IMMER nur im Team stark! Keiner von uns kann die Welt (oder auch nur einen einzigen Patienten) alleine retten! Keiner von uns ist stark genug, ALLES, was der Zufall uns zusammen mit unseren Patienten serviert (a.k.a. Elend, Einsamkeit, Gewalt, Misshandlung, Tod und noch vieles Andere) immer und überall nur mit sich selbst abzumachen. Wer das wirklich glaubt, tut sich selbst Gewalt an…

Und was hat das nun mit Ethik zu tun? Warum behandelt man das Thema Ethik überhaupt im Unterricht aller Gesundheitsfachberufe? Die Antwort ist einfach – weil unser ganzes berufliches Handeln überhaupt nur im MITEINANDER denkbar ist. Und weil Ethik das MITEINANDER aus verschiedenen Perspektiven denkt und uns so Hilfestellungen gibt, unsere eigene Haltung zu den Menschen, zum MITEINANDER und zu allem anderen Anderen zu entwickeln und zu festigen. Denn ohne eine differenzierte HALTUNG gibt es keine Professionalität! Diese entsteht aber nur, indem man sich mit dem eigenen Handeln, dem, was man so alles zu wissen glaubt und dem, wovon man bislang überzeugt ist AKTIV auseinandersetzt – gerne auch im Diskurs mit Anderen, die vor den gleichen Aufgaben stehen. Andernfalls bleibt man stehen, wird zum Einzelkämper (oder Einzelliegenbleiber), versteht niemals, warum man in bestimmten Situationen gegen die eigenen Interessen (und evetuell auch die der Patient*innen handelt) – und verzweifelt irgendwann in der Folge an seinem Job. Was dann zu Folge hat, dass man sich etwas Anderes sucht, oder aber durch sein zynisches, misanthropes Handeln irgendwann im den Untiefen des Ausgebranntseins auf Grund läuft. Oder was glaubt ihr alle, warum die durchschnittliche Verweildauer von Notfallsanitäter*innen in Deutschland bei lausigen 8 – 11 Jahren ab Start der Ausbildung liegt? Das liegt NICHT daran, dass Hunderte von NotSans im Knast sitzen würden, weil der Job so große Rechtsunsicherheit mit sich bringt – DAS ist Bullshit. Es liegt auch nicht daran, dass die Arbeitsbedingungen so furchtbar wären – ich kenne kaum einen anderen Job, in dem ich SO selbstbestimmt meine Arbeit erledigen kann, wie im Rettungsdienst. Geht mal eine Woche mit Gerüstbauern mit.

Es liegt daran, dass nicht genug Sorgfalt auf die Auswahl der Auszubildenden gelegt wird! Daran, dass immer noch zu viele Berufsfachschulen ein vollkommen falsches Bild der späteren Tätigkeit vermitteln und ihren erzieherischen Auftrag nicht wahrnehmen! Und schließlich daran, das eine erhebliche Zahl von Kollegoiden da draußen, die sich in ihrem Ausgebranntsein regelrecht suhlen den jungen Leuten – vollkommen unreflektiert – als schlechtes Vorbild dienen! Übrigens auch solche, die eigentlich als Rolemodel eine herausgehobene Stellung innehaben – nämlich Praxisanleiter*innen. Da könnt ich schreiend davon laufen! Kommt doch mal allesamt aus der Komfortzone und entwickelt euch weiter. Ihr werdet euch wundern, was dann plötzlich alles möglich wird; aber eben nur, wenn man nicht unreflektierte Faulheit mit Effizienz verwechselt. Schönes Wochenende…

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°52 meets New Work N°22 – Dienst nach Vorschrift?

Ich hatte neulich ein interessantes Meeting, bei dem einige Menschen anderen Menschen mal offenbart haben, wie viel Vorbereitung wirklich dahinter steckt, ordentlichen Fach- Unterricht machen zu können. ICH merke ja auch immer wieder, dass Leute tatsächlich glauben, ICH könnte alles Mögliche on a moments notice aus dem Ärmel schütteln – was vollkommener Quatsch ist. Ich muss mich genauso hinsetzen, eine Unterrichtsverlaufs-Planung schreiben, die passenden Einzelmethoden auswählen und – sofern es sich um theoretischen Unterricht handelt – den Content erstellen, wie jede:r andere auch. Okay, bei Unterrichten, die ich schon öfter gehalten habe, fällt vielleicht nicht mehr die GANZE Vorbereitungsarbeit an. Dennoch muss ich mich jedesmal neu reindenken, evtl. beim letzten Durchlauf aufgelaufenes Feedback integrieren und meine Materialien prüfen. Überdies entwickle ich für das Verständnis der Schüler:innen gerne Übersichten an der Metaplanwand, was bedeutet, dass ich auch jedes Mal meine Kärtchen neu schreiben muss. In aller Regel morgens, direkt bevor der Unterricht losgeht. Lehrkräfte mit noch nicht so fest eingeübten Abläufen brauchen aber länger für so was. Und nicht selten muss man sich selbst noch mal seines eigenen Wissens versichern, bevor man überhaupt daran denken kann, sich zu überlegen, wie man dieses eigene Wissen und die Skills für andere begreifbar machen könnte. Ich muss hier noch mal an die konstruktivistische Sichtweise auf Pädagogik erinnern: wir bringen niemandem etwas bei; wir bereiten lediglich den Boden, auf dem die Schüler:innen ihre jeweils eigene Wissensernte einfahren können! Wozu es im übrigen der Mitarbeit bedarf. Aber darüber habe ich an anderer Stelle schon sattsam gesprochen…

Arbeitgeber gehen oft naiv davon aus, dass ein Fachlehrer sich 35h die Woche in den Lehrssal stellt und in der verbleibenden Zeit nebenbei alles erledigt, was halt so anfällt: Unterrichtsvor- und nachbereitung, Korrespondenz mit den betrieblichen Ausbilder:innen und den amtlichen Regulierungsbehörden, Führen der Zeitnachweise und Klassenbücher, anlassbezogene Gespräche, bewertende Arbeitsbesuche, Korrektur von Klassenarbeiten, Staatsexamina und so weiter und so fort. Und da ist einspringen wegen Krankheit o. Ä. noch nicht inkludiert. Jede:r, die/der schon mal eine Klasse gemanaged haben, liegt jetzt vor Lachen gekrümmt unterm Schreibtisch, weil allen, die schon mal in diesen Stiefeln marschiert sind sofort und intuitiv klar ist, dass DIESE ANNAHME RIESENGROSSE, DAMPFENDE BULLENSCHEISSE IST! Die Fachlehrkräfte, mit denen ich bekannt bin, reden nicht über ihre Stundensaldi, sondern machen ihren Job. Aber der Krug kann nur so lange zum Brunnen gehen, bis er bricht. Was bedeutet, dass in dem oben erwähnten Gespräch ein Wort mit besonderer Häufigkeit vorkam: Überlastung! Und wir reden hier nicht über Heulsusen, sondern über ein Team, dass in der jüngeren Vergangenheit außergewöhnliche Belastungen einfach weggeatmet hat! Womit wir bei dieser Dienst-nach-Vorschrift-Diskussion wären, die derzeit Dank der häufig replizierten Gallup-Umfrage durch die Medien schwappt. Die Mitarbeiter deutscher Unternehmen hätten demnach im Mittel keine emotionale Bindung zum Unternehmen mehr und machen daher halt – ja genau: Dienst nach Vorschrift. Und natürlich schwingt in verschiedensten Einlassungen zum Thema stets dieser implizite Vorwurf der FAULHEIT mit. Nicht umsonst hat die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen dieser Tage nach dem Verzicht auf einen Feiertag gerufen, weil wir die Kosten des von der dräuenden SchleNeKo (Schlechte Neue Koalition) ausgehandelten “An-der-Schuldenbremse-vorbei-Sondervermögens” durch mehr Leistung ausgleichen müssten. Das einzige, was Frau Schnitzer dabei versteht ist Trickle-Down. Was allerdings bis heute nachweislich nicht funktioniert hat; sie redet also mit anderen Worten einer noch schnelleren Umverteilung von Unten nach Oben das Wort. Die Fresse halten soll dieses dämliche, überbewertete Fossil! Wir arbeiten angeblich zu wenig, sind nicht produktiv genug und überhaupt fordern wir Arbeitnehmer immerzu viel zu viel. Und dann kommt man auch noch mit der angeblich mangelhaften Arbeitsmoral um die Ecke!

Ich habe da einen etwas anderen Blick drauf, der sich übrigens in einigen Punkten mit dem der Fachjournalistin Diana Dittmer deckt: Mein Arbeitsplatz ist nicht meine Familie und am Ende des Tages ist meine Anstellung ein Handel auf Gegenseitigkeit: Lebenszeit gegen Kohle! In KEINEM Arbeitsvertrag steht was davon, dass ich meinem Arbeitgeber mehr schulde, als die vertraglich vereinbarten Stunden und die üblichen Loyalitätspflichten: nicht klauen, keine wirtschaftlich relevanten Interna ausplaudern, den Arbeitgeber nicht öffentlich diskreditieren, die Arbeitszeit auch wirklich mit Arbeit und nicht irgendwelchen Kinkerlitzchen füllen, mit den Kollegen professionell umgehen – egal, ob ich diese nun leiden kann, oder eher nicht. So weit – so normal. Doch es scheint heute üblich zu sein, implizit mehr als das zu erwarten und Menschen nur dann als performant wahrzunehmen, wenn sie “die Extrameile gehen”. SCHEISS AUF DIE EXTRAMEILE – WELCHE EXTRAMEILEN GEHT MEIN ARBEITGEBER FÜR MICH? Ich meine abseits dessen, was er um’s Verrecken nicht verhindern kann, weil wir evtl. heute in meiner Branche von einem Arbeitnehmer-Markt sprechen müssen? Mein Arbeitsplatz nimmt mich nicht in den Arm, wenn es mir schlecht geht! Mein Arbeitgeber stellt es mir nicht frei, zur Burnoutprophylaxe am Fluss spazieren zu gehen, auch wenn ich letzthin häufig das dringende das Bedürfnis dazu habe! Meine Arbeit gibt mit nur einen begrenzten Teil des Sinnes, den ich in meinem Leben sehen möchte! Manche Vertreter meines Arbeitgebers benutzen das Wort “Danke” gerne und ausgiebig (auch, weil es nichts kostet) – andere widerum würden sich eher die Zunge abbeißen, bevor sie zu MIR wirklich freundlich sind; oder die erbrachten Leistungen wirklich anerkennen.

Ich schulde meinem Arbeitgeber folglich genau das, was im Vertrag steht: 40h die Woche präsent, performant, perzeptiv und professionell zu sein. Nicht weniger – aber auch keinesfalls mehr. Und was für mich gilt, gilt für ALLE ANDEREN ebenso. Denn tatsächlich leisten nämlich sehr viele Menschen schon sehr viel mehr, als sie müssten; und manchmal auch, als sie eigentlich könnten. Und diese Menschen fühlen sich von dem realitätsfernen, arroganten, unverschämten Geschwafel möchtegernwichtiger, nutzloser “Elitenvertreter” regelmäßig beleidigt. Wo stehen wir also? Ganz einfach an dem Punkt, an dem die ganzen abgehobenen Wirtschaftslobbyisten, ultraneoliberalen Gierschlünde und ihre willfährigen Helferlein aus dem “Polit-Establishment” verstehen müssen, DASS ES KEIN ZUERÜCK BEI DEN ARBEITNEHMERRECHTEN GIBT! ENDE! DER! DISKUSSION! Wenn ihr meint, wir fleißigen kleinen Ameisen hier unten kriegen es nicht hin, dann kommt doch mal von euren hohen Thronen herunter, krempelt die Ärmel hoch und zeigt uns, wie viel ihr selbst zu geben bereit seid! Denn wirklich geführt wird einzig allein von vorne; und zwar durch Leader, die nicht ein Jota mehr verlangen, als sie selbst zu geben bereit sind! Derweil mache ich Dienst nach Vorschrift – ich leiste, wofür ich bezahlt werde, erledige derweilen, was zu tun ist, um den Laden am Laufen zu halten – und wenn ich nach Hause komme, dann lebe ich mein Leben. Und das weitestgehend unberührt von der Arbeitswelt. Denn das bin ICH mir wert! In diesem Sinne, auf zu einer neuen Woche im Hamsterrad… wir sehen uns!

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