Ich mache mir da keine Illusionen – ich habe in meinem Leben schon ziemlich viel gewollt und doch nur wenig geschafft. Zumindest rede ich mir das ein. Könnte natürlich daran liegen, dass ich mir meine Ziele regelmäßig zu hoch stecke. Oder vielleicht doch eher an einem Zuviel? Zu viele Ideen und zu wenig Zeit. Zu viele Anforderungen und zu wenig Fertigkeiten. Zu viele Luftschlösser und zu wenig Realitätsmörtel. Keine Ahnung, wahrscheinlich von allem ein bisschen was. Oder liegt es doch eher daran, dass ich die Dinge in einem zu pessimistischen Licht sehe? Wenn man sich auf die Suche nach richtig guten Ergebnissen begibt, bleiben zwangsläufig Erfolge auf der Strecke, weil man sich und seine Möglichkeiten in aller Regel NICHT korrekt einschätzen kann. Das ist nicht böse oder bitter, sondern eine einfache Wahrheit. Es ist uns Menschen leider nicht gegeben, uns selbst wirklich objektiv und realistisch zu reflektieren. Und da ich ein Mann bin, habe ich es doppelt schwer, weil ich mich natürlich immerzu mit den anderen Männchen messen muss… oder zumindest behauptet das die Psychologie. Männer sind durch ihren kompetitiven Habitus quasi automatisch sozial benachteiligt!
Abseits dieser Behinderung gebricht es uns Zivilisationsmenschen, meiner Erfahrung nach, aber vor allem am Vertrauen auf unsere Intuition, unsere Instinkte. Wir verlassen uns so sehr auf Gadgets, legen soviel Wert auf Besitz und Zertifikate und schauen immerzu auf Kontostände – insbesondere Die der Anderen! – dass wir gar keine Zeit und auch gar kein Gespür für den rechten Moment und keinen Maßstab für unser Wollen mehr haben. Das Haben Wollen und das dafür notwendige Können stehen nicht mehr in einem günstigen Verhältnis zueinander. Der aufmerksame Zuhörer wird jetzt fragen, wie ich vom Können Wollen so direkt auf’s Haben Wollen komme? Weil die meisten von uns das so oft miteinander verwechseln. Man kann dem Anschein nach keine Befriedigung aus der Lösung einer Aufgabe mehr ziehen, sondern interessiert sich nur noch für die Belohnung. „Der Weg ist das Ziel!“ verkommt, zumindest meinem Gefühl nach, immer mehr zu einer Floskel aus der Vergangenheit.
Aber was passiert, wenn die Ablenkungen, die meiner Betrachtung nach ja eher materieller Natur sind, reduziert werden? Schaue ich zu Menschen, die weniger haben als ich, so rückt zumeist der Umstand in den Fokus, dass deren Verzicht in irgendeiner Form erzwungen ist und diese Menschen ebenfalls gerne etwas mehr hätten, egal wovon. Wobei die Qualität dieses erzwungenen Mangels sehr unterschiedlich sein kann. Jemandem, der Hartz 4 bekommt, geht es, gemessen an den sonstigen Verhältnissen bei uns materiell schlecht. Im Vergleich mit Bürgerkriegsflüchtlingen im Südsudan jedoch…; nun ich denke, hier kann ich mir weitere Ausführungen sparen. Ist der Verzicht so groß, dass existenziell bedrohliche, materielle Not entsteht – und genau das ist ja an vielen Orten rings um den Globus der Fall – wird sichtbar, dass ein derartiges Zuwenig den Menschen seine Würde und damit auch seine Humanität vergessen lässt. Anders sind die Grausamkeiten, welche sich zum Beispiel die unterschiedlichen Volksgruppen in Schwarzafrika antun, kaum zu erklären.
Das Fremde, gleich in welcher Gestalt es daher kommt, wird mir immer dann zum Feind, wenn meine eigene Situation subjektiv schlecht ist, wobei vollkommen unbeachtlich bleibt, ob der zum Feind erklärte Fremde an meinem Unglück nun schuld ist, oder nicht. Es gibt allerdings auch hier qualitative Unterschiede. Menschen aus unseren Breiten, die ins soziale Aus geraten, wählen ganz gerne rechtspopulistische Parteien, weil deren Vertreter ihnen in den Fremden eine ideale Projektionsfläche für die Scham ob des eigenen Versagens bieten. Oder einfacher gesagt: Wenn du dich Scheiße fühlst, tritt einen Anderen so tief in den Dreck, dass du auf ihn herab sehen kannst, dann geht es dir gleich besser! Im Südsudan, wo die Menschen wirklich nichts mehr zu verlieren haben, eskaliert die Verzweiflung so sehr, dass man die Mitglieder eines anderen Stammes tötet. Der Mechanismus ist der Gleiche, die Ergebnisse differieren allerdings (noch) dramatisch. Warten wir hier bei uns lange genug, haben wir vielleicht auch wieder braunes Gesocks auf den Straßen, das Menschen verschleppt…
Aber ich schweife mal wieder ab. Ich denke allerdings, dass jeder Mensch – egal ob im Großstadtghetto oder im Südsudan (man möge mir das Hantieren mit Klischees verzeihen, aber manchmal sind sie hilfreich) – von einem gewissen Streben getrieben wird. Und bei jedem von uns hat Dieses eine materielle und eine ideelle Seite. In der Materiellen realisiert sich unsere Subsistenz, also der Broterwerb, der Familienunterhalt, bei Einigen auch die Ansammlung von Wohlstand. In der Ideellen jedoch realisiert sich der Sinn unserer Existenz. Zumindest ist das bei mir so; aber ich vermute, dass ich diesbezüglich nicht alleine bin. Ich gehe arbeiten, weil man Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, etc. braucht. Das sind Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Ich lese, studiere, blogge aber, weil ich mehr sein möchte, als ein Angestellter im Gesundheitswesen; mehr erreichen möchte, als irgendwann meine 45 Jahre abrobotet zu haben. Sehr wahrscheinlich schwingt da auch ein gewisses Geltungsbedürfnis mit, schließlich muss ein bisschen Egogewichse dann und wann erlaubt sein, aber in erster Linie tue ich das, weil es mir Sinn gibt. Allerdings resultiert daraus in meiner Denke auch eine Verpflichtung gegenüber Jenen, die nicht das Privileg haben, ihren Neigungen und Ambitionen nachgehen zu können. Die Verpflichtung, sie an meinen Erfolgen teilhaben zu lassen. Und darum will ich immer mehr, immer weiter.
Wenn ich also zu Beginn feststellen musste, dass ich schon oft zuviel gewollt habe, so steht dahinter stets dieser Drang, etwas erreichen zu wollen, auch wenn es sich vielleicht im Nachhinein als Spleen, als fixe Idee oder als schlichter Blödsinn herausstellen mag. Ohne dieses Feuer, dieses Getriebensein fühle ich mich nämlich leer und nutzlos. Dabei allerdings die individuelle Balance zwischen der ideellen und der materiellen Seite des Wollens zu finden, gelingt nicht immer auf Anhieb, manchmal auch gar nicht. Achtsamkeit gegenüber beiden Bedürfnissen walten zu lassen bedeutet nämlich manchmal freiwilligen Verzicht; und wie schwer der uns Menschen fällt, wie schwer der mir selbst fällt, ist immer wieder erstaunlich… und ernüchternd. Ich muss jetzt aber trotzdem wieder etwas wollen, nämlich zum Ende kommen, daher Gott zum Gruße und viel Spaß beim Begutachten der eigenen Motivation.