Selbstoptimierungszwang also? Getrieben von der dringenden Notwendigkeit, irgendwelchen fremdbestimmten Idealen hinterher rennen zu müssen, geißele ich mich nun unablässig mit dem Müssen? Mehr arbeiten müssen, abnehmen müssen, politisch korrekt sein müssen, der Gesellschaft dienlich sein müssen…? Also ganz ehrlich, da halte ich es lieber mit der Band „Großstadtgeflüster“ und deren Song „Ich muss gar nix!“ Die Darstellung des gedanklichen Konzeptes „Besser werden“ in den verschiedensten Medien, im Rahmen von Workshops und Trainings wird ideengeschichtlich mit dem Aufkommen der Allgemeinen Pädagogik z.B. durch die Arbeiten Johann Friedrich Herbarts verknüpft. Erst mit der Aufklärung trat die Idee in die Welt, dass es ein individuelles, nicht mit der christlichen Lehre verknüpftes Schicksal gibt, dass jeder – zumindest ein Stück weit – selbst bestimmen kann.
Denn erst mit einer individuellen Perspektive auf die Zukunft, die sich nicht durch die Beurteilung des Umfangs der, im Laufe der irdischen Existenz angehäuften Sündenlast beim jüngsten Gericht realisiert, wurde der Blick frei für die Entwicklung, die der Einzelne in Laufe seines Lebens nehmen kann. Die Veränderung weg von einer vormodernen Stände-Gesellschaft hin zur Demokratie beschleunigte diese Entwicklung. Doch mit der Freiheit von religiös motiviertem Fatalismus traten neue Zwänge auf den Plan. Mit der weiter bestehenden Notwendigkeit, einen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen und dem Wegfallen der alten Strukturen war die Aushandlung neuer Strukturen eine logische Konsequenz.
Aus dem Adel wurden die Unternehmer, aus den Bauern die Arbeiter, etc. Mit der zunehmenden Demokratisierung wurden bestimmte Probleme dieser neuen Strukturen (soziales Elend durch wirtschaftliche Abhängigkeit, etc.) zwar gedämpft, doch ein Zwang blieb übrig, der in den letzten zehn bis fünfzehn Generationen zum Leitmotiv unseres Zeitalters wurde: der Zwang zur Leistung! Zwar wurde dieser immer wieder mit dem Versprechen auf die Linderung, ja sogar die Aufhebung sozialer Ungleichheit verknüpft, doch wurde dieses Versprechen bis heute nicht eingelöst. (Hierzu mehr bei Harald Welzer, S. 15ff.)
Besser werden bedeutet für die allermeisten Menschen heutzutage, in den Wettbewerb mit dem Mainstream um die Werte des Mainstreams zu treten: Aufstieg durch Leistung, dadurch die Möglichkeit mehr zu konsumieren, was den Wunsch auslöst, noch mehr, noch anderes konsumieren zu können, was zu dem Antrieb führt noch mehr zu leisten, um… Man nennt so etwas einen Circulus Vitiosus, insbesondere da der Schluss, dass mehr Leistung zu mehr Einkommen und damit zu mehr Bedürfnisbefriedigung führt ein doppelter Trugschluss ist; zum einen führt ein Mehr an Leistung nur in eher schmalen Grenzen zu mehr Einkommen, oft aber zu viel mehr Arbeit und damit Last und zum anderen ist unser Belohnungszentrum ein Arschloch! Das Wettrennen um den besseren Job nutzt nur dem Boss, da es für die Teilnehmer, zumindest bezogen auf die Hirnfunktion ähnlich abläuft, wie Zwangsstörungen, oder Süchte: mehr Befriedigung löst einen Kick aus, der nach noch mehr Befriedigung verlangt. Das logische Ziel, wenn man sich nicht zur rechten Zeit unter Kontrolle bringt: eine Erschöpfungsdepression oder ein Burnout! Um diesem Blödsinn zu entgehen, sind aus meiner bescheidenen Sicht mehrere Dinge notwendig:
a) Klare Ziele, wobei ich mir den Topf nicht zu hoch hängen sollte.
b) Regelmäßiges Self-Assessment. Wo stehe ich? Wie fühle ich mich?
c) NEIN sagen lernen! Ich bin mir selbst und den anderen nur nützlich, wenn ich lange genug leistungsfähig bleibe, auch mittel- und längerfristige Zielsetzungen umsetzen zu können.
d) Zeitmanagement lernen. Wofür brauche ich wie lange? Wie viel davon passt in einen Tag? Was muss heute, was kann auch morgen (oder später)?
e) Effizienter werden. Lange im Büro zu sitzen (oder sonstwo) bedeutet mitnichten, dass auch viel erledigt wurde.
f) Falls irgendwie möglich prokrastinieren, wenn die Konzentration sinkt!
All das ist logisch, man braucht dafür eigentlich keinen Coach, keine teuren Ratgeber-Bücher, keine Workshops und auch keine teuren Gimmicks. Aber da wir Menschen manchmal nicht ohne unsere Fetische können: bitte, gebt euer sauer verdientes Geld für Gimmicks aus, die euch dabei helfen, euch besser zu fokussieren, damit ihr leistungsfähiger werden und euren Ertrag auf dem Arbeitsmarkt steigern könnt, damit ihr euch noch bessere Gimmicks…! Schon kapiert oder?
Besser werden bedeutete NICHT mehr arbeiten! Besser werden bedeutet, alles, was man tut bewusster und gewissenhafter zu tun. Dann wird es ganz von selbst auch besser. Schönen Tag noch, ihr I-Phone-Lover…