New Work N°1 – No Work-Life Balance?

Immer mal wieder, wenn ich durch Fratzenbuch skimme und mich zur Abwechslung mal nicht über Covidioten und/oder Rassisten ärgern muss – was in letzter Zeit nur SEHR selten vorkommt – stolpere ich über dämliche Ratgeber-Verkäufer mit noch dämlicheren Titeln wie „Gelddasbuch – mehr Zeit & mehr Leben“. Kennt ihr auch, oder? Soll Menschen geben, die solchen Heilsversprechen, von zu Hause ganz schnell ohne Aufwand viel Geld verdienen zu können, tatsächlich glauben. Die glauben aber auch, dass der Storch die Ostereier bringt…

Mein Verhältnis zu Ratgeberbüchern im Allgemeinen habe ich, so glaube ich, ausreichend dargelegt: alles Bullshit! Nun setzt Ärger über solcherlei unnötige Belästigung im Netz bei mir aber unweigerlich Denkspiralen in Bewegung. Die oben genannte Anzeige kommt nämlich mit einem rührselig-dämlichen Text daher, der Lohnarbeit als verschwendete Lebenszeit darstellt. Und unsere kulturelle Prägung scheint in der Tat so gepolt, dass wir Freizeit als das einzig glückselig machende Momentum unseres Lebens begreifen. Roboten von Montag – Freitag, um am Wochenende (wahlweise auch unter der Woche Abends) die Sau rauslassen zu dürfen. „Hoch die Hände – Wochenende!“ Ich möchte ja jetzt nicht unbedingt als Spielverderber daher kommen, aber: wer in diesen 22% seines Erwachsenen-Lebens (ca. 240 Tage per anno à je 8h = 1920h/anno) gerade mal so viel Sinn sieht, dass es das Flüssig-Analgetikum für’s Wochenende bezahlt, ist ein armes Würstchen!

Die eigene Arbeit als Sinn stiftend für das Leben begreifen lernen, sich selbst dabei stets neue Herausforderungen suchen, die einem individuelles Wachstum ermöglichen, den Arbeitsplatz als lohnenden Teil seiner sozialen Umwelt wahrnehmen können, hat weder mit der Profession, noch dem formalen Bildungsabschluss oder dem Arbeitgeber zu tun; ohne Frage gibt es Arbeitsumfelder, welche die erstgenannten Qualitäten fördern können. Doch in allererster Linie hängt eine positive Wahrnehmung und Ausgestaltung der eigenen Arbeit vom individuellen Mindset ab. Und dabei ist es vollkommen egal, ob ich Chef bin, oder einfach nur Plattfuß an der Front. Ich arbeite mich da natürlich immer noch ein bisschen an dem Buch ab, auf welches ich im letzten Beitrag Bezug genommen habe. Doch ich stelle immer mehr fest, dass die dort getroffenen Aussagen sich mit meinen ganz persönlichen Erfahrungen decken.

Insgesamt sollten wir mal über realistische Erwartungen reden; also den Umstand, dass man nicht frisch von der Schule (oder Uni) sofort vom Arbeitgeber den Arsch gepudert bekommt, auch wenn man glaubt, das verdient zu haben. Oder das unterschiedliche Generationen im Betrieb unterschiedliche Formen der Arbeits-Ethik kennengelernt haben. Und das viele Arbeitgeber leider noch immer nicht begriffen haben, wie man Motivation und Engagement der Mitarbeiter so nutzbar macht, so dass es sich auch für beide Seiten auszahlt. Win-Win macht nämlich viel mehr Spaß, als jede andere, denkbare Konstellation. Das zuvor Gesagte funktioniert natürlich immer in beide Richtungen.

Gerade weil vermutlich viele Vertreter beider Seiten noch stark an ihrem Mindset arbeiten müssen, lässt sich der Kreis zur Eingangsbemerkung schlagen: es gäbe solche dämlichen Ratgeber-Bücher nicht, wenn es keinen Markt dafür gäbe, weil immer noch genug Menschen in ihrer Arbeit keinen Sinn erfahren können. Letztlich geht es dabei um die Suche nach Sinn im allgemeinen, denn es ist ziemlich enttäuschend, sich, zumindest subjektiv, nur äußeren Zwängen ausgesetzt zu sehen: Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Arbeitssoll, alles erscheint vielen Menschen als Zumutung, weil Sie den tatsächlichen Sinn ihres Tuns nicht begreifen oder erkennen können.

Reden wir mal von mir: Als Notfallsanitäter und früher Rettungsassistent war die Aufgabe eigentlich klar, auch wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich im Laufe der Zeit nicht gerade optimal entwickelt haben: Menschen in Notlagen helfen. Heute, als Erwachsenen-Pädagoge bereite ich nun andere, zumeist jüngere Menschen auf diese Aufgabe vor. Immer noch arbeite ich an Menschen mit Menschen für Menschen – und bin damit glücklich. Vielleicht, so könnte ein Beobachter sagen, liegt das auch daran, dass ich immer ein Stückchen weiter die Leiter hinauf gefallen bin. Aber ich wage jetzt einfach mal zu behaupten, dass ich mir das verdient habe. Ich habe mir nämlich immer wieder neue Herausforderungen gesucht, die mein Wachstum erst ermöglich haben.

Und doch unterscheide ich mich – zumindest subjektiv – kein Jota von irgendeinem meiner Kollegen. Jeder von denen könnte sich in alle möglichen Richtungen entwickeln. Es läge mir am Herzen, wenn wenigstens die/der eine oder andere diese Chance erkennen und sein berufliches Dasein damit etwas angenehmer, produktiver, weniger auslaugend und erfolgreicher gestalten könnte. Nur um an dieser Stelle nicht falsch verstanden zu werden: es geht mir nicht darum, dass irgendjemand mehr arbeiten soll. Sie sollen sich nur ihrer Arbeit und der Möglichkeiten, welche diese bietet bewusst werden lernen. Dann hieße es nämlich nicht mehr Arbeit gegen Leben, sondern Leben mit Arbeit! Und die Balance wäre nicht zwischen beidem, sondern in beidem zu finden. Sollte man mal drüber nachdenken, oder…?

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