Es entsteht – übrigens auch durch Zutun „der Medien“ – oft das Missverständnis, dass jeder Blogger so eine Art Bürgerjournalist sei, der sich nur sein Themengebiet selbst abstecke. Das ist, mit Verlaub riesengroßer Unfug, denn die „Arbeit“ der allermeisten Onlinetagebuchscheiber erfüllt kaum den Qualitätsanspruch, den man üblicherweise an Journalismus erhebt; dies bedeutet allerdings nicht, dass umgekehrt alle „echten“ journalistischen Angebote diesem Anspruch genügen würden. Es ist schwieriger geworden, Qualität zu finanzieren, weil viele Online-Angebote im Informationsbereich den Anschein erwecken, Qualität sei für lau zu haben. Doch eine anständige Recherche, der Zugang zu nichtöffentlichen Quellen, halbwegs vernünftiges Bildmaterial und ein fundiertes Wissen um den korrekten Gebrauch und die Wirkung von Sprache – also die Handwerkzeuge, die man benötigt, um ein gewisses Niveau überhaupt erzeugen zu können – verbrauchen Ressourcen; und die kosten Geld.
Speziell Zeitungsredaktionen sind gerade durch die Konkurrenz im Web unter Druck geraten. Viele haben dies bejubelt und im Wildwuchs „unabhängiger Informationsangebote“ im Netz einen großen Schritt zur weiteren Demokratisierung unserer Welt, zu digitaler globaler Informations- und Meinungs-Freiheit wahrnehmen wollen. Und in ihrem Freudentaumel vollkommen übersehen, dass einerseits viele dieser kleinen Plattformen so unabhängig gar nicht sind – viele Blogger lassen sich für ihre Artikel und Reviews nämlich bezahlen und manche leben von den Clicks, die für sie Werbeeinnahmen generieren, womit sie sich allerdings kaum mehr von den anderen Medienangeboten unterscheiden. Andererseits hat diese neue Konkurrenzsituation zu einer qualitativen Verschlechterung mancher herkömmlicher journalistischer Angebote geführt, denn schwindende Einnahmen haben den Druck erhöht, schnell viel Content produzieren zu müssen, um für die Werbung attraktiv bleiben zu können. Und schließlich mangelt es vielen neuen Medienschaffenden an den oben benannten grundlegenden Werkzeugen und Fertigkeiten. Es braucht halt doch etwas mehr zum Journalist-Sein, als ein bisschen Computer-Kung-Fu und ein loses Mundwerk.
Nun ist derjenige, welcher sich hier ereifert selbst kein ausgebildeter Journalist und man könnte jetzt doch mit Fug und Recht behaupten, dass ich deshalb meine Klappe zu halten hätte, oder? Nö, kann man nicht, denn einerseits behauptete ich nie, Journalist zu sein, obschon ich auch in Print-Medien schon veröffentlicht habe – sowohl journalistisch als auch Prosa – und ich verfüge zumindest über eine sozialwissenschaftliche Grundbildung. Tatsächlich aber ist dieser Blog für mich, wie bereits neulich erwähnt, eine Mischung aus Ergotherapie, Mittel der sozial-politischen Willensäußerung und Lehrveranstaltung (auch für Unbelehrbare). Doch selbst mit diesen Einschränkungen funktioniert es auch als Ort des Journalismus, so man diesem das Recht auf Meinungsäußerung des Autors zugesteht, was ja in den Stilformen der Kolumne und des Kommentars durchaus erlaubt ist, sofern man es gut sichtbar als solchen kennzeichnet. In diesem Sinne ist mein Blog auch journalistisch. Aber eben nicht nur.
Doch bevor man mich der Selbstbeweihräucherung bezichtigen kann, oder mir vorwirft, dass ich die allzu häufig einfach nur pathetischen Schreibversuche mancher Mitblogger hier böse verunglimpfe, komme ich lieber zu dem Punkt, den ich heute eigentlich machen will: auch wenn in der Tat vieles Mist ist, was in der Blogosphäre veröffentlicht wird, rechtfertigt doch die steigende Zahl wertig gemachter und auch inhaltlich wertvoller Angebote die Behauptung, dass die Bloggerei den Journalismus weiter gebracht hat. Denn mittlerweile schaut sich so manche Redaktion Tricks und Ideen bei den Bloggern ab und erweitert somit – ganz im Sinne des Kunden – ihr Kenntnis- und Fertigkeits-Portfolio. Und DAS kann doch eigentlich nur im Sinne des Konsumenten sein, nicht wahr?
Wirklich gut gemachte Blogs mit einem gewissen Anspruch erzählen die Geschichten dort weiter, wo der Mainstream, aus welchen Gründen auch immer, nicht weiter machen kann oder will und tragen so zu einer weiterführenden Pluralisierung unserer Medienlandschaft bei – und zu einer Ermächtigung der Zivilgesellschaft, indem Dinge zu Tage treten können, die „man“ lieber unausgesprochen gelassen hätte. Und mehr Transparenz bedeutet mehr Bürgermacht! Dass durch das Bloggen an sich die globale Demokratisierung befördert wird, kann ich allerdings nicht sehen, weil solche Blogs nur in Gesellschaften gedeihen können, die schon nach demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien funktionieren. In autokratischen Staaten muss das Klima des Diskurses erst entstehen, welches die Hinterfragung von Protagonisten, Zielen und Funktionen der Macht erst möglich macht. Und bis es soweit ist, landen systemkritische Blogger im Knast. Man sollte sich überdies davor hüten, jemanden, der ein System kritisiert zum heldenhaften Demokaten zu stilisieren, nur weil er das System kritisiert. Der bekannte russische Dissident Alexej Nawalny zum Beispiel hat in vielen Äußerungen eine geistige Nähe zum rechten Nationalismus offenbart, die ihn nicht unbedingt als lupenreinen Demokaten ausweist; obwohl, wenn man die Definition Gerhard Schröders zu Grunde legt…
Um zur Eingangsfrage zurück zu kommen: wir alle können Blogger gebrauchen. Wir können jene, die Unfug fabrizieren als abscheckendes Beispiel gebrauchen, uns von jenen, die einfach nur unterhalten wollen auf eskapistische Ausflüge mitnehmen lassen und von denen, die wirklich etwas zu sagen haben, können wir lernen. Doch mit den Bloggern ist es im Moment wie in der Frühzeit der großen Tageszeitungen; so mancher da draußen verbreitet seine – unter Umständen äußerst fragwürdige – Meinung, ohne dass man zwischen Fakt und Tendenz ohne weiteres unterscheiden kann. Randolph William Hearst hat so einen Krieg ausgelöst. Daher gilt es, auch und gerade bei Blogs, allzeit kritisch zu bleiben. Denn richtig gebraucht/konsumiert sind sie – zumindest meines Erachtens – eine Bereicherung unserer Medienlandschaft. Au Revoir!