Seriosität – des Bankers neue Kleider…

Schein und Sein, zwei Dinge, die untrennbar miteinander verbunden sind, denn einerseits orientieren wir uns immer noch, immer wieder und immer gerne an der Optik, um unser jeweiliges Gegenüber einschätzen zu können. Viele kleine, zumeist subtile Signale, die der Mensch aussendet, seien das unsere Mimik, unsere Gestik, unsere Pheromone, oder unsere Sprachrhythmik können wir aber nur sehr schwer, oder auch gar nicht beeinflussen, weshalb wir zu verschiedenen Mitteln greifen, um unser Aussehen zu tunen, stets in der Hoffnung, auch unser Ansehen zu tunen; was dem Sportwagenfahrer sein Spoiler, ist dem Banker sein Zwirn. Andererseits erwarten wir aber auch ein gewisses Maß an Authentizität von unseren Mitmenschen, weil unsere sozialen Sensoren ein Zuviel an Tünche über allzu wenig Substanz sehr wohl zu erkennen vermögen, auch wenn unser Verstand es vielleicht verlernt hat, unsere Regungen bezüglich einer speziellen Person korrekt einordnen zu können. Nur die Wenigsten verlassen sich heute leider noch auf das, was man gerne Intuition nennt und tun es überdies noch gerne als weiblich ab – was oft ungerechtfertigter Weise mit einer Herabwürdigung einher geht.

Wir haben unsere Welt mit Konventionen zugepflastert, zu denen seltsamer Weise gehört, dass jemand, der dem aktuellen Gepflogenheiten nach edle Kleidung trägt, mehr oder weniger automatisch als vertrauenswürdig einzustufen ist. Man könnte dahinter den kulturellen Reflex vermuten, dass man einerseits jemanden von gewissem Stand und Standing hinter dem Garn vermutet, der es gar nicht nötig hat, mich zu bescheißen. Und zum Andern hoffe ich vielleicht insgeheim, dass etwas von dem Status und Prestige auch auf mich übergehen könnte. Sicher gibt es auch noch andere Erklärungsmöglichkeiten, aber für meine weiteren Erwägungen reichen die hier vollkommen aus. Womit wir vom Schein zum Sein kämen.

Wir reden hier von jahrhundertealten Traditionen, denn dass zum Beispiel Vertreter des Geldgewerbes sich in feine Kleidung hüllen, war schon zur ersten Hochblüte der italienischen Renaissance so, als das Bankenwesen zu florieren begann. Diese hatten begonnen, den Kleidungsstil von den herrschenden Fürsten und Adligen sowie den Klerikern zu übernehmen. Für die Ersteren war es seit langer Zeit natürlicher Teil ihres Habitus, sich derart vom einfachen Volk distinguieren zu wollen, für die Letzteren schlichtes Vergessen ihrer frommen Gelübde gegenüber ihrem Herrn. Das sie eigentlich zu dienen und nicht zu herrschen hatten, vergaßen sie denn auch oft genug. Wie dem auch sei, zu Zeiten vormoderner Gesellschaften erfüllte Kleidung tatsächlich die Funktion, den Stand zu signalisieren, welchem jemand zugehörig war. Diese Funktion entfällt eigentlich in unserer heutigen Zeit, da es keine Stände mehr gibt – was so mancher Träger feinen Zwirns allerdings gerne vergisst, frei nach dem Motto: „Manche sind gleicher!“ Heutzutage gilt dieses Motto wohl für manchen Volksvertreter ebenso wie für Unternehmer, die vergessen, dass es nicht der Industriekapitän nist, der die Wertschöpfung überhaupt erst möglich macht. Was bleibt, ist eine in unsere Kultur eingebettete Tradition ohne tieferen Sinn, deren Unzulänglichkeiten denn auch von der Kunst schon lange erkannt worden sind, wenn man sich bitte einmal Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ oder des Hauptmanns von Köpenick entsinnen mag; die bekannte Tragikomödie von Carl Zuckmayer beruht schließlich auf einer wahren Begebenheit.

Mir persönlich ist es ehrlich gesagt mittlerweile ziemlich wumpe, wie jemand daher kommt, sofern hygienischen Mindeststandards Genüge getan wird; die dienen unser aller Gesundheit. Aber Respekt vor dem Anzug, der ja nur allzu oft nicht mehr ist als eine Hülle ohne substanziellen Inhalt? Kann ich ohne Bedenken drauf verzichten. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand sich einfach gerne ordentlich kleidet, oder wenn ein festlicher Anlass eine bestimmte Kleiderordnung verlangt, denn dort zeugt es von Respekt vor dem Gastgeber, sich korrekt zu kostümieren. Aber ansonsten ist mir Authentizität in Wort und Tat lieber als Blendwerk vom Schneider; in diesem Sinne eine schöne Restwoche!

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