Ich hadere – und das schon seit einer Weile – mit der Frage, wie ich zu meinen Träumen stehen soll? Also nicht den nächtlichen, an die ich mich, wenn überhaupt, höchstens ein bis zwei Mal im Jahr erinnern kann. Nee, ich meine natürlich diese fixen Ideen, bezüglich derer wir uns selbst gerne glauben machen, dass ihre Realisierung unser Leben unfassbar viel besser machen würde. Was in der Folge bei weißen mittelalten Männern, wie etwa mir, des Öfteren zu einem beängstigenden Konsumrausch führt; oder aber – in schweren Fällen – zum noch beängstigenderen Glauben, dass man zur Selbstverjüngung unbedingt ein neues Lebensabschnitts-Meerschweinchen bräuchte. Was davon schlimmer ist, darf jeder für sich selbst beurteilen…
Wir alle haben in unserem Hinterkopf einen Gottesacker für jene Träume, die wir nicht realisieren konnten oder können, weil es a) zu teuer, b) zu riskant, c) zu verrückt erschien, oder immer noch erscheint. Und irgendwie ist es auch gut, dass man, zumindest mit zunehmendem Lebensalter, so weit zu denken lernt, dass man nicht mehr jedem Affekt erliegt, der entlang der kurvigen Straße des Lebens unversehens auftauchen mag. Sogar Kerle kriegen das hin. Vermutlich ist diese Lernkurve der Hauptgrund dafür, dass wir noch nicht ausgestorben sind. Was für den Planeten jetzt irgendwie auch wieder ein bisschen traurig ist…? Egal. So oder so wächst die Zahl der Grabsteine im Laufe des Lebens ganz unweigerlich immer weiter an.
Ebenso sagt der Volksmund, dass die Zeit alle Wunden heile. Für die meisten toten Träume stimmt das auch, aber manche… ja, manche verfolgen uns ein ganzes verdammtes Leben lang. Nicht immerzu, wie die Erynien ihre Opfer verfolgen, aber doch persistent genug, um einem immer wieder was zum denken und zum bedauern zu geben. Aber ist das tatsächlich so schlimm? Ich neige mittlerweile dazu, es als Antrieb sehen zu wollen, als Motivationsquelle weiterzumachen, als Erinnerung was noch alles Gutes kommt! Und da kommt noch eine Menge, dessen bin ich mir sicher. Ich muss nicht mehr ALLES wollen, weil ich langsam aber sicher ein gutes Gefühl davon bekomme, was zu wollen sich für mich tatsächlich lohnt.
Hätte jemand die Chance, zum Vergleich jetzt mal mein 20-25jähriges Ich zu befragen, was es denn will… ohwei, ohwei, das würde echt interessant werden und ich befürchte für mein bald 47jähriges Ich gäbe es so einiges zum fremdschämen. Das wird nicht passieren und ich muss ja auch nicht jedes schmutzige kleine Geheimnis über mich verraten ( 😉 ); aber es ist schon bezeichnend, das materielle Wünsche heute weit weniger eine Rolle spielen. Zeit zu haben für meine eigenen Projekte, meine eigene Agenda, das ist es immerzu, wovon ich heute träume. Ich habe schon häufiger über meine Kämpfe mit der eigenen Kreativität berichtet und es wird der einen oder dem anderen aufgefallen sein, dass ich mich neben meinem Job auch viel mit Geschichtenerzählen, Fantastik, Science-Fiction, Rollenspiel und jeder Menge anderem Nerd-Kram befasse. Weil das meine eigentliche Welt ist!
„Living in a world of make-believe, I can hide behind what’s real.“ Das ist eine Liedzeile von Ronny James Dio aus dem Song „Straight through the heart“ Und für mich ist es ein sehr schönes Bild, weil es dieses ewige Effizienz-, Leistungs- und Realismus-Paradigma unserer (Arbeits)Welt in 12 Worten dekonstruiert. Was die anderen häufig zu sehen bekommen, ist eine Person, die (zu) viel arbeitet und sich dauernd mit ernsthaften Themen befasst. Doch was hinter dieser äußeren Realität verborgen liegt – oder besser, was ich aktiv dahinter verberge – das ist mein Ding, mein Ort, mein Platz für Träume. Und doch hadert er, wie er zu seinen Träumen stehen soll? Nun, die einfache Wahrheit ist: oft fühlt sich dieser Platz für meine Träume zu klein an! Er hätte gerne mehr Raum. Doch die Realität, hinter der man sich versteckt, sie verlangt ihren Tribut für die Scharade; denn Geld regiert die Welt. Verdienst du keines (oder nicht genug) kannst du dir und deinen Lieben diese anderen, materiellen Wünsche nicht erfüllen. Und damit haben wir eine Zwickmühle, aus der es kein sicheres Entkommen gibt. Außer irgend jemand schenkt dir genug Kapital, dass du dir darum keine Sorgen mehr machen brauchst. Bedingungsloses Grundeinkommen, anybody?
Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, zu fragen, ob ich derzeit schwermütig wäre: ja, das bin ich! Allerdings kaum schlimmer als die letzten 12 verdammten, Pandemie-geschüttelten Monate auch. Allerdings könnte ich langsam etwas Normalität vertragen, was auch immer das in Zukunft heißen wird. Vielleicht spiele ich doch mal wieder Lotto, einfach, um die gestresste Traum-Maschine in meinem Hinterkopf etwas abzulenken. Ansonsten ein schönes Wochenende…