Postmoderne Gedanken N°2 – Partikula…was?

Es gab mal eine Zeit, die ist noch gar nicht so lange her, da war die Welt einfach. Es gab zwei Machtblöcke: die Kommis und die Kappis. Die hatten Bomben und Panzer und was weiß ich nicht alles und standen sich gegenüber. Unversöhnlich! Feinde für immer, weil der Dogmatismus das so wollte. Man könnte es, euphemistisch, als weltanschauliche Differenzen beschreiben, oder man sagt einfach, wie es war: Zwei Gruppen von Idioten, die mit der Ideologie des jeweils anderen nichts anfangen konnten, hätten dafür bei erster sich bietender Gelegenheit die Welt gesprengt. Das Potential dazu hätten sie auf dem Höhepunkt des kalten Krieges in ca. 71-facher Ausführung gehabt.

Man kann Gott oder irgendeinem anderen mythologischen Prinzip danken, dass es bis heute nicht dazu gekommen ist. Weltanschauliche Differenzen gibt es allerdings immer noch zuhauf. Oder, besser gesagt: es gibt heute davon mehr denn je. In der eben von mir beschriebenen Zeit, die laut Geschichtsbüchern mit dem Mauerfall 1989 und dem damit einhergehenden Zerfall der UdSSR zum 25.12.1991 endgültig endete, war das nicht so. Die größte Differenz zwischen den beiden Machtblöcken war stets der Umstand gewesen, dass in den Staaten des Westens über weite Strecken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinweg eine Demokratisierung stattfand, die erst mit dem Beginn der neoliberalen Ära unter Reagan und Thatcher den Anfang ihres Endes fand.

Mit dem Zerfall des Ostblocks jedoch kamen das alte Blockdenken und damit eine komplette Weltordnung zu ihrem Ende. Als Jugendlicher erlebte ich 1989/90 die Wende intensiv mit (wir waren ’90 auf Klassenfahrt nach Berlin mit Boxenstop in der thüringischen Provinz), ohne dass mir damals bewusst wurde, wie unfassbar das Ganze wirklich war. Erst viel später begriff ich, dass das Ende des Ostblocks für die Nationen Europas und ihrer Bewohner gleichzeitig auch das Ende aller Gewissheit war. Vorher gab es – zumindest subjektiv – ein geregeltes Welt- und Feindbild. Danach gab es nur noch die Notwendigkeit, eine eigene Haltung finden zu müssen. Und das hat nicht immer so gut geklappt…

Das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Jener Prozess, der uns alle als Individuen unserer Orientierung beraubt hat und den Ulrich Beck – nicht ganz untreffend, aber auch nicht annähernd umfassend korrekt – in seiner „Risikogesellschaft“ beschrieb, begann letzten Endes schon mit der Aufklärung und den ihr folgenden politischen Umwälzungen: die französische Revolution und ihre Kinder, Kriege in Europa, eine neue Ordnung der alten Welt, etc. Er kulminierte nun erneut mit dem abermaligen Zerfall einer, als unumstößlich betrachteten, Weltordnung.

Wenn man so will, war der Beginn der Moderne, der für die westlichen Nationen durch die Aufklärung in Europa markiert ist, auch der Beginn der Individualisierung und Partikularisierung unserer Gesellschaften. Wenn man einmal wirklich darüber nachdenkt, ist die politische Aufteilung einer Gesellschaft in drei, oder gar nur zwei politische Großlager (vulgo: Volksparteien) von Anfang an hanebüchener Quatsch. Denn sie bildet die gesellschaftlichen Realitäten nicht ansatzweise ab! Wer einen kurzen Blick in die soziologische Milieuforschung riskiert, dem fällt auf, dass dort bis zu 10 solcher unterschiedlicher Lebensstile differenziert werden, die selbstverständlich auch mit unterschiedlichen politischen Grundhaltungen einher gehen. Sieht man sich die dazu gehörenden Beschreibungen einmal genauer an, wird einem rasch klar, warum die „Volksparteien“ ihre Bindungskraft verloren haben: es gibt Alternativen.

Genau das zeichnet das Wahlergebnis in Thüringen vom gestrigen Abend nach. Es gibt da für mich keine Verwunderung. Allerhöchstens darüber, dass viele Andere so verwundert sind. Denn vom sozialwissenschaftlichen Standpunkt aus ist das Ergebnis ebenso verständlich wie vorhersehbar. Aber darüber will ich hier gar nicht reden.

Achten Sie auf die Farben…

Mich interessiert die Partikularisierung unserer Gesellschaft; und dabei vor allem, wie wir diese wahrnehmen. Dem geneigten Leser wird nicht entgangen sein, dass die Färbung des Tortendiagramms nicht der üblichen politischen Farbenlehre entspricht. Und was wäre, wenn genau das der Fall wäre? Wenn Menschen nicht nach bewusster parteipolitischer Präferenz entscheiden, sondern nach Gefühl? Nach Einzelpersonen, die eben sympathisch oder unsympathisch sind? Politiker neigen immer dazu, Erfolg für sich zu reklamieren und Niederlagen auf das Team zu schieben. Aber ich bin mir sicher , von den 31% Wählern, welche sich gestern für die Linke entschieden haben, gaben die wenigsten Bodo Ramelow, oder der Arbeit der Rot-Rot-Grünen Koalition ihre Stimme. Die allermeisten entschieden sich für den Kandidaten vor Ort, der Ihnen am besten in den Kram passte; ohne Ansehen der Landes- oder Bundespolitischen Auswirkungen.

Weil Partikularisierung der Gesellschaft eben auch ein Zurückgeworfen-Sein des Individuums auf sich selbst in seiner unmittelbaren Lebensrealität bedeutet; und damit auch eine Individualisierung und Entsolidarisierung der jeweiligen Interessen einhergeht. Wenn es in meinem Dorf gerade nicht so gut läuft, ist es mir doch Wumpe, ob die Zahlen im Land stimmen, denn es ist meine Hood, die gerade den Bach runtergeht, weil keine Sau sich für den Thüringer Wald interessiert – außer man geht gerne Wandern. Das ist natürlich nur ein Beispiel und lässt sich in anderen Regionen Deutschlands beinahe 100% analog durchdeklinieren. Volksparteien sind deshalb keine Volksparteien mehr, weil es das eine Volk sowieso nie gab und heute eben Alternativen zu CDU/CSU und SPD existieren, die als randständig zu bezeichnen, wie Matthias Dell heute morgen auf Zeit online korrekt bemerkte, an der Lebensrealität voll vorbei geht.

Doch was hat das mit der Postmoderne zu tun? Ganz einfach: So wie die Moderne, wie im ersten Beitrag dieser Reihe ausgeführt ein uneingelöstes Versprechen geblieben ist, so ist auch die parlamentarische Demokratie viele Lösungen schuldig geblieben, die zu liefern sie angetreten war. Der öffentlich dokumentierte Verfall der ehemaligen Volksparteien ist somit ein Zeichen gesellschaftlichen Wandels, das ernst genommen werden muss; und zwar gerade nicht, indem man sich auf alte Werte zurück besinnt und wieder Politik wie in den 50ern macht, sondern die aktuellen Fragen wieder in einer Tiefe und Sinnhaftigkeit diskutiert, die tatsächlich Sachlösungen zulässt, anstatt jede Woche eine neue Sau durchs mediale Dorf zu treiben. Das wäre für eine Weile eine Zumutung sowohl für die Bürgerinnen und Bürger, als auch für die Politiker. Doch es ist eine Notwendigkeit, denn im Moment verwechseln die allermeisten Politiker Gestaltungsanspruch und Machtanspruch in unzulässiger Weise miteinander. Doch über das Thema reden wir ein anderes Mal. Der nächste Beitrag befasst sich mit der Frage nach der Legitimität von Private-Public-Partnerships. Bis dahin eine gute Zeit.

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