Ich las vor einiger Zeit in einer namhaften Wochenzeitschrift, dass der Autor eines Artikels, welcher sich mit der so genannten Occupy-Bewegung befasste zu dem Schluss kommt, dass diese wohl nicht allzu viel zur Veränderung der Geschichte bzw. des aus der Sicht von unten wenig zufrieden stellenden gegenwärtigen Zustandes unserer Welt beitragen können wird; aber dass er hofft, dass man sich in einiger Zeit noch dieser Menschen erinnern möge, die sich über die Umstände empört haben. Wer nicht weiß, worum es dabei geht, sollte einfach mal das Stichwort „occupy Wallstreet“ googeln… Doch zurück zum Thema, nämlich des Mangels an echten Möglichkeiten zur Einflussnahme, welchen der Schreiber anscheinend unterstellen möchte.
Bullshit! Empörung 1.x ist möglicherweise (noch) nicht reif genug, um Problemkomplexe mit echten Lösungen anzugehen, wohl kaum nachhaltig genug, um dennoch in diesem Milieu entstehende, gute Ideen auch in die Tat umsetzen zu können und gewiss nicht stark genug um jene ernsthaft herausfordern zu können, welche Macht in Händen halten; gleichgültig ob es sich dabei um politische oder pekuniäre Macht handelt, wobei das eine Zugang zum andern schafft und umgekehrt.
Nichtsdestotrotz machen diese wenngleich unbeholfenen so doch auf eine fröhlich anarchistische Weise charmanten Aktionen einerseits darauf aufmerksam, dass nicht nur im Staate Dänemark so einiges faul ist; andererseits vermitteln sie zumindest mir auch jenes Gefühl, dass das Gerechtigkeitsempfinden und die Sensibilität gegenüber der den verschiedenen Prozessen von Ausbeutung innewohnenden Verantwortungslosigkeit und Gier gewachsen sind; der Wunsch, selbst etwas gegen die plötzlich wahrgenommenen Probleme unternehmen zu wollen wächst nun, wenn auch in geringerem Maße mit. Und das unabhängig davon, ob die jeweils zu bekämpfenden Ausbeutungsprozesse die Natur oder den Menschen betreffen; beide Formen von Missbrauch gefährden unsere Zukunft gleichermaßen.
Natürlich ist das mit solchen Bewegungen so eine Sache – Anfangs ist es leicht Menschen zu begeistern, dafür zu gewinnen auf Kundgebungen und Demos zu gehen, Transparente mit markigen Parolen zu bemalen und auf der Straße ihren Unmut hinauszuschreien. Es ist der Wunsch nach Aktion, welcher in solchen Tagen Jung und Alt gleichermaßen auf die Straße treibt. Welche Motive die einzelnen Elemente einer solchen Bewegung in dem Moment in die gleiche Richtung treiben, bleibt allerdings oft unklar; denn eines ist sicher – so viele Menschen z.B. Stuttgart 21 anfangs auch auf die Straße getrieben haben mag, der gleichen Meinung waren die vielen involvierten Gruppierungen nur aus der reinen Gegnerschaft zu dem Mammutprojekt heraus noch lange nicht.
Aber lassen wir die Motive doch noch für einen Moment außen vor. Mit dem beinahe anarchistischen Aktionismus, wie man ihn im genannten Beispiel beobachten konnte, ist es nämlich wie mit einem Saufgelage – irgendwann graut der Morgen und mit dem Kater dämmert den Akteuren, dass sie vielleicht doch ein oder zwei Dinge falsch angegangen sind. Die Bloße Lust an der Revolte, der Wunsch, es „den Oberen“ – wer auch immer diese geheimnisvolle Gruppe von Individuen konstituieren mag – mal so richtig zu zeigen ist ein starker Treibstoff, doch wie bei einem Dragster-Rennen ist nach einem starken, berauschenden, aber auch sehr kurzen Ritt der Sprit alle, bzw. die Begeisterung lässt nach. Insbesondere dann, wenn alles Lauthals Rufen, Plakate schwingen und Sitzblockieren nichts zu helfen scheint, weil „die Oberen“ irgendwie immer mehr Ressourcen und den längeren Atem zu haben scheinen. Das frustriert, und wer sich entmutigen lässt, schmeißt den Bettel ebenso schnell hin, wie er oder sie ihn aufgenommen hat. Und schon ist der schöne Traum ausgeträumt.
Mit Träumen ist das überhaupt so eine Sache. Man sagt ja manchmal, Träume hätten Flügel, bzw. könnten einem Flügel verleihen. Wenn dem so ist, verstauben jede Menge Flügel ungenutzt am Boden, denn nur ein geringer Prozentsatz von uns traut sich je, auch nur ein bisschen abzuheben. Ganz zu schweigen von den wenigen Auserwählten, die so hoch fliegen, dass sie den Himmel berühren – oder nicht ganz so wolkig ausgedrückt für jedermann mehr oder weniger sichtbar ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen. Die Meisten Menschen haben zu solchen Wesen ein zwiegespaltenes Verhältnis, denn einerseits bewundert man solche „Überflieger“ für ihren Wagemut, ihr Können, die Inspiration, die sie anderen zu geben vermögen. Andererseits neidet man ihnen jedoch ihren Erfolg, sucht nach dem sprichwörtlichen Haar in der Suppe, delektiert sich an der Auswalzung ihrer, zweifellos in jedem Menschen oft genug im Überfluss vorhandenen Fehler und versucht schließlich, ihre Erfolge zu relativieren.
Es ist diese Sünde der Relativierung, welche mit zu den Kardinalsünden zählen sollte, denn anstatt sich an den guten Seiten solcher Mitmenschen, den Erfolgen, den notwendigen Wagnissen, die sie dafür eingehen mussten wenigstens ein Stück weit ein Beispiel zu nehmen, zerrt man in den Dreck, was gerade greifbar ist, um die eigene Feigheit, die Unzulänglichkeiten oder die Ideenlosigkeit zu kaschieren. Würde man das gleiche Maß an Energie, dass man dafür verschwendet, anderer Leute Licht in den Schatten zu zerren dafür aufwenden, dass eigene heller scheinen zu lassen, könnte unsere Welt ein viel schönerer Ort sein.
Zugegeben blumige Worte, aber ich möchte nun den Bezug zum Eingangs vorgestellten Thema herstellen: Es mag sein, dass eine Graswurzelbewegung wie „Occupy Wasweißichauchimmer“ in der Gesamtheit gesehen kurzfristig wenig bis gar nichts bewegt; was auch daran liegt, das politische Prozesse und die dazugehörenden Entscheidungsfindungen selten an einem Nachmittag stattfinden, geschweige denn in einer Woche, sondern eben Monate oder auch Jahre in Anspruch nehmen können. Zum andern wird Politik von Menschen gemacht, deren Vorstellung davon, was zum Funktionieren Beispielweise eine parlamentarischen Demokratie bundesrepublikanischen Zuschnitts notwendig ist mit ihrem Wachsen durch Institutionen entstanden ist. Institutionen wohnt die Notwendigkeit zumindest einer rudimentären Selbstverwaltung, – vulgo Bürokratie – inne und ein Ausflug in diese „inner Workings“, also das Binnenland des Parlamentarismus mit all seinen menschlichen Nickligkeiten, notwendigen Bündnissen und Abgrenzungen zwischen all jenen, die mit der Idee aufgebrochen waren, sich die Macht zu verschaffen, um ETWAS ändern zu können und schließlich mit Erlangen dieser Macht so Amtskompatibel geworden sind, dass ein Teil ihres Idealismus durch Ideologie ersetzt werden musste trägt ein nur schwer erträgliches Maß an Ernüchterung in sich.
Politik an sich, bzw. die Klasse der in ihr Tätigen ist wohl ein soziales Mikrosystem, in welchem sich die immanente Reproduktion von Sozialisationsmerkmalen recht gut beobachten lässt. Wenngleich Habitualisierung als Konzept hier wohl zu kurz greift, zeigt es doch, dass das Gros der politisch tätigen von bestimmten Verhaltensmustern und Ideologien geprägt wird und sich einer Art Kodex konform zu verhalten scheint. Das die ständige Beobachtung durch die Gesellschaft bzw. die Medien hieran keinesfalls völlig unschuldig ist, sollte hier allerdings nicht unerwähnt bleiben.
Gleichwohl ist ein solches System, wenn es auch in der Lage zu sein scheint, sich selbst einigermaßen gut zu erhalten dem Anschein nach wenig geeignet, herausragende Persönlichkeiten zu erzeugen, welche den herausragenden Problemen unserer Zeit gewachsen wären. Vielmehr produziert es in der Mehrzahl Stereotypen, deren größte Fähigkeit darin besteht, sich selbst an eine gewünschte Position zu lavieren, ohne jedoch das Werkzeug zu besitzen, diese auch Sinnhaft auszufüllen.
Um so bedauerlicher ist es nun, wenn ein Reporter, ein Mitglied des vierten Standes denkt, die Occupy Bewegung – oder auch andere Basisdemokratische Bewegungen unserer Zeit an sich – als unnötig oder irrelevant abstrafen zu müssen, wenn doch vielleicht gerade hier der Boden bereitet wird, die unkreative Uniformität zu überwinden, welche nach Jahrzehntelangem Verharren in mittlerweile durch die immer schneller fortschreitende Entwicklung der Welt überkommenen Strukturen die politische Klasse übermannt zu haben scheint.
Noch sind keine Lichtgestalten hervorgetreten, welche eine solche Hoffnung einzulösen in der Lage sein könnten, aber ihre Existenz von vornherein negieren zu wollen bedeutet, einem nicht unerheblichen Teil der Menschen, welche nicht bereit sind, eine die Kreativität und Individualität vernichtende Ochsentour durch die politischen Instanzen und Institutionen auf sich zu nehmen um ETWAS verändern zu können die Daseinsberechtigung abzusprechen. Niemand sollte sich dazu aufschwingen, die Legitimität derjenigen in Frage zu stellen, die auf demokratischer Basis bereit sind, gegen jene Strukturen anzutreten, die uns die heutige Krise eingebrockt haben und weder Willens noch in der Lage zu sein scheinen, sie effektiv zu bekämpfen. Die Meinung vieler einfach als Irrelevant zu relativieren könnte sich dann tatsächlich als Kardinalsünde erweisen, wenn Begeisterung in Wut umschlägt.
Wieder mal Vieles zu drüber Nachdenken, darum wünsche ich allen die Muse, dies auch Vorurteilsfrei zu tun. Bis zum nächsten Mal!