Ich will!

Es ist ziemlich egal, ob ich aus biochemischer Perspektive tatsächlich einen freien Willen habe, oder nicht! Wenn es denn wirklich nur chemische Reaktionen in meinem Gehirn sind, die mir das Bewusstsein vorgaukeln, ein Individuum zu sein, muss man dennoch schon ein über die Maßen überzeugter Fatalist sein, um darin nicht eine recht ironische Laune der Natur erkennen zu können.

Der bekannte Schriftsteller Rolf Dobelli schreibt jede Woche für den Stern eine Art Kolumne; er stellt hierzu Fragen rings um ein Stichwort auf, die dann jeder schön für sich selbst beantworten darf, wobei ein gewisser Selbstentlarvungsfaktor gelegentlich nicht zu verleugnen ist – weder beim Autor noch beim Leser, wenn er denn wagt, ehrlich mit sich zu sein. Eine der Fragen der dieswöchigen Ausgabe drehte sich um den freien Willen, oder besser gesagt, dessen Existenz. Und wie ich oben schon sagte: es ist vollkommen Wurst, ob hier Biochemie ihren Ausdruck findet, oder eine höhere Entität, die uns mit einem Bewusstsein beseelt hat, oder gar die einzig denkbare Form von wahrer Freiheit – eben unsere ureigenen Gedanken.

Wenn man sich die mannigfaltigen Darreichungsformen von Menschen und ihren cerebralen Absonderungen mal anschaut, stellt man fest, dass das Gehirn offensichtlich immer noch eine Black Box für uns ist. Immerhin in dieser Frage haben die Behavioristen bis heute Recht behalten, wir haben nur sehr unzulänglich Zugriff auf das, was darinnen passiert. Das mit dem Konditionieren von Verhalten bleibt dennoch – Gott sei Dank – bis heute autokratistisches Wunschdenken. Allerdings bedeuten diese Feststellungen im Zusammenspiel, das wir nicht in der Lage sind, Ergebnisse bestimmter sozialer Situationen oder Gesamtlagen mit wenigstens annähernder Präzision vorher zu sagen. Rückfällige Sexualstraftäter, Massenpaniken, Amokläufe und viele Andere unvorhergesehen eingetretene Ereignisse sind beredte Zeugen meiner Theorie.

Der Rest ist – vielleicht nicht ganz – simple Mathematik; auch wenn mein Gehirn einfach nur ein biochemischer Computer ist, den wir überdies noch nicht einmal besonders gut kennen, dessen wahre Funktionsweise uns bis heute verborgen ist, so verfügt er anscheinend über so viele Stellgrößen, dass es unmöglich ist, alle Parameter zu überblicken. Weder für mich selbst, noch für jemand anders oder gar eine Maschine, die von irgend jemand anders konstruiert wurde. Damit bin ich unvorhersehbar und somit auch unvorhersagbar. Viel näher kommt man an den Ausdruck von freiem Willen wohl nicht heran, was es vollkommen gleichgültig erscheinen lässt, wie dieser zu Stande kommt.

Es ist übrigens auch eine Absage an die Deterministen, die behaupten, unsere Entscheidungen seien alle von der Chemie diktiert. Eine Maschine, die so kompliziert ist, dass sie oft genug selbst nicht weiß, was sie will, produziert keine vorhersagbaren Ergebnisse. Wer sich mit Statistik ein bisschen auskennt, weiß das menschliches Verhalten, so es in den vielen Ähnlichkeiten von Entscheidungen in so genannten standardisierten Situationen auch Häufungen geben mag, diese weniger klassischen Glockenkurven als vielmehr den Powerlaws entsprechen. Oder anders gesagt, nicht das Gewöhnliche, sondern das Ungewöhnliche ist oft die Regel.

Umso weniger ungewöhnlich erscheint dann meine Feststellung, dass ich der Meinung bin, dass es tatsächlich ICH bin, der will, wenn ich will; egal was, warum oder wann. Und wenn sich entgegen meinen eben dargelegten Gedankengängen freier Wille irgendwann doch als Illusion heraus stellen sollte, werde ich sagen – ICH habe meine Illusion genutzt, ausgekostet, erlitten, verflucht und so manches mehr, aber ich hätte sie nicht hergeben wollen! Schönen Tag noch.

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