Manche Geschichten erzählen davon, dass man mit dem Voranschreiten des Alters ein höheres Maß an Genügsamkeit erlangen würde. Das ist natürlich Käse, weil das Prinzip „One-Size-Fits-All“ in der Sozialpsychologie genauso wenig funktioniert, wie beim Klamottenkauf. Und überhaupt muss man erst mal fragen – vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Begriffe, die sich dahinter eigentlich verbergen – auf welchem Genügsamkeits-Sektor wir uns gerade bewegen. Ich persönlich bin z. B. sehr einfach gestrickt, wenn es um meine Ansprüche an ein Ferien-Apartment geht: ’n Platz zum kochen, essen, schlafen und abends gemütlich sitzen. Vielleicht ein Pool, wenn ich im Sommer unterwegs bin und das Meer nicht nah genug. Das wär’s auch schon.
Geht es indes um sprachliche und inhaltliche Präzision, insbesondere bei Sachthemen von Interesse, bin ich alles andere als genügsam. Da will ich es genau wissen, will verstehen, was mein Gegenüber bewegt, warum manche Sachverhalte so sind, aber nicht anders, wie es zu gewissen Entscheidungen kommt und wie man Prozesse beschreiben kann; weil ich den einen oder anderen gerne verbessern würde.
Das klingt jetzt vielleicht zunächst ganz arg schlimm nach Arbeit, nach einer Verletzung der Work-Life-Balance ( nach längerem Nachdenken mein ganz persönliches Unwort des Jahrzehnts, direkt gefolgt von „Umvolkung“ und „digital natives“ – man kann Völker nicht umtopfen und ein Mensch bleibt auch bei 22h Social-Media-Konsum pro Tag am Ende immer noch ein soziales Wesen). Ist es aber nicht.
Meine Arbeit und mein Privatleben haben immer miteinander zu tun, weil ich Befindlichkeiten nicht so einfach am Schichtende ablegen kann, wie meine persönliche Schutzausrüstung. Weil Kollegen oft genug auch Freunde sind oder umgekehrt dazu werden. Weil ich viel Zeit bei der Arbeit verbringe und daraus notwendigerweise ein Bedürfnis nach etwas Harmonie an diesem Ort entsteht. Zumal Arbeit auch in meinem Gewerk nicht zwingend einen Ort hat, an den sie gekoppelt ist.
Immer wieder neu ringe ich also um Effizienz und Effektivität. Ich versuche stets, meine Zeit bewusst in das Private und das Berufliche zu trennen, wohl wissend, dass der versuch gelegentlich scheitert. Nicht etwa, weil ich ein Workaholic wäre (das hätte mein Chef vielleicht gerne), sondern, weil ich ein Mensch bin, der menschlich handelt. Humanität ist nun zwar kein Merkmal des Gesundheitswesens , in welchem ich tätig bin – wohl aber ist sie ein Merkmal von mir. Eines, das zu bewahren ich immer wieder zu Kraftakten aufgefordert bin, in dieser Welt, in der die Humanitas kein Asset von Wert ist, für das man irgendwas eintauschen kann.
Im Gegenteil ist sie ein Wert an sich, der unhinterfragbar, unhintergehbar Kompass meines Tuns sein soll; auch wenn ich manchmal vom diesem Kurs abweiche, so wie Menschen das eben tun. Doch wie kommt man von der Genügsamkeit zur Humanität? Ganz einfach, indem man sich den Aspekt der Bescheidenheit und des Verzichts zugunsten Anderer ins Gedächtnis ruft. In dem Moment wird klar, dass wir alle dazu aufgerufen sind – unabhängig vom Alter – uns dann und wann in Genügsamkeit zu üben. Denn das, was wir uns versagen, kommt in aller Regel zu uns zurück. Vielleicht auf Umwegen. Aber Karma ist, genau wie Erziehung ein Bumerang.
Bevor man Genügsamkeit also als Schwachsinn für die Schwachen abtut, jene, die ihre Ellbogen zu benutzen nicht ausreichend erlernt zu haben scheinen, sollte ich mich fragen, ganz bewusst bedenken, was dieser Verzicht für mich nun bedeutet. Und zwar jetzt. Und dann in ein paar Wochen. Und dann in ein paar Monaten. Und so weiter… Nicht in allen Dingen ist Genügsamkeit gut. es gibt auch bereiche, in denen ich fordern muss. Aber dazu ein anderes Mal mehr. Bis dahin alles Gute.
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