Geisteswissen…was…?

Egal, wohin man auch schaut, man findet immer und überall Menschen, deren Weltsicht von zwei Nichtfarben geprägt ist: Schwarz (die absolute Abwesenheit von Licht) und Weiß (die Anwesenheit aller Farben zugleich); das mit den Grautönen müssen wir dann wohl noch mal üben, nicht wahr? Wenn es zum Beispiel um den Wert eines Studiums einer x-beliebigen Geisteswissenschaft geht, findet man zwar erheblich viel Meinung („Bachelor zum Regale einräumen“) aber nur wenig Ahnung davon, was eine Gesellschaft im Kern zusammenhält. Kleiner Spoiler: Betriebswirtschaftslehre und Handwerk, Ingenieurswissenschaft, Pflege und Medizin sind es nicht allein! Die tragen dazu bei, die einzelnen Subsysteme von Gesellschaft – im Großen, wie im Kleinen – am Laufen zu halten. Aber der Kleister, der Alle und Alles zusammenhält, der Erkenntnis gleich welcher Art (und damit wirtschaftliches Handeln) ermöglicht, der Kultur als Prozess sicht- und erlebbar macht, der für Teilhabe sorgt und eine halbwegs gemeinsame Basis des Zusammen-Lebens schafft, dass sind die Geisteswissenschaften: Linguistik, Pädagogik, Philosophie, Soziologie, Kultur- und Theaterwissenschaft, Musik, Film, Historik, Politologie und wie sie noch alle heißen mögen. Die Geisteswissenschaftler haben den Träumen der Realwissenschaftler Flügel gegeben und tun dies heute noch. Und was wird man von den selbsternannten Leistungsträgern nicht dauernd geschmäht…

Was kuckst du…? 🙂

Ein Blick in eine Kommentarspalte im Account der Frankfurter Allgemeinen auf Insta, wo nach Gründen für den Rückgang der Studierendenzahlen in geisteswissenschaftlichen Fächern gefragt wird, offenbart Dunkles; da wird gehatet, was das Zeug hält, weil man den eben erwähnten Kleister für unnötigen Scheiß hält – denn wir brauchen Handwerker und Ingenieure! Das mag zweifellos richtig sein, doch was wir ebenso dringend brauchen, sind Menschen, die wissen, wie man richtig Erkenntnisse gewinnt, die beschreiben können, welche Rollen das Soziale, das Psychische, die Sprache in komplexen System spielen (und eine Gesellschaft IST ein ziemlich komplexes System) und die uns einen Kompass geben können, mit dem man irgendwie durch diesem ganzen Scheiß namens Leben kommt! Und das alles sieht noch gnädig von der Tatsache ab, dass wir (Berufs)Pädagogen es sind, die dafür sorgen, dass Menschen von Kindheit an zur Ausschöpfung ihrer Potentiale befähigt werden. Auch, wenn wir dabei gelegentlich auf Irrwegen unterwegs sein mögen, weil nicht nur die Gesellschaft, sondern auch jedes Individuum in ihr komplexe Systeme sind. Ohne diese Vorleistung gäbe es keine Jurisprudenz, die unser EGO einhegt, keine Wirtschaft, die unsere existenziellen und konsummatorischen Bedürnisse befriedigen hilft – und uns überhaupt erst eine Existenz ermöglicht – keine Medizin, die unsere Gebrechen lindert und keine Demokratie, die uns – im Rahmen des kategorischen Imperativs – unsere individuelle Entfaltung ermöglicht!

Eine typische Doppelseite aus einem meiner Notizbücher…

Es ist die Wissenschaft, die Wissen schafft und es ist die Leidenschaft, die Leiden schafft! Wenn man so möchte, sind es die zwei Pole des Gleichgewichtes, welches unsere gesamte Existenz kennzeichnet. Sie auszubalancieren ist ein Prozess der sowohl in uns selbst, als auch in unserem Miteinander niemals aufhören kann – niemals aufhören darf. Überließen wir die Welt den Technokraten… nun schaut euch einfach die Exzesse eines Elon Musk an, der die Technokratie gerade in aller Öffentlichkeit bis zum bitteren Ende durchdekliniert; und dabei ohne Rücksicht auf Verluste alles und jeden mit in den Abgrund reißt, vollkomen unabhängig, ob man seine verblendeten Ideee von unserer Welt teilt, oder auch nicht. Das ist Manchester-Kapitalismus im Endstadium – das stets unausweichliche Ergebnis, wenn man der Welt kein moderierendes, erziehendes, ja zur Not auch mal moralisierendes Movens hinzufügt. Und genau das leisten die Geisteswissenschaften! Nicht mehr; aber auch nicht weniger! Ich wünschte mir manchmal, dass man so etwas nicht erklären brauchte, weil es selbstevident ist. Aber dann bräucht man wohl auch Leute wie mich (also Pädagogen) nicht mehr in der Zahl. Letzlich ist das höchste Ziel des Erziehens, die eigene Notwendigkeit im Betrieb des Seins abzuschaffen. Vermutlich ist das nicht möglich, denn die Zahl egomaner, arroganter, asozialer Idioten scheint eine Konstante der Menschheit als Ganzes zu sein. Insofern ist mein Job sicher. Ebenso sicher wie die Hater, die solche Aussagen haten, weil es ihr Weltbild stört, nicht Recht zu haben…

Heute ist Sylvester – eigentlich macht man an solchen Tagen ja einen Jahresrückblick. Der fällt bei mir kurz aus. Mein Jahr 2022 war, bis auf ganz wenige Augenblicke, ein riesiger, entsetzlich stinkender Haufen Scheiße, den endich auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen zu dürfen ich kaum glücklicher sein könnte. Egal, wie es kommt – ich hoffe für uns alle auf ein besseres Jahr 2023. Haltet die Ohren steif, sprengt euch heute Nacht keine Körperteile ab (oder seid milde mit denen, die das versuchen) und kommt gut rüber. Ist ja eigentlich nur ein Datumswechsel; wir werden ihn, wie viele Andere auch, trotzdem ausreichend mit Käse überbacken. Nur um sicherzugehen. Bis nächstes Jahr in diesem Theater.

Auch als Podcast…

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