Das ist PRIVAT!

Einigen wir uns mal schnell darauf, dass unsere Privatsphäre uns in vielerlei Hinsicht vollkommen egal ist, nicht wahr? Andernfalls würden wir nicht eine Taschenwanze bei uns tragen, die uns monatlich mit minutiösen Berichten darüber irritiert, wo wir überall waren, was wir dort möglicherweise getan haben (die beste Ehefrau von allen und ich waren z. B. viel zu oft schlemmen…) und wen wir getroffen haben könnten. Ja, natürlich, ihr da draußen stellt alle diese Funktionen wie Standortbestimmung, etc. ab, damit ihr nicht gläsern werdet, verwendet nicht diesen grünen Messenger von Meta, seid nicht bei Fratzenparty, etc. Ist recht. Euer Smartphone ist bei diesem Wettbewerb trotzdem smarter als die allermeisten von euch – Ätsch! Und seien wir doch ehrlich – ohne diese persönlichen Daten würde z.B. die Navigation durch Google Maps nicht annähernd so gut funktionieren. Und so lange ich Netz habe, gibt’s halt kaum was Zuverlässigeres. Besonders rutschig wird der Untergrund, wenn man einen Insta-, oder (Gott behüte) Tiktok-Account hat. Ist umsonst, oder? Ihr zahlt halt mit der Verdatung eures Lebens für den Spaß und die Infos. Es ist ein Deal, der beiden seiten Vorteile bringt – aber nur einer Seite Nachteile – uns individuellen Nutzern.

Let’s be lazy!

Wir sind – im übertragenen Sinne – der Content, der antisoziale Medien wertvoll macht. Die Dinge, die wir dort tun, die Kulturartefakte, die wir produzieren, die potentiellen Trends, die wir durch Mitmachen hypen oder grounden, unsere Kreativität, Energie, Zeit, die wir in das Mitmachen investieren – das ist der Rohstoff, aus dem die Betreiber ihren Profit generieren. Und sie tun dies auf genau eine Art – indem sie uns mit gezielter Werbung zuspamen und so Konsum antreiben. Antisocial Media sind also in zweierlei Hinsicht eine treibende Kraft des Klimawandels: a) weil die entstehenden CO2-Emissionen erheblich sind und b) weil der durch Antisocial-Media-Nutzung befeuerte Konsum (Stichwort Influenzeranzien) nochmal verstärkte CO2-Emissionen durch Rohstoffabbau, Produktion, Güterverkehr, etcpp. erzeugt. Und wir superlazy social-media-sloths raffen noch nicht mal, das wir doppelt ausgenutzt werden! Aber es ist doch so entspannend und macht doch so viel Spaß… Ja verdammt, das ist leider wahr; und ich selbst kann meine Hände hier natürlich auch nicht in Unschuld waschen! Was soll man also tun – sich wieder vollkommen ins Private zurückziehen?

Natürlich nicht, denn das Private gilt schon seit der zweiten Welle des Feminismus in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts – vollkommen zurecht – als politisch! Insofern Jede und Jeder von uns sich selbst zum Lobbyisten und zum Träger politischer Verantwortung werden kann – UND SOLLTE – haben wir also vor einiger Zeit mit Social Media erstmals ein Tool in die Hand bekommen, uns zu ermächtigen und demokratische Prozesse wirklich in die gesellschaftliche Breite zu tragen. Demokratie abseits der, oft in ihren Traditionen als erstarrt und nur noch wenig wirksam wahrgewordenen Institutionen schien uns wieder in greifbare Nähe gerückt. Und mit dem Aufflammen des „Arabischen Frühling“ und verschiedener „Graswurzelbewegungen“ in seinem Windschatten, wie etwa „Occupy Wall Street“ fühlte es sich Anfang der 2010er so an, als wenn sich unsere Welt tatsächlich zum Besseren ändern könnte. Das Einzige, was freilich davon übrig bleibt, sind Failed States (Syrien, Lybien, Ägypten) und die Erkenntnis, dass technische Tools zur Aktivierung der Menschen und ein bisschen Radau alleine noch lange keine nachhaltigen demokratischen Prozesse ans Laufen bringen. (vgl. hierzu Morozov 2011, S. 305 ff.). Stattdessen haben wir im Ergebnis die oben bereits sattsam beschriebene Konsumbefeuerungsmaschine zur täglichen Verfügung. Politik wird – selbst in unserem demokratischen Staat BRD – immer noch allzu oft durch gewählte Stellvertreter gemacht, die nur zu gerne ihr eigenes schwarzbraunblaues Süppchen kochen.

Wir hingegen ziehen uns viel zu oft cocoonened in unsere angebliche Privatsphäre zurück (und damit aus der Verantortung), um zur Ablenkung so lange Netflix schauen zu können, bis der eklatante Mangel an demokratischer Selbstwirksamkeit nicht mehr ganz so sehr wehtut. Konsum funktioniert! Darauf angesprochen sagt so Mancher unwirsch: „Das ist meine Angelegenheit, lass mein Engagement mal meine Sorge sein!“, was so viel heißt wie „Verpiss dich, dass ist PRIVAT!“. ABER ES IST NICHT PRIVAT! Der freie Marktplatz der öffentlichen Meinung kann niemals privat sein, der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ muss erlebt und erduldet, der notwendige Diskurs geführt werden, um sich den Problemen unserer Zeit GEMEINSAM in angemessener Form annähern zu können. Wie lange muss ich mir noch irgendwelchen Rotz in den Antisozialen Medien anschauen oder anhören, der Tausend mal mehr Reichweite als irgendwelcher sinnvoller Content hat? Wie oft muss man Menschen aus ihrem Sesseln kippen, bevor sie anfangen aufzustehen? Wie oft muss man jemanden auf den Hinterkopf schlagen, bevor er/sie sich selbst des Gehirnes ermächtigt, welches offenkundig konsumbetäubt immer noch im Auslieferungszustand mit Werkseinstellungen vor sich hin sintert?

Ich könnte diesen verdammten Aufruf wahrscheinlich in exakt einem Jahr einfach kopieren und eins zu eins (evtl. mit ganz leichten Überarbeitungen) wieder hier posten – und viele würden sich wundern, warum er auf einmal so genervt klingt. Denn offenkundig haben viel zu viele Mitmenschoide nur noch die Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens! Schwamm drüber. Mal sehen, was 2023 bringt. Ich habe – immer noch und allen Erfahrungen zum Trotze – Hoffnung. Denn hätte ich die nicht, hätte ich schon lange aufgegeben. Also enttäuscht mich nicht! Bis die Tage.

  • Morozov, Evgeny (2011): The Net Delusion. The dark side of internet freedom. New York: PublicAffairs, member of Perseus Books Group.
Auch als Podcast…

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