Freiheit die ICH meine…

Wieder so ein Terminus, der in letzter Zeit medial doch ein wenig überstrapaziert wurde. Alle berufen sich auf Ihre Meinungsfreiheit, ihre Konsumfreiheit und was weiß ich nicht noch alle Arten von Freiheit – stets sorgsam darauf achtend, die Freiheiten Anderer auf’s Brutalste zu missachten. Denn Freiheit die ICH meine, ist immer MEINE Freiheit, was bedeutet, dass ich mich um die Freiheit ANDERER einen Dreck scheren muss, nicht wahr…

So, erst mal genug auf dem Begriff herumgeritten. Was Kant dazu zu sagen hatte, sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (expliziert in der „Kritik, der praktischen Vernunft“ von 1787). Dieses Diktum bildet bis heute den Urgrund unserer Rechtsphilosophie. Und insbesondere Querdenkern muss man immer wieder sagen, dass die Freiheit des Einen da enden MUSS, wo die des Nächsten beginnt. Zugegeben ist dies ein schwieriges Unterfangen in moralisch entgrenzten Zeiten, wie den heutigen; aber selbst wenn Ulrich Beck mit seinen Thesen zur Risikogesellschaft auch weit über 30 Jahre später immer noch hoch aktuell ist, bedeutet das mitnichten, dass wir nicht verpflichtet wären, dennoch wenigstens den Versuch zu unternehmen, Moralgeleitet zu handeln.

Was ist denn Moral? Der Volksmund zitiert dann oft und gerne (meist im Unwissen um die Herkunft des Zitates; es stammt übrigens aus Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Das Bad am Samstagabend“) Und die Moral von der Geschicht’: Bad’ zwei in einer Wanne nicht! Die meisten Menschen kennen allerdings nur den Satz bis zum Doppelpunkt… Um es ein wenig vereinfachend zu formulieren: Moral ist eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, was man tut und was man besser lässt. Also ein Kompromiss. Nun leben wir jedoch subjektiv in Kompromisslosen Zeiten. Das zeigen das Gezuchtel um den Brexit (der NO-DEAL wird mittlerweile immer wahrscheinlicher), Viktor Orbans Kampf gegen den ESM und natürlich Donald Trumps unerträgliches Gepolter. Selten habe ich mir einen Schuss im Dunkeln mehr gewünscht. Man kann also getrost sagen, dass der Kompromiss als Modell des Miteinanders ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint. Und wenn schon die großkopferten Politiker so egoistisch, rücksichtslos und enthemmt handeln, warum soll ich kleiner Normalo mich dann bitteschön an Regeln halten müssen, hm…?

Diese Enthemmung ist die eine Seite der Münze. Die andere nährt sich aus einem äußerst schwierigen Verhältnis zum Titelgebenden Terminus. Pierre Bourdieu hat in seiner Forschung zum Habitus den Begriff „Geschmack“ expliziert. Und aus meiner bescheidenen Sicht verwechseln viel zu viele Menschen ihren – im Verlauf ihrer Sozialisation – verinnerlichten Notwendigkeitsgeschmack mit DER Freiheit, die SIE meinen. Lebensstile sind zwar auch von der eigenen Biographie abhängig, aber eben vor allem von der sozialen Herkunft und dem sozialen Kapital, welches dort erworben werden konnte, so dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass sich MEINE Freiheit so sehr von der der ANDEREN unterscheidet. Wir alle wollen einfach nur nach unserer Facon selig werden, nicht wahr…?

Das, was also Querdenker als DAUERHAFTE Einschränkung ihrer FREIHEIT wahrnehmen, ist in Wahrheit lediglich eine TEMPORÄRE Einschränkung ihres LEBENSSTILS. Das ist auch aus meiner Sicht unangenehm, aber wenn man die Perspektive verändert, nimmt es den Eingriffen, die zum Beispiel gestern mit Gültigkeit ab heute für Baden-Württemberg beschlossen wurden, einen erheblichen Teil ihrer Schärfe. Um zu dieser Einschätzung gelangen zu können muss man aber zu Kompromissen und zum Bedürfnisverzicht bereit sein. Und in der Hinsicht sind die allermeisten Querdenker ungefähr so gut aufgestellt, wie meine 7-jährige Tochter! Ein Armutszeugnis für angeblich „Vernunftbegabte Erwachsene“.

Ich versuche es mal mit Re-Framing und betrachte die Tage der Teil-Isolation, die uns nun bevorstehen als Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Ich darf Einkaufen und Spazieren gehen, werde also weder verhungern, noch in den eigenen vier Wänden ersticken. Und wenn man früh genug kommt, gibt es auch Nudeln, Mehl und Klopapier. Was ist also das Problem? Dass ich nicht enthemmt öffentlich konsumieren darf, wie sonst auch? Ich sehe die psychologische Auswirkungen des Nicht-gemeinsam-feiern-Dürfens auch mit einem sorgenvollen Blick. Allerdings nicht, weil mir Scheidungs- und Suizidraten Sorgen machen. Wenn wir durch intransparentes und damit willkürlich erscheinendes politisches Handeln noch mehr Menschen den rechten Bauernfängern in die Arme treiben, werden wir dereinst unsere Republik nicht mehr wiedererkennen. Neben den Freiheitseinschränkungen, die dann mit einem Neu-Rechten Regime auf uns zukämen, erschiene der Pandemie-Lockdown wahrscheinlich endlich wie jener Ringelpiez mit Anfassen, der er, gemessen am Umfang der Einschränkungen ist… Denkt mal DARÜBER nach! Schönen dritten Advent.

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