Es ist schon seltsam, das Phänomen der Neologismen. Oh, sie wissen nicht, was ein Neologismus ist? Nun dabei handelt es sich, vereinfacht gesagt um neue Wörter. Sie haben sich schon immer gefragt, wie man das Gegenteil von Durstig nennt, weil es verdammt wichtig ist, jemandem mitteilen zu können, dass man NICHTS zu trinken haben möchte? Nun die Antwort ist so unerheblich wie das Getue, mit dem so genannte Gurus der neuen Medien in unregelmäßigen Abständen alte Sachverhalte mit wolkigen Umschreibungen zu etwas vollkommen Neuem erklären. Der einzige Sinn, welcher sich bei einer etwas kritischeren Betrachtung erschließt, ist der Wunsch, mit irgendwas Geld zu machen. Das ist in der Wirtschaftskrise ja aber auch dabei, immer knapper zu werden.
Es ist zwar schön, etwas zu kreieren, sozusagen aus dem Nichts zu erschaffen, insbesondere, wenn man es als viel versprechende Geschäftsidee betrachten mag. Nichts motiviert den Homos Sapiens Vulgaris schließlich mehr als die Aussicht, ordentlich Kohle scheffeln zu können. Es wirft allerdings auch die Frage auf, warum diese wunderbaren neuen Dinge dann so oft nicht mehr als alter Wein in neuen Schläuchen sind.
Nehmen wir zum Beispiel mal das wunderbare Wort „Crowdsourcing“. Es wurde zusammengesetzt aus den Worten „Crowd“ – also dem englischen Wort für eine Menschenmenge – und Outsourcing, einem ebenso englischen Begriff aus der Wirtschaft, der das Auslagern bestimmter Tätigkeiten aus dem eigenen Betrieb hin in zu externen Dienstleistern bezeichnet. Das bedeutet dann wohl, dass Crowdsourcing das Auslagern von bestimmten Tätigkeiten hin zu einer Menschenmenge bezeichnen soll. Man hat sich da im Netz dann hingesetzt, und lang und breit erklärt, unter welchen Bedingungen eine solche Aktion funktionieren kann. Und im Großen und Ganzen ergibt dies einen Wettbewerb darum, wer eine – meistens kreative – Aufgabe am besten erledigen kann. Natürlich gibt’s Preise, eine Veröffentlichung usw. Aber eigentlich ist es einfach nur ein Wettbewerb für eine Kreativaufgabe. Und die gibt es schon sehr lange!
Man könnte jetzt anführen, dass diese neue Art von Wettbewerb durch das wunderbare Web 2.00 einen noch viel öffentlicheren Charakter bekommt und somit auch noch den angenehmen Nebeneffekt Zielgruppenorientierter elektronischer Mundpropaganda hat. Ist nett, wenn es funktioniert, aber warum brauche ich dafür ein neues Wort und jemandem, der diese neue sinnentleerte Worthülse (als wenn wir davon nicht Weissgott schon genug hätten) mit Möchtegerninhalt befüllt. Vermutlich aus dem gleichen Grund, aus dem 85% der auf der gesamten Welt gültigen Steuergesetzgebung in deutschen Gesetzbüchern zu finden sind. Irgendwie muss man die Notwendigkeit seiner eigenen Existenz ja begründen können. Aber auch netter Bullshit bleibt einfach nur Bullshit.
Daneben bleiben bei nicht wenigen Begriffen auch einfach nur viele Fragezeichen stehen. Beim Begriff Podcasten zum Beispiel. Natürlich entstand es mit dem I-Pod im Auge als Bezeichnung für Onlineradio-Schnipsel zum Mitnehmen – oder onlineradio-snipets-to-go, wenn es ihnen so lieber ist. Aber der Begriff Podcast sagt eigentlich nichts über diese Art, das Medium zu nutzen aus und ist somit nicht valide …aber wenn ihn halt jeder gebraucht, ist es sehr schwer, sich dem zu verschließen, auch wenn der Nonkonformismus mich eigentlich dazu aufstachelt es als z.B. verdicast – also [ver]satile [di]gital broad[cast] – zu bezeichnen.
Solche Kunstworte zu erschaffen wird offensichtlich mittlerweile als zeitgenössische Kunstform abgesehen. Obwohl das nichts mit Kunst oder Kreativität im herkömmlichen Sinne zu tun hat, sondern einfach damit, Buchstaben auf besonders ökonomische oder aber Effektheischend-verquere Form miteinander zu verquicken. Habe ich gerade eben übrigens auch gemacht und es war nicht besonders schwer, auch wenn’s wohl kein Schwein interessiert – und erst Recht keinen Menschen. Wenn sich aber irgendjemand mal irgendwie als Trendsetter profilieren konnte, darf er mit Buchstaben umgehen wie der Elefant mit dem Porzellan und wird dafür ab und an auch noch als Urheber einer wahren Innovation gefeiert.
Derlei Energieverschwendung macht mich ein bisschen melancholisch, denn faktisch wird dabei auch nicht mehr getan als Beispielsweise auf der Politbühne. Bei der Betrachtung derselben wird offenbar, dass der durchschnittliche Bunte Republikbewohner reflexartig jedwede Verkündung aus dieser Propagandarole voll mittelmäßiger Möchtegernblender mittlerweile nur noch als nervtötende Bewegung heißer Luft wahrnimmt. Ist ja bei den meisten Neuwörtern des potentiell vermarktungswirksamen Technobabbels auch nicht anders.
Selbstverständlich ist nicht JEDE neue Wortkreation sinnfrei und ich habe auch nix gegen die Verwendung englischer Begriffe in der deutschen Sprachlandschaft, denn wenn man so Technikaffin ist wie ich, kann man sich derlei Neuerungen schlechterdings verschließen. Aber mit diesen neuen Worten ist es wie mit dem AKÜFI – kurz für Abkürzungsfimmel, welcher übrigens mithin keine rein deutsche Krankheit ist – ein bisschen ist ganz nett, zuviel nervt ganz schnell ganz kolossal.
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, auf den ich Anfangs nur recht kurz eingegangen bin, ist die Intention, welcher eine solche Wortneuschöpfung entspringt. Hierzu ein passender Vergleich ist dieses Nordic walking, dass nur deshalb entstanden ist, weil der zugegeben äußerst clevere Marketingmann eines Skistock-Herstellers nach einer Möglichkeit geforscht hat, auch in den Sommermonaten mehr Einheiten seines Produktes abzusetzen. Seien wir mal ehrlich: niemand braucht diese dämlichen Stecken, um in der Gegend umherlaufen zu können, insbesondere wenn man bedenkt, dass diese unnötige Fuchtelei in den Alpen zu einer vermehrten Bodenerosion entlang der Wanderwege führt, weil unsere Bergbewundernden Trendsportler mit ihrem Tun das randseitige Gestein losstochern. Führt alle ökologischen Gesichtspunkte der Tourismusbranche ad absurdum, aber wenn die meinen…
Interessant ist dabei, wie die Motivation zu Tage tritt: es geht, wie könnte dies auch anders sein einfach nur ums liebe Geld. Der Wunsch nach pekuniärem Erfolg verleitet dabei dazu, eine Einheit aus trendigem Produkt und noch trendigerem Schlagwort zu erschaffen. Und da gesunder Menschenverstand offenbar ein Gut ist, welches auf dem Erdenrund nur noch in homöopathischen Dosen vorkommt, wirkt dieser Mist auch noch Geldgenerierend. Dort, wo nicht sofort was verdient werden kann, ist es aber wenigstens möglich das Geltungsbedürfnis des jeweiligen Schöpfers zu befriedigen. Ich glaub, ich geh zum krampfen mal kurz nach nebenan.
Nur um das an diesem Punkt mal klarzustellen: was mich daran fuchst, ist nicht die geringe Menge an Streicheleinheiten für mein persönliches kreatives Ego, weil ich eben kein berühmter New-Media-Guru bin. Sondern vielmehr die Blödheit meiner lieben Mitmenschoiden, die jeden Scheiß dankbar konsumieren und sich damit der Pflicht enthoben fühlen, selber denken zu müssen.
Sprache ist was wunderbares, denn sie verbindet die Menschen in unvergleichlicher art und Weise miteinander. Sie kann aber auch genauso trennen, ausgrenzen, diskriminieren und mobben wie physische Gewalt. Somit ist der nächste und letzte Punkt, der mir in den Sinn kommt die Tatsache, dass sich bestimmte Personengruppen ihre eigene linguale Subkultur innerhalb unserer Sprache erschaffen, um sich abzugrenzen, hervorzuheben und schlussendlich wichtiger zu machen als sie eigentlich sind. In den wenigsten professionellen oder privaten Lebensbereichen tritt dies so offensichtlich auf, wie bei den Medienschaffenden, egal ob sie nun analog oder digital publizieren. Allerdings sind die „Macher“ des Web 2.00 innerhalb dieser Domäne besonders anfällig für systemimmanente Sprachvergewaltigungen – und den anachronistischen Stolz darauf.
Ganz ehrlich, ich brauche keine weiteren Ideen für social und creative networking, die ich auf noch hipperen ultraportablen Internet-devices laufen lassen kann, um von überall auf meinen workflow oder meine buddies interaktiv zugreifen zu können. Ich muss nicht jedes potentielle news-snipet sofort twittern, oder meine kreative Energie beim crowdsourcing verballern, um mich in der Welt des social commerce mit der common intelligence zu messen. Etwas mehr common sense, also Gemeinsinn könnte hier helfen, denn wenn man sich mal die Minute nimmt, das Ganze mal etwas kritischer zu betrachten, provozieren solche Systeme nicht mehr als eine Egoismusrallye auf dem Datenhighway, die nicht mehr zu Tage bringt als ein paar glückliche Gewinner, deren Ruhm in der Schnelllebigkeit des Netzes rascher verglüht, als er aufflackern konnte auf der einen Seite und jede Menge enttäuschter und wahrscheinlich oft auch entmutigter Verlierer auf der anderen.
Oh sicher, da werden jede Menge kreative Potentiale geweckt – und mit ihnen die Begehrlichkeit, diese auch in klingende Münze umsetzen zu können. Doch sehen wir der Wahrheit ins Auge: wenn tatsächlich jeder, der an diesen Wettbewerben teilnimmt auch das Zeug dazu hätte, wäre unsere Welt viel hübscher, als dies der Fall ist. Darüber hinaus wollen und müssen diejenigen, die solcherart Preise ausloben damit ja auch einen Gewinn machen bzw. Geld sparen, womit das Ganze für den einfachen Teilnehmer schon kein wirklich fairer Deal mehr sein kann, denn wäre er dort fest angestellt, müsste man ihm weit mehr für seine Mühen geben. Und auch wenn die Öffentlichkeit quasi transparente Verhältnisse vorfindet und den Entscheidungsprozess direkt beeinflussen kann, bleibt immer noch die Frage, ob hier nun Sachkenntnis und Fairness das Ergebnis bestimmen, oder doch eher subjektive Faktoren und dumpfer Dünkel. So macht man die Welt des Web wohl kaum lebenswerter.
Es wäre sicherlich ungerecht, die vorherigen Ausführungen als allgemeingültig hinzustellen und mir ist sehr wohl bewusst, dass Pauschalisierungen gefährlich sind, doch ohne einen kleinen Knall ist es schwer möglich, Menschen heute noch zum selber Denken zu bewegen, weswegen ich bewusst auf Polemik setze. Diese Strategie erlaubt mir zudem, reinen Gewissens das Medium zu nutzen, dessen Auswüchse ich so gerne schmähe. Zumindest ich sehe die wunderbare Ironie, die hierin liegt. Wenn sie sich gestatten, diese ebenso zu erfahren, tut der Stachel meines Zynismus gleich nur noch halb so weh.
Was bleibt ist die Hoffnung, dass es wieder mehr Menschen geben möge, die sich NICHT mit Worten blenden lassen – gleich wie neu, hipp, schön, schräg oder intellektuell sie auch klingen mögen. Kommen wir also mit zartbitteren Grüssen aus dem Denkkäfig zum Schluss. Und immer schön sauber und achtsam bleiben.