Das die Zeit einfach vergeht, ist ein Allgemeinplatz, den jeder Mensch fühlen kann, und dem lediglich die Physiker wahrscheinlich vehement widersprechen wollen würden; nämlich indem sie sagen, dass Zeit nicht EINFACH vergeht, sondern RELATIV zum Betrachter. Auch diese Beobachtung kann man nachvollziehen, wenn man sich kurz daran erinnern möchte, wie unterschiedlich sich der Fluss der Zeit ANFÜHLEN kann, je nach dem, ob man gerade DIE Stunde seines Lebens hat (DIE ist verdammt schnell vorbei) oder auf das Ergebnis seines Was-auch-immer-Tests wartet (DIE fließt wie eiskalte Melasse). Insofern ist ein Augenblick hinsichtlich seiner Dauer eine sehr variable Angelegenheit; und das nicht nur bei der Kommunikation mit Teenagern, die irgendeine Aufgabe erledigen sollen… Was allerdings auch bedeutet, dass die Qualitäten, welche ein einzelner Augenblick haben kann, sehr unterschiedlich sind, gerade weil wir die eigentlich (zumindest hier auf unserer Erde) halbwegs gleichförmig verlaufende Zeit sehr oft emotional und auch kognitiv aufladen. Mit guten, wie auch schlechten Gefühlen und Gedanken, welche sich mit dem gerade geschehenden Augenblick dann auf wundersame Weise zu einem Erleben verflechten, dass uns entweder erinnerlich bleibt – oder aber auch nicht. Dass unsere Wahrnehmung dabei auch noch unterschiedlichsten Verzerrungen unterliegt, die durch unsere Erwartungen, Beziehungen und die generelle Überschätzung unseres eigenen Intellekts geprägt sind, macht die Sache nicht eben weniger komplex…
Was nun das eben beschriebene Erleben anbelangt – allzuoft verzwecken wir dieses, zwar häufig unbewusst, aber dennoch wirksam. Wir erwarten von einem bestimmten Moment ein bestimmtes Ergebnis und können dabei allzu oft nur enttäuscht werden, weil es einen perfekten Augenblick auf Bestellung nicht gibt – so wenig, wie eine KI genau DAS Bild zeichnet, welches man gerade im Kopf hat, wie meine beste Ehefrau von allen, ausgefeilten Prompts zum Trotze feststellen musste. Und doch können wir einen Moment nicht einfach sein lassen, weil wir darauf getrimmt sind, all unser Tun, all unser Streben, all unser Sein auf Effizienz auszurichten: auf die Erfüllung eines Zweckes, der allzu oft wirtschaftlicher Natur ist. Aber selbst in der Freizeit streben wir noch nach Effizienz, nach höher, weiter, besser, mehr; anstatt die Dinge einfach mal geschehen zu lassen. Wir fühlen uns dann schlecht, weil wir keinen hohen Nutzen erzielt haben. Aber, WAS ZUM TEUFEL ist der Nutzen von Freizeit, die mich dazu zwingt, etwas „sinnvolles“ tun zu müssen, einfach weil man das halt so macht? Was ist der Nutzen etwa von „Quality Time“ mit der Familie, wenn der geplante Ausflug dann aus Genöle und unentspannter Gereiztheit besteht? Kriege ich dann einen Pokal „Dad of the Year“, weil ich es geschafft habe, keinen auszusetzen oder umzubringen? Ihr spinnt doch alle… [Exkurs: ich weiß, dass die beste Ehefrau von allen beim Thema Care Work möglicherweise gereizt reagiert, weil Menschen naturgemäß unterschiedliche Wahrnehmungen ein und der gleichen Situation haben können; ich versichere jedoch an Eides Statt, dass ich wirklich versuche, genug für den Haushalt und die Familie zu tun! Exkurs Ende]
Worauf ich nun hinaus will: darauf, sich mit dem japanischen Begriff „Komorebi“ vetraut zu machen, der sinngemäß das Sonnenlicht beschreibt, welches durch die Blätter der Bäume gefiltert auf den Boden fällt und dabei immer wieder neue Muster zeichnet. Bewegliche, vergängliche Muster, deren Anblick einen jedes Mal auf’s Neue an zwei Dinge gemahnen kann: erstens die Vergänglichkeit allen Seins (und damit auch die eigene) vor allem zweitens aber die Einzigartigkeit jedes Momentes. Nicht jeder Moment ist nun erhebend, großartig, erfüllend, schön; aber jeder Moment verdient es dennoch, gewürdigt zu werden, einfach weil wir ihn erleben dürfen. Ein Umstand, den wir im HUZZ und BUZZ der schönen neuen Welt, in welcher wir leben allzu oft vollkommen vergessen. (Die Inspiration habe ich von Gert Scobel, ich habe zwei Youtube-Videos unten verlinkt) Ich war heute Nachmittag noch mal im Wald unterwegs, um einen Wasserfall zu suchen, von dem man mir sagte, er sei sehenswert. Man könnte jetzt also unterstellen, dass ich einfach nur die paar Kilometer gegangen bin, um ein Foto zu knipsen (tatsächlich wurde es mehr als eines), also auch aus einer Verzweckung meiner Freizeitgestaltung heraus. Und tatsächlich dachte ich derlei, als ich losging. Doch als ich angekommen war, war Zeit egal! Ich war im Jetzt, lauschte dem Rauschen, schaute mir das Naturschauspiel an, hatte eine lustige, zweisprachig geführte Begegnung mit einem anderen Wandersmann mit Hund und stellte fest, dass mein Kamera-Akku zu früh leer war. Drauf geschissen, denn ich fand zur Abwechslung mal wieder mich selbst ohne jede Verpflichtung wieder. Ich WAR einfach – Komorebi!
Ich weiß, dass ich nächste Woche wieder werde anderer Leute Zwecke erfüllen müssen. Und diese Erkenntnis wird mich, wenn sie dieser Tage an Gewicht gewinnt, gewiss traurig machen. Doch genau jetzt ist sie vollkommen belanglos, denn ich bin hier und frei. Sich solche Oasen des freien Geistes auch im Alltag schaffen zu können, ist mein erklärtes Ziel, denn nur das wird mich langfristig davon abhalten, Menschen auszusetzen oder umzubringen, weil deren Zweck ist, Andere um den Verstand zu bringen. Ich wünsche euch den freien Geist auch solche Momente erleben zu können. Wir hören uns.
- „Perfect Days“ – die Philosophie des perfekten Tages (Gert Scobel auf Youtube)
- Der Sinn der Zwecklosigkeit (Gert Scobel auf Youtube)