Aus des Märchenonkels Nähkästchen #1 – Geschichten über’s Erzählen

Ich habe schon bei einigen Gelegenheiten erwähnt, dass das Geschichtenerzählen eine meiner Passionen ist. Es ist dabei vollkommen egal, für welches Medium und in welcher Darbietungsform Geschichten erzählt werden, also zum Beispiel als Buch, als Podcast, im Rollenspiel; wichtig ist eigentlich nur, dass die jeweilige Geschichte ein paar grundsätzlichen Anforderungen genügen sollte. Darunter verstehe ich einerseits ein gewisses Maß an innerer Konsistenz; das heißt, die Ereignisse müssen innerhalb des Erzählkontinuums plausibel sein. Das Erzählkontinuum setzt sich zusammen aus dem Setting, also vereinfacht gesagt der Welt, in welcher sich die Geschichte abspielt, und dem Metaplot, also dem übergeordneten Handlungsbogen, in welchen sich die Corestory, also der augenblickliche Erzählfokus eingebettet findet. Innerhalb dieses Kontextes muss die erzählte Geschichte, inklusive der Akteure, welche sie voran bringen, glaubwürdig daher kommen. Natürlich stellt da jede Geschichte ihre individuellen Ansprüche, aber die Dinge müssen einfach zusammen passen. Tun sie dies nicht, muss es dafür einen guten Grund geben. Jeder kennt das: Plotholes, durch die man mit der gesamten Pazifikflotte durchfahren kann. Eine Geschichte kann trotzdem noch funktionieren, aber sie verliert gegenüber denen, die konsistenter erzählt sind. Andererseits sollte die Story unterhaltsam, vielleicht spannend oder auch lustig sein, mich aber im Besten Falle für eine Weile vollkommen von meinem Alltag ablenken, denn der ist mühselig genug; aber wem geht das nicht so. Ansonsten ist der Maßstab nur noch die Phantasie. Was für die eigenen Geschichten gilt, wird natürlich auch als Maßstab an anderer Leute Erzählungen angelegt, wobei auch hier Medium und Kunstform nicht unbedingt von Belang sind.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs für all Jene, die sich immer wieder mit solchen Sätzen wie den Folgenden hervor tun: „Das Buch war viel besser als die Verfilmung!“, „So hatte ich mir meinen Lieblingscharakter überhaupt nicht vorgestellt!“, „Die haben die gute Geschichte ruiniert!“, „Das kam SO doch gar nicht im Buch vor!“, „DAS hätten die aber auch zeigen müssen!“. Kommen solche Bemerkungen bekannt vor? Nun das dürfte daran liegen, dass ein Buch und ein Film bzw. eine TV-Serie zwei vollkommen unterschiedliche Kunstformen sind und auch dann nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen, wenn sie die gleiche Geschichte behandeln. Beim Buch kann man sich die beschriebenen Orte, Personen und Sachverhalte in seinem Kopf so ausmalen, wie man Lust hat. Beim Film haben der Regisseur, Produzent, Setdesigner und die Schauspieler zusammen ihre Version der Geschichte entwickelt, um diese dann in Szene setzen und dem Zuschauer präsentieren zu können. Beide Vorgänge involvieren die Phantasie, nur dass beim Film die Phantasie Anderer in den Vordergrund tritt. Zumindest tut sie das vordergründig. Auch eine visuelle Erzählung kann allerdings die eigene Vorstellungskraft anregen. Man sollte also eine Verfilmung als eine andere Weise betrachten, wie die Grundgeschichte interpretiert werden kann. Dann kann man sich unnötig Atemluft verschwendendes Verfilmungsbashing schon von vorn herein sparen – zwei VERSCHIEDENE Kunstformen! Klar soweit…?

Nun erzähle ich also hie und da Geschichten und selbstverständlich kommt es dabei, wie bei jeder anderen Form von Kommunikation auch, zu Missverständnissen. Wie jetzt, Geschichtenerzählen ist doch keine Kommunikation, oder? Oh doch, Watson, ist es, ganz sicher sogar! Indem ich etwas beschreibe, eröffne ich jedem Zuschauer/Leser die Möglichkeit, all jene zwangsläufig verbleibenden, ungefilmten/ungeschriebenen Szenen in seinem Kopf entstehen zu lassen. Indem ich eine Idee frei ließ – so sie denn stark genug war – bin ich mit dem Konsumenten meiner Geschichte in einen kreativen Dialog getreten, denn so oder so wird dieser Konsument seine Meinung irgendwem kund tun, vielleicht ein Fanboy/Fangirl werden, eigene dazu passende Geschichten entwickeln; oder zu einem ganz und gar entschiedenen Hasser meiner Art, Geschichten zu erzählen heranreifen. Egal wie’s auch ausgehen mag, wir haben angefangen mittelbar, vielleicht aber auch unmittelbar, miteinander zu kommunizieren. Und weil dabei unklar bleiben muss, welche Ideen ICH für die eben genannten ungefilmten/ungeschriebenen Szenen gehabt haben könnte, weil keiner in meinen Kopf kucken kann (und auf CT-Bildern habe ich schon Einiges gesehen, aber noch nie eine Idee), sind die Missverständnisse vorprogrammiert, weil es nämlich höchst unwahrscheinlich ist, dass irgendjemand anders auf exakt die gleichen kaputten Einfälle kommt, wie ich! Egal bei welchem Sujet…

Aber nicht nur inhaltliche Missverständnisse, auch weltanschauliche Kollisionen, differierende ästhetische Auffassungen und verschiedene Menschenbilder lassen einen die jeweilige Geschichte vollkommen unterschiedlich erleben. Daran ist eigentlich auch nichts Schlimmes, weil eben diese individuellen Merkmale unsere Persönlichkeit mit definieren und die Kunst als solche aus den resultierenden Spannungen ihren Charakter als ausgleichende Kraft in der Gesellschaft zugleich ableitet und entfaltet. Indem wir uns an künstlerischen Darstellungen, gleich welcher Machart entzweien, können wir nämlich etwas über unsere Gegenüber und uns selbst lernen; und das in einem üblicherweise gewaltfreien Raum. Zumindest zieht keiner der mir bekannten Menschen bei einem noch so hitzigen Verbalgefecht über irgendein Buch oder einen x-beliebigen Film eine Kalaschnikow und mäht seinen Diskussionspartner einfach um. Was nicht heißen soll, das diese Möglichkeit generell nicht bestehen könnte…

Wie dem auch sei, Geschichtenerzählen als wichtiges Hobby regt mich persönlich auch zum Nachdenken über die verschiedenen anderen Aspekte des Geschichtenerzählens als Kunstform an. „…und die Moral von der Geschicht’…“ ist für mich keine hohle Phrase, sondern trägt Sinn in sich, nämlich denjenigen, in den eigenen Erzählungen ebenso einen Sinn auffindbar machen zu wollen. Das heißt, man muss sich damit auseinander setzen, ob eine Geschichte eine Moral enthalten muss, ob sie spirituelle und philosophische Fragen berühren soll und wie viel Bezug sie zur aktuellen Lebensrealität der Konsumenten bzw. Kollaborateure haben darf. Diese Entscheidungen werden nie alt; oder besser, sie müssen jedes Mal auf’s Neue getroffen werden, doch darauf komme ich demnächst zurück. Beim nächsten Blick in des Märchenonkels Nähkästchen denke ich ein wenig über das Kollaborierende, also das miteinander eine Geschichte erzählen nach.

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