Die Politik – mein Feind?

Tja, wenn man der nicht unerheblichen Zahl stammtischparolierender Mitmenschoiden denn mal gerne wieder ohne großes Aufhebens – und ohne Nachdenken – zustimmen möchte, braucht man jetzt auch schon gar nicht weiter zu lesen bzw. zuzuhören. Sollte allerdings noch ein Funke gesunder Menschenverstand und ein wenig Selbstachtung vorhanden sein, wäre es möglicherweise bedenkenswert, noch einen Moment als Konsument dieser Worte zu verharren.

Was ist Politik? Bereits diese einfache Frage führt nicht Wenige in die Verlegenheit sagen zu müssen, dass sie keine Definition dazu geben können, ohne vorher mal googeln zu müssen. Habe ich natürlich auch gemacht, denn irgendwie ist man doch bestrebt, bei öffentlichen Äußerungen nicht vollkommenen Stuss zu labern. Abseits wohlfeiler Artikel in Enzyklopädien, ist Politik, wenn man mal auf die unterste Ebene schaut, zuallererst ein Medium des Augleiches der Interessen aller Menschen, die miteinander an einem Ort leben. Auch Familie bedeutet, wenngleich im Kleinen, Politik machen zu müssen; bei Streitigkeiten einen Ausgleich zu finden, eine gemeinsame Linie zu finden, entlang der man sich in der Zeit gemeinsam vorwärts bewegen kann und will, Kompromisse vorzuschlagen, oder auf sie einzugehen und dabei trotzdem letzten Endes sich selbst treu bleiben zu können – was man durchaus als Luxus betrachten darf.

Natürlich ist die Familie ein Zweckgemeinschaft, deren haltbarster Kitt Zuneigung sein dürfte, doch Vertrauen und Respekt sind ebenso wichtig. Gehen wir einen Schritt weiter und verlassen die auf der Meso- und Makroebene doch etwas schwache Analogie von Politik und Familienleben bleiben allerdings trotzdem Vertrauen und Respekt; und zwar als Basis von Legitimation. Ich vertraue durch die Abgabe meiner Stimme für einen Kandidaten oder dessen Partei – bei der ich ja die freie Wahl habe – jemandem die Vertretung meiner Interessen an. Das Mandat (vom lateinischen „mandare“ für „beauftragen“), welches ich durch meine Stimme verleihe, beinhaltet also das Vertrauen, dass der von mir gewählte Mandatsträger, so er denn durch eine ausreichende Mehrheit in den Genuss kommt, meine Interessen so weit wie möglich vertreten wird. Ich gebe ihm damit die Legitimation, in meinem Namen zu handeln. In diesem Sinne ist es also eine Handlungsvollmacht; und „so weit als möglich“ bedeutet, dass derjenige dabei natürlich Kompromisse eingehen, bei Streitigkeiten einen Ausgleich finden und entlang einer gemeinsam zu findenden Linie vorwärts schreiten soll. Weil eine Welt, die sich auch ohne unser ganz persönliches Zutun weiter entwickelt uns ansonsten überrollt. Denn irgendwer, der auf irgendeinem Gebiet voran gehen möchte, findet sich bei rund 80 Millionen Menschen in unserem Staate immer…

Bei so vielen Menschen jeden Einzelnen fragen zu wollen, was er denn jetzt in dieser oder jener Situation zu tun gedächte, überforderte nicht nur in technischer sondern auch kognitiver Hinsicht viele Beteiligte des Systems „Gesellschaft“. Zum Einen, weil es so Manchem an Zeit und/oder Interesse mangelt, sich in jeden Sachverhalt, der von Politik geregelt werden muss zu belesen und hinein zu denken (und das sind ziemlich viele); und zum Andern, weil die Vielzahl an Entscheidungen uns alle zu Vollzeitpolitikern machen würde. Deshalb gibt es ja Mandatsträger, welchen wir durch Wahlen die Vertretung unserer Interessen in Auftrag geben. Und die, weil es ja in einem solchen System keinen Sinn machen würde, für jeden Bürger einen Bürgervertreter zu wählen in aller Regel die Interessen von viel mehr Menschen vertreten müssen; bei angenommenen 80,2 Millionen Einwohnern der BRD und aktuell 631 Abgeordneten im Bundestag wären das ca. 127.100 einzelne Interessen pro Mandatsträger. Das ist nun die obere Größenordnung, aber selbst bei Gemeinderatswahlen werden es immer noch nur sehr schwer persönlich überschaubare Personengruppen sein, deren Interessen ein Einzelner nun vertreten soll. Die Zahlenspiele sollen eigentlich nur auf Eines aufmerksam machen: ganz gleich, ob wir für eine Partei oder eine Person stimmen, ist derjenige, sobald er gewählt wurde, vor allem seinem Gewissen, seinem Sachverstand und fast ebenso stark seiner Fraktion, also der Summe der zumindest nominell Gleichgesinnten im Gremium Rechenschaft schuldig.

Wir unterstellen aber, dass diese Mandatsträger, sobald wir ihnen unsere Stimme gegeben haben, einfach machen was sie wollen; oder besser, was irgendwelche nebulös als „Lobbyisten“ titulierten Menschen wollen, denen wir unterstellen, sie würden nur die Interessen „der Wirtschaft“ vertreten. Was ist denn „die Wirtschaft“? Also ich bin auch Teil davon, denn ich nehme an Wirtschaftskreisläufen teil. Geht ja auch gar nicht anders, denn irgend jemand muss in einer so hochkomplexen, modernen Industriegesellschaft wie der unseren zum Beispiel Energie zur Verfügung stellen, oder Nahrungsmittel, Kleidung, Fortbewegung, etc. Und weil sich irgendwann unsere Wirtschaftsform zur Kapitalistischen entwickelt hat, haben Anbieter und Abnehmer Interessen, die sie vertreten sehen wollen. Das ist in der Folge die Hauptarbeit von Politik, nämlich der Interessenausgleich. Da wir aber als Konsument, Arbeitnehmer (oder auch Arbeitgeber), Familienmitglied und Mensch ganz allgemein je unterschiedliche Interessen haben, die einander sogar innerhalb ein und derselben Person zuwider laufen können, stehen unsere Mandatsträger vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Denn all diese miteinander konkurrierenden Interessen unter einen Hut bekommen zu wollen, ist eine Loose-Loose-Situation!

Und ich als Bürger? Ich stelle mich hin und buhe sie aus, weil sie Dies, oder Das oder Jenes meiner Ansicht nach nicht in den Griff bekommen – Probleme, die mich betreffen, aber von deren Beschaffenheit, oder Zustande kommen ich keinen Schimmer habe, obwohl es doch eigentlich recht einfach wäre, sich darüber Informationen zu beschaffen. Aber ich habe doch gewählt, der wird dafür bezahlt und nicht zu knapp, genehmigt sich doch eh nur dauernd höhere Diäten und schafft nix dafür, oder…? Mag sein, dass es bei Einzelnen tatsächlich so ist, aber Abgeordnete, die immer noch mit Enthusiasmus bei der Sache sind und ihre Aufgabe durchaus ernst nehmen, stehen trotzdem vor einer unlösbaren Aufgabe; nämlich es jedem Recht machen zu müssen. Und vor allem den Medien, die halt jede Woche eine andere Sau brauchen, die sie durchs Dorf treiben können – denn nur schlechte Nachrichten verkaufen sich und sind damit gute Nachrichten.

Nicht die Politik ist mein Feind! Sondern Menschen, welche die Schwächen des Systems kennen und sie für sich instrumentalisieren; Menschen die falsche Informationen streuen, mit Gerüchten und Mobbing arbeiten, Politiker, die durch ihre Verpflichtung gegenüber ihren Wählern und deren Interessen angreifbar sind unter Druck setzen und daran arbeiten, die tief gehenden Verflechtungen zwischen Politik und Industrie noch zu intensivieren. Man nennt das Neokorporatismus und es ermöglicht den Vertretern kleiner, aber dafür feiner Interessengruppen Einfluss auf Entscheidungen, die eigentlich uns alle betreffen. Tatsächlich sind solche Lobbyisten nicht nur meine Feinde, sondern auch die Feinde der Politiker. Der Schluss, dass auf Grund eben dieser unheilvollen Verflechtung auch die Politiker samt und sonders meine Feinde sein sollen, ist schlichter Blödsinn. Viel mehr muss deren Beeinflussung durch die Vertreter weniger Gewinner, mich als normalen Bürger, der dabei Verlierer sein soll, dazu anregen, meinen eigenen Interessen genauso Lobbyist zu werden und die von MIR erteilte Legitimation für die Mandatsträger in die Wagschale zu werfen. Das geht durch Bürgerinitiativen, Petitionen und den persönlichen Weg in die Politik. Es ist einfach, es kostet allerdings Zeit und Engagement. Womit ich bei meiner ältesten Frage angelangt bin: Warum nur verschwendet ihr soviel von eurer Zeit und eurer Energie für Dinge, die uns lediglich blenden, dumm machen und vom Wesentlichen abhalten? Ihr wisst nicht was ich meine? Tja, dann setzt euch halt weiter jeden Tag stundenlang vor den Fernseher…

PS: Woran bemisst sich die Seriosität eines Mandatsträgers bzw. eines Lobbyisten eigentlich? Am Preis des Anzugs? Dazu bei Gelegenheit mehr!

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