Es gibt in den Erziehungswissenschaften und verschiedenen verwandten Disziplinen seit langem eine Diskussion darum, ob sich die (Aus)Bildung eines Jeden zuerst am humanistischen Ideal ganzheitlicher Bildung orientieren soll, oder doch an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit dessen, was gelehrt/gelernt wird. Soll man einen Menschen dahin führen, dass er freiheitlich für sich selbst entscheiden kann, oder soll er einfach nur dazu befähigt werden, sich so gut wie möglich in den Wertschöpfungsprozess integrieren zu können? Dies ist eine polemische Überspitzung einer wesentlich komplexeren Frage, denn natürlich muss auch jemand, der Humboldt huldigt anerkennen, dass Broterwerb zumindest gegenwärtig noch ein existenziell notwendiger Bestandteil unseres Daseins ist.
Der Staat und die Wirtschaftsunternehmen haben ein vitales Interesse daran, dass die Menschen vor allem zum Arbeiten befähigt werden. Dazu müssen die Leute lesen, schreiben, rechnen und Maschinen bedienen können. Die Wirtschaft braucht das, weil sie einen stetigen Nachschub an Fachkräften benötigt, um leistungsfähig bleiben zu können. Der Staat, weil er Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst durch Erwerbseinkommen bestreiten können, unterstützen muss (Stichworte: ALG I und Hartz IV), was natürlich Geld kostet. Diese Argumentation läuft also auf rein wirtschaftliche Fragen hinaus, die natürlich zum Leben dazu gehören. Aber was ist mit Teilhabe an Gesellschaft. Lebe ich nur, um roboten zu gehen (wie die Toten Hosen mal in eine Liedzeile geschrieben haben) und das Drumherum ist mir egal? Dann kann ich das auch in einem totalitären Regime tun. Oder mache ich mir Gedanken über meine Umwelt und habe eine Meinung, die ich vertreten sehen möchte? Dann sollte ich aber etwas darüber wissen, wie der Staat, in dem ich lebe und seine Institutionen funktionieren. Wie man Wahrheit und Unwahrheit unterscheidet. Wie man auf Basis von Fakten Entscheidungen trifft. Wie das Zusammenleben mit Anderen funktionieren sollte. Was man tun darf und was man besser lassen sollte. All diese Dinge eben, die einem eine sinnvolle Form von Bildung vermittelt.
Und das tun unsere Bildungsinstitutionen sehr wohl; wenn auch nicht immer optimal. Sie könnten es allerdings noch wesentlich besser, wenn man nicht jedes Mal, wenn die Wirtschaft nach Erleichterungen schreit (damit ein paar Reiche noch reicher werden können, denn darauf laufen Steuererleichterungen und extra niedrige Energiekosten für das produzierende Gewerbe hinaus) der Finanzminister seinen Rotstift zur Hand nähme und ihn dort ansetzte, wo sich die Leute am schlechtesten wehren können, nämlich bei bestimmten Sozialausgaben und Bildung. Es klingt vielleicht fast albern einfach, aber: gäben wir mehr für Bildung aus, hätten die Leute ein besseres Bildungsniveau, bekämen sie für ihre Arbeit eine angemessene Entlohnung (nämlich ihrem Bildungs- und Kompetenzniveau entsprechend), müsste der Staat nicht so viel für Sozialausgaben einplanen und hätte vielleicht mal was für die Schuldentilgung übrig. Die Wirtschaft hingegen hätte es dann leichter, sich qualifizierten Nachwuchs heranzuziehen, der wiederum, weil umfassend gebildet, in der Lage wäre, sinnvolle soziale und politische Entscheidungen zu treffen, was das Gemeinwesen von Opportunitätskosten entlasten würde (z. B. keine rechts- oder linksextremen Demos => weniger Aufwand für die Polizei => keine Überstunden => weniger Kosten).
Natürlich sind die Sachverhalte hier vereinfachend dargestellt. Aber wie soll es besser werden, wenn wir nicht einmal damit anfangen, darüber nachzudenken, was man besser machen könnte, anstatt immer nur nach einem Sündenbock dafür zu suchen, dass es uns subjektiv schlecht geht? Oder besser gesagt, dass es uns subjektiv schlechter geht, als den anderen, mit denen wir uns so gerne vergleichen? Warum werden unsere Gehaltsabrechnungen (wohl bemerkt beim gleichen Arbeitgeber) in verschlossenen Briefumschlägen überreicht, obwohl jeder mit einem Blick in die Tariftabelle leicht ausrechnen könnte, wie viel ich monatlich circa überwiesen bekomme? Es sind übrigens im Mittel etwa 2450,00€ netto. Warum wohl? Weil wir hier in der bunten Republik Deutschland eine Neidgesellschaft sind. Wir gönnen unserem Nachbarn oft nicht sein Auto, sein Haus, seine Heimkinoanlage, weil wir davon überzeugt sind, dass wir es eher verdient haben als er, diese Dinge besitzen zu dürfen. Bullshit!
Ich habe Verständnis, wenn jemand, der von Hartz IV leben muss sich denkt, „Scheiße, das hätte ich auch gerne!“, denn eigentlich denkt er sich „Scheiße, ich hätte auch gerne einen Job, mit dem ich mir meinen Lebensunterhalt und ein bisschen Spaßgeld selber verdienen kann!“ Stattdessen muss er sich als faul und dreist beschimpfen lassen, weil es ein paar faule Äpfel in der Kiste gibt, die sich auf Kosten des Gemeinwohls durchprokrastinieren. Aber jemand aus der Mittelschicht, zu der ich im Übrigen auch zähle? Welches Recht hat so jemand auf seinen Neid?
Part 7 übermorgen