Ich habe mal wieder in Charles Bukowski reingeblättert. Er war genauso alt wie ich jetzt, als er anfing, mit der Kolumne „Notes of a dirty old man“ einen gewissen literarischen Erfolg zu erzielen. Unkonventionell, gewalttätig, unter die Gürtellinie, manchmal um zwei Ecken denkend – einfach zu konsumieren waren seine Geschichten nie! Mäanderten manchmal in einem Satz durch mehrere Themen. Ich lese ihn als desillusionierten Humanisten. Da fällt mir ein: ist es nicht komisch, dass wir uns selbst immerzu durch anderer Leute Augen bzw. Brille zu sehen versuchen? In sich selbst ruhen, in gewissen Momenten einfach einen Scheiß auf die Meinung Anderer geben, sein Ding machen – das war nie MEIN DING. Ich meine, ehrlich, ich muss mich heute weniger bemühen, Bullshit mit einem Achselzucken und einem „Ja, wenn du meinst…“, welches meine zumindest teilweise wohlwollende Ignoranz zum Ausdruck bringen soll, passiv zur Kenntnis zu nehmen. Je weniger nah der Mensch, desto leichter das Achselzucken. Und dann sind da diese Momente, wo mich vollkommen fremde Leute triggern. Verdammt und zugenäht…
Vermutlich gibt es da diese spezielle Sorte Mensch, die einfach nie zu alt für ein bisschen gediegenen Krawall wird. Ich denke ein Aspekt dabei ist, dass man Überzeugungen hat. Der Unterschied zwischen einer Überzeugung und einem Dogma ist für mich übrigens (Obacht, kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit!), dass eine Überzeugung auf Erkenntnis beruht und ein Dogma auf Emotion. Ein weiterer Unterschied ist, dass eine Überzeugung durch neue, andere Erkenntnisse veränderbar bleibt, wohingegen sich das Dogma immer mehr gegen Fakten imprägniert. Es besteht also mithin ein Unterschied zwischen dem – auch mal vehement-verbalgewaltigen – Vertreten einer fundierten Überzeugung und dem zumeist phrasendreschenden Dogmatisieren. Und ich kann es leider nicht leugenen: Dogmatiker triggern mich immer wieder, weil sie nicht weiter denken können, als bis zum Ende ihres Horizonts. Selbst wenn du die auf den Kalmit stellst, sehen sie anstatt der oberrheinischen Tiefebene nur Bäume…
Ein anderer Aspekt des gediegenen alten Krawallbruders (Krawallschwestern seien mir natürlich auch willkommen!) ist der unruhige Geist. Wenn man sich für zuviel interessiert und seine Aufmerksamkeit zu weit streut, bleibt man manchmal zwangsweise in einem Zustand unbefriedigter Erregung zurück (rein platonisch gesprochen!), weil ein einzelnes Menschenleben viel zu kurz ist, für so viele Interessen. Zumindest, wenn man mit einem Standardintellekt ausgestattet ist. Zudem macht der unruhige Geist einen anfällig für allerlei dummen Kram, wie etwa Depressionen; weil man einfach intensiver empfindet. Ich kann das nicht wirklich erklären, aber es fühlt sich in etwa so an, als wenn man an einem blendend hellen Sommertag ohne Sonnenbrille nach oben schaut. Da ist zu viel Licht! Als wenn man euf einem belebten Platz versucht, einem Vogel zuzuhören. Da sind zu viel Geräusche! Als wenn man versucht, sich auf einen Affekt zu konzentrieren, während ringsum eine Demo tobt. Da sind zuviel (negative) Emotionen. Es ist manchmal einfach von allem zuviel…
Ich habe gelernt damit zu leben. Und meistens funktioniert das OK. Nicht immer, aber wenigstens meistens. Manchmal jedoch ist das Leben wie Bukowski lesen – da ist einfach zuviel Leben im Leben drin. Du kannst dich dem auch nicht entziehen, denn der Zug rollt, die Maschine will gefüttert werden, alle warten darauf, dass du deinen verdammten Job erledigst. Du hast ja nur einen Job – funktionieren, damit alles andere auch funktionieren kann, weil wir alle zusammen funktionieren müssen. Ist das das Leben? Reduziert sein auf eine Funktion? Klingt nicht wirklich nach Freiheit. Ich meine, objektiv betrachtet leben wir in einem der reichsten, freiesten, sichersten, bestorganisierten Länder der Erde. Klar, wir haben auch Probleme: soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, struktureller Rassismus, mangelndes Commitment für den Umweltschutz, Egoismus, Narzissmus, und noch ein paar andere -ismen – ABER, im Mittel geht es uns verdammt viel besser, als einem sehr großen Prozentsatz der Welt. (Wird immer gerne verschwiegen, wie gut Demokratie funktionieren kann, wenn es den Demokratiefeinden gerade in den Kram passt.) Was ist es dann, dass so viele so unglücklich und unzufrieden macht?
Einerseits sicher der eine Problemfaktor, nämlich die Ungleichheit. Unser System bevorteilt Typen wie mich überproportional. Andererseits hat sich so eine existenzielle Angst breit gemacht. Die Individualisierung und Partikularisierung unserer Gesellschaft hat dem Indviduum mehr Verantwortung aufgeladen: „DU musst sehen, dass DU dein Leben alleine auf die Reihe kriegst! Ach und übrigens – ab jetzt musst DU das noch scheller können!“ Der Druck macht die Menschen mürbe. Sich wie Bukowski ’68 mal eben mit einem Bier an die Schreibmaschine setzen, und dem lieben Herrgott zumindest literarisch den Stinkefinger zeigen, kann sich so heute gut wie niemand mehr leisten. Stattdessen müssen wir mehr leisten, um uns überhaupt das Leisten leisten zu können. Tretmühle Turbokapitalismus. Das ist es, was mich (pardon) immer härter fickt! Ich mag meine Arbeit als Schulleiter, als Dozent, als Projektentwickler, als Mentor – aber auch hier ist ein dauernder Druck spürbar, Ergebnisse erzeugen zu müssen. Und die Messbarkeit dessen, was ich tue, ist halt nicht in wirklich Monatsabschlüssen, sondern immer nur über mehrere Jahre hinweg beurteilbar. Für die Leute aus dem fernen Fiskalien (Controller) ist das ein Alptraum! Dabei entwickle ich mich (ungeahnter Weise) immer mehr zum Kaufmann. Dennoch suche ich immer noch beinahe verzweifelt nach einem Weg, den kreativen Träumer in mir mit dem, in die Realität eingebundenen Arbeitstier zu versöhnen. Hätte irgend jemand mal einen Rat für mich…?