Tagträume…?

Für jemanden, der üblicherweise einen eher visuellen Denk- und Vermittlungsstil hat, ist es nichts Ungewöhnliches, dann und wann an Orte zu driften, die anderen Menschen nicht so leicht zugänglich sind. Ich glaube übrigens fest daran, dass JEDER/JEDEM das Recht zusteht, solche Orte zu haben, an denen man sich – weitestgehend ungestört von der sonstigen Welt da draußen – seinen eigenen, höchst privaten Geschichten, Ideen und Wünschen hingeben kann. Nimmt man noch den Umstand dazu, dass ich selbst mich seit vielen Jahren als Storyteller versuche, mag es noch weniger verwundern, dass ich derlei als normalen Bestandteil meines Daseins erachte. Was allerdings nichts an dem Umstand zu ändern vermag, dass nicht wenige Leute das Tagträumen als unnötige, verlotterte prokrastinatorische Zeitverschwendung betrachten. Ich würde dem gerne begegnen, indem ich nun etwas über meinen heutigen Tag erzähle. Es ist übrigens ein Sonntag, was bei meinem Job nicht immer bedeutet, dass dies ein freier Tag ist, aber immerhin meistens – so auch heute.

Tage beginnen – wenn man nicht gerade, wie sonst unter der Woche, irgendwann zwischen 06:00 – 06:30 aufstehen muss, um zur rechten Zeit zur Arbeit zu kommen – dann, wenn sie beginnen! Oder anders gesagt: ich stelle mir am Wochenende nur dann einen Wecker, wenn es irgendeinen Termin zu halten gilt; was Gottseidank eher selten der Fall ist. Üblicherweise mäandert man jedoch zwischen 09:00 und 09:30 aus Morpheus Reich ins Hier und Jetzt, um zu frühstücken und danach freestyle darüber zu befinden, was es denn nun werden soll. Samstage sind da noch ein bisschen mehr strukturiert, weil oft genug Haushalt liegen bleibt, der sich nun mal nicht von alleine macht. Aber die Sonntage… die sind disponibles Territorium! Ich koche am Wochenende zumeist für die Familie, was mit mehr oder weniger viel Aufwand verbunden ist, vorbereitende Tätigkeiten wie das Einkaufen (allerdings natürlich am Samstag) beinhaltet und somit einen Teil dieser freien Zeit verbraucht. Ich finde das okay, denn es erzeugt zumeist Produkte, die allen am Gaumen Freude bereiten; und ich empfinde das Geschnippel, Gerühre, Gebrutzel zumeist als weniger anstrengend sondern vielmehr anregend. Man sollte dabei allerdings noch nicht so sehr mit dem Tagträumen anfangen, sonst mangelt es einem irgendwann u. U. an Fingerkuppen – zumindest, wenn man seine Messer in Ordnung und Schärfe hält.

Auch phyische Bewegung ist für mich vollkommen akzeptabel, sofern man von mir keine waschechten sportlichen Anstrengungen erwartet. Aber mal ein bisschen Spazieren oder Wandern ist vollkommen im Rahmen, man will ja nicht immerzu nur seine vertrauten vier Wände von innen anschauen; dabei entkoppelt man durchaus auch schon mal vom Hier und Jetzt, doch nie soeit, dass es einem Traum gleicht. Dann kommen Sachen, die einen eher in diesen besonderen Zustand versetzen: Lesen und Schreiben. Dabei versinke ich oft genug in Gedankenwelten, die Merkmale eines Tagtraumes erfüllen, vermutlich aber oft eher als Flow-Zustand zu charakterisieren wären (wer sich dafür interessiert: Mihály Csíkszentmihályi lesen!). Beim Zocken an der Playse bin ich zwar auch in einem Zustand der Immersion, doch da es sich dabei um die Traumwelten Anderer handelt, in welche man eintaucht, ist es nicht das Gleiche wie Tagträumen. Und auch bei einer Pen’n’Paper-Sitzung mit Anderen ist es eher der gleiche Zustand, wie beim Playse-Zocken, wenngleich die Motivation auf Grund der Beziehung zum selbst erschaffenen Charakter anders ist, und die Immersion u. U. tiefer geht.

Doch wahres Tagträumen ist eine Übung, die entkoppelt von anderen Aktivitäten stattfindet. Sie ist eher vergleichbar mit diesem Zustand im Bett, Abends, kurz bevor man einschläft oder in diesen Momenten am Morgen, wenn Nachtträume zerfasern und man noch versucht, irgendwas von dem festzuhalten, was eben durch den Kopf geisterte. Es ist kein echtes Wach-Sein aber auch kein Schlafen. Vielleicht eher wie eine Meditation. Eine ANDERE Meditation, die einen nicht in diese Zen-selige Achtsamkeit versetzt, die zu erlernen man angeblich unbedingt in dieses sauteure Ressort fahren muss; sondern jene Art von In-sich-gekehrt-sein, die einen zu den eigenen, freien, wilden, ungezügelten Träumen und Fantasien führt, nicht zu einer Übung, die den Geist disziplinieren soll. Wenn ich derlei heraufbeschwöre, dann geschieht dies auch aktiv; ich nehme auf die Handlung Einfluss, so wie ein Regisseur auf den Film, der gerade gedreht wird. Nur, dass es kein physisches Korrelat dieses Films in meinen Gedanken gibt. Lediglich mein Gesicht spiegelt vielleicht das Innen. Ich tue das nur, wenn ich meine Ruhe habe – weil ich es nur tun KANN, wenn ich meine Ruhe habe. Denn ich möchte in diesen wenigen Augenblicken, also dem, was auch vom freien Tage übrigbleibt, wenn alles andere getan und gesagt ist, von niemandem gesehen oder gestört werden. Es ist MEIN Tagtraum.

Und er ist MIR so wertvoll, weil sich dort entfalten kann, was sonst u. U. ungesagt, ungelebt, ungeliebt bliebe. Doch diese Bilder, Figuren und Geschichten in meinem Kopf sind ein Teil von mir, der nicht verleugnet werden kann, und auch nicht verleugnet werden darf. Das wäre ungesund, denn wir alle brauchen einen Ort, an den wir uns zurückziehen können. Und wenn dies nur ein Ort in uns selbst ist. Sich das zu entsagen, weil man es für nutzlos hält, ist riesengroßer Schwachsinn, denn das Innen muss ebenso gepflegt werden, wie das Außen. Für mich ist Tagträumen also Teil meiner Psychohygiene. Denkt mal drüber nach. Oder noch besser – träumt selbst mal etwas öfter. Das macht einen geistig flexibel. Und lässt einen manchmal Dinge ertragen, die andernfalls unerträglich wären. So ab Montagmorgen z. B. In diesem Sinne – träumt euch schön in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°50 – Lesen bildet…?

Während einer Veranstaltung, der ich in den letzten Tagen beiwohnen durfte, beklagte sich ein Kollege zumindest ein bisschen darüber, dass er bei einigen seiner Schüler Qualität in der Lesekompetenz vermisse, was sich nachteilig auf den Erfolg der Ausbildung auswirken könne; immerhin müsse man sich ja mit fachwissenschaftlichen Texten auseinandersetzen, um größere Zusammenhänge durchblicken zu können. Das lies mich aufhorchen. Ich hatte vergangene Woche vor Praxisanleitern in Ausbildung meinen üblichen Vortrag gehalten über unsere Möglichkeiten, als in der Berufsbildung Tätige Lernkompetenzen der Schüler*innen zu entwickeln und/oder zu stärken. Und meine Ausführungen gingen (wie stets) in der Tat davon aus, dass die Auszubildenden schon über ausreichende Lesekompetenz verfügen würden. Offenkundig habe ich mich da jedoch getäuscht, was bedeutet, dass ich diesbezüglich noch mal ein paar Brikettts nachlegen muss. Immerhin weisen ja auch die aktuellen Studien darauf hin, dass man sich nicht darauf verlassen darf, dass das „Rohmaterial“, welches in unsere Einrichtungen strebt bestimmte – implizit in den Köpfen der Ausbildenden vorhandene – Voraussetzungen erfüllt… Man muss jetzt kein Genie sein, um zu verstehen, dass dieses Gap, welches sich hier auftut in der nahen Zukunft kein Einzelfallbefund bleiben wird; und dass daraus Konsequenzen für unser Handeln in der Berufsbildung abzuleiten sind.

Ich bin da jetzt in einem Zwiespalt: einerseits habe ich natürlich einen gewissen Anspruch an die mitgebrachten persönlichen Merkmale, wenn es an die Auswahl von Bewerbern für die Ausbildung geht. Und wir thematisieren diese idealtypischen Aspekte natürlich auch in der Weiterbildung zum/zur Praxisanleiter*in (Stichwort: Personalauswahl). Doch ich beginne an meinen eigenen Ideen zu zweifeln, denn einerseits wäre es vollkommen absurd, an evtl. nicht (mehr) erfüllbaren Voraussetzungen festzuhalten, andererseits verändert es die Herangehensweise an die Ausbildung als solche erheblich, wenn bestimmte sprachliche Kompetenzen, die für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit den fachwissenschaftlichen Themen unseres Gewerkes schlicht notwendig sind, erst von uns geschaffen werden müssen, bevor wir diese nutzen können. Werden wir vielleicht in Zukunft – ähnlich einem Berufskolleg – mit den Bewerbern*innen erst Sprachqualifizierung betreiben müssen, bevor wir mit der eigentlichen Berufsausbildung beginnen können? Ich weiß es nicht, aber es erscheint nicht so unwahrscheinlich, dass sich hier in den nächsten Jahren so einiges tun muss. Vor diesem Hintergrund bin ich jetzt auch bereits daran, meine Unterrichtsvorbereitungen dazu zu überarbeiten. Und es ist ja auch nicht so, dass das Thema nicht an vielen Stellen angekommen wäre, wie die nicht unerheblich ironischen Ausführungen dieses Podcasters hier zeigen!

Es wäre mir allzu wohlfeil, jetzt wieder zu diesem – in den antisozialen Medien nicht eben selten anzutreffenden – Gen-Z-Bashing anzusetzen. Aber zumindest der Aspekt, dass der Umfang des Medienkonsums auf digitalen Endgeräten (Smartphones) vermutlich einen Einfluss auf die Modalitäten des (Schrift)Sprachgebrauches hat, lässt sich nicht von der Hand weisen. Nicht unbedingt auf die Aufmerksamkeitsspanne. Das darf man getrost weitestgehend als Legende abtun. Jedoch offenkundig auf Wortschatz, Orthographie, Satzbau, Interpunktion; und damit mittelbar auf die Fähigkeit, den semantischen Gehalt komplexerer Sprache schnell und präzise erfassen zu können. Ist man noch dazu kein Muttersprachler, und somit nicht per se in der Lage, sein übliches Sprachniveau ohne größere Mühe unterschiedlichen sozialen Settings anzupassen, wächst das Problem plötzlich zu erheblicher Größe an. [Anmerkung: auch so mancher Muttersprachler erreicht NICHT das Sprachniveau, welches man Muttersprachlern üblicherweise unterstellen möchte…] Wie man es auch drehen und wenden möchte – die resultierenden Probleme sind real und werden in den nächsten Jahren Arbeit verursachen. Insbesondere, weil ich keinerlei Spielraum sehe, etwas am Inhalt und dem damit einher gehenden Anspruch der Ausbildung abzuknapsen. Denn das liefe allen Bemühungen, das Berufsbild endlich als echte Profession mit zugehöriger Professionswissenschaft zu etablieren vollkommen zuwider. Und das KANN NICHT der Anspruch sein!

Ich stelle immer wieder fest, dass der in mir selbst vorhandene intrinsische Drang, sich mit verschiedensten Sach- und Wissensgebieten lesend auseinanderzusetzen bei meinen Nachkommen nicht im Ansatz so ausgeprägt ist, wie bei mir. Und ich weiß nicht präzise, woran das liegen könnte. Ich würde jedoch mutmaßen, dass der deutlich eingeschränkte Zugang zu anderen Medien meine, schon immer regelmäßig Amok laufende kreative Ader in diese Richtung hat laufen lassen. Da war halt über lange Zeit wenig anderes als Bücher, um meine Fantasie zu befriedigen; und ein in Kinder- und Jugendtagen erlernter Modus der Aneignung (wie bei mir eben das „klassische Lesen“) bleibt über die gesamte Biographie hinweg wirkmächtig. Irgendwann kam dann auch Fernsehen dazu. Mein erster Computer hingegen (ein Commodore C64, den ich mir von meinem Konfirmatonsgeld kaufte) eignete sich natürlich auch zum Spielen, regte aber vor allem meine Auseinandersetzung mit der Technik an. Basic- und Assembler-Programmieren habe ich mir selbst beigebracht. Internet hingegen gab es damals noch nicht. Das lernte ich erst Ende der 90er wirklich kennen. Meine Kinder hingegen hatten, genauso wie die meisten ihrer Altersgenossen schon früh Zugang zu digitalen Medien. Die beste Ehefrau von allen und ich hatten stets versucht, das zu bremsen und zu regulieren; mit ungefähr dem gleichen Erfolg wie andere auch. Was dazu führt, dass Lesen für die zwei nur eine Kulturtechnik von vielen ist; und nicht, wie für meine Gattin und mich DIE ERSTE UND WICHTIGSTE Kulturtechnik.

Das alles ist natürlich rein anekdotische Evidenz. Aber es scheint mir zumindest teilweise zu erklären, wo die oben beschriebenen Probleme herkommen. Denn wenn man Auswahl hat, ist Lesen definitiv nicht die attraktivste Option; es erfordert Ausdauer, Konzentration und ist somit anstrengend. Ist man nicht so sehr daran gewöhnt, tut man sich damit schwerer. Wobei man das nicht als Kausalbeziehung sehen darf. Die Wahrscheinlichkeit, Lesen geil zu finden sinkt jedoch mit der ubiquitären Verfügbarkeit bunter bewegter Bilder u. U. erheblich. Und was mache ich jetzt mit diesen Gedanken…? Keine Ahnung. Wahrscheinlich versuche ICH, noch etwas mehr Literatur darüber zu finden. Und was tut/denkt IHR so…?

Auch als Podcast…

Zeitgeist

Manche Begriffe, die unsere Sprache im Lauf der Zeit hevorgebracht hat, führen oft ein schillerndes Nischendasein und werden nur dann rausgeholt, wenn es gilt gelehrsam zu klingen; ganz so wie Tante Gerda „das gute Geschirr“ nur auf den Tisch stellt, wenn die buckelige Verwandtschaft zum Geburtstagsessen eingeladen ist. Zeitgeist ist so ein Wort, dass gerne verwendet wird, um auf etwas zu verweisen, dass man selbst nicht ganz zu verstehen vermag, weil der „Geist der Zeiten“ eine wankelmütige Geliebte ist. Immer wieder hört man – zumindest in Kreisen, die sich mit Fragen der Organisationspsychologie und Wirtschaftswissenschaft befassen – die Behauptung, wir leben in einer „VUKA-WeltVolatil, Unsicher, Komplex, Ambivalent; übersetzt für Normalos heißt das, unübersichtlich und daher hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen schlecht einschätzbar. Und wenn man sich den Zustand unserer Welt heute anschaut, und kurz über das letzte Jahr nachdenkt, ist diese Einschätzung ja auch nicht falsch. Sie begrenzt sich aus Sicht ihrer Schöpfer aber vor allem auf das Agieren von Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, die auf Grund der VUKAZITÄT der Welt jetzt größere Probleme mit dem guten alten Kohleschaffeln haben…

Blumen sind nicht zeitgeistig!

Ich bin jetzt definitiv NICHT gegen das Geldverdienen als solches. Auch auf dem Tisch meiner Familie sollte sich Essen finden, in unseren Schränken was zum Anziehen, das eine oder andere Buch zum Lesen und vielleicht auch ein paar Ausrüstungsgegenstände für die weitere Freizeitgestaltung. Aber die Beschränkung auf den Homo Öconomicus, also den Mensch der (so gut wie) alles Tun und Lassen wirtschaftlichen Prinzipien unterordnet, war mir schon immer zu plump. Ich kann auch mit Frugalismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen nichts anfangen, denn der Mensch lebt im Hier und Jetzt und alles Planen für eine imaginierte Zukunft kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass KEINER von uns an der unüberwindbaren Barriere der nächsten Sekunde vorbeikommt. Wirklich KEINER! Vor diesem Hintergrund ist der Begriff Zeitgeist für mich umso interpretationsbedürftiger, wenn er doch vor allem von Zeitungsmenschen benutzt wird, um synonym für „das Denken der Menschen in unserer Zeit“ zu stehen. Denn diese Annahme ist schlicht falsch. Goethe sagt über den Zeitgeist in „Faust. Der Tragödie erster Teil.“

Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Und er führt an anderer Stelle weiter aus:

„Wenn eine Seite nun besonders hervortritt, sich der Menge bemächtigt und in dem Grade triumphiert, daß die entgegengesetzte sich in die Enge zurückziehen und für den Augenblick im stillen verbergen muß, so nennt man jenes Übergewicht den Zeitgeist, der denn auch eine Zeitlang sein Wesen treibt.“

Hier wird darauf verwiesen, dass aus Goethes Sicht jene, welche die Macht in Händen halten, auch den Zeitgeist diktieren. Unsere kontemporäre Feuilletonaille (Menschoide, die heutzutage den Feuilleton der Zeitungen gestalten, sofern es eine solche Institution in einem gegebenen Medium überhaupt noch gibt) neigt jedoch dazu, Zeitgeist fälschlicherweise als Synonym für Mode, Trend, Mainstream zu benutzen. Schon Herder, dem die Schöpfung des Begriffes zugeschrieben wird, wies jedoch auf die Begrenztheit der Wahrnehmung der eigenen zeitgenössischen Kultur(Praktiken) hin. Darin schwingt – im mittleren 18. Jahrhundert – das Verständnis dafür mit, dass Kultur und ihre Produkte nichts statisches sind, sondern im Gegenteil ein voranschreitender Prozess, der immer schon den Samen der eigenen Veränderung hin zu etwas Anderem in sich trägt. Bei Herder wird das jedoch nicht positiv gesehen, weil er den Zeitgeist nur dort sieht, wo die Abwendung von der Religion stattfände. Der Begriff war also Anfang durchaus negativ konnotiert. DAS hat sich gewandelt. Der zuvor beschrieene Geist der Zeiten wurde in den Revolutionen des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts als Geist der Befreiung vom Joch der Monarchie gesehen und hat sich in der Folge bis heute zu einem ambivalenten Blick auf die immer neugestaltige Entwicklung des Zeitgeschehens gewandelt… um dann allzu billig als bloßes Synonym benutzt zu werden. Übrigens auch im englischsprachigen Raum, wo Zeitgeist als Lehnwort mit nahezu identischem Bedeutungsgehalt benutzt wird und auch ein passendes Adjektiv bekommen hat: zeitgeisty…

Gibt es das überhaupt: DEN ZEITGEIST…? Ich bin mir nicht sicher, wurde er doch häufig als Umschreibung für ein bestimmtes Lebensgefühl genutzt, dann wieder als Diagnose für den Wandel und schließlich als Schimpfwort für gesellschaftliche Veränderungen (Stichwort: „woke“). Je nachdem, wer den Begriff nutzt, schwingen darin sehr unterschiedliche Gefühle mit: Enthusisasmus, Neugier, Hoffnung, aber auch Sorge, Verachtung, Lächerlichkeit. Zeitgeist als Begriff ist in meiner Lesart zuallererst eine Projektionsfläche für meine (oder jedes anderen Menschen) individuellen Erwartungen an die nächsten Entwicklungen, die man glaubt, an der Analyse der eben abgelaufenen Entwicklungen ableiten zu können – um wieder und wieder an der Mauer der nächsten Sekunde zu zerschellen. Damit ist Zeitgeist für mich ein Mahnmal für die Illusion, in die Zukunft sehen zu können und dabei das Leben im Hier und Jetzt zu vergessen. Mein Zeitgeist soll sein, das Hier und Jetzt zu feiern, wann und wie es möglich ist und die Dinge zu verändern, die ich verändern kann. Und wenn das bedeutet, den Zeitgeist so vieler Anderer durch meine Worte und Taten (zer)stören zu müssen, weil dieser immer noch beinhaltet, ein dummes, arrogantes, verschwenderisches, konsumabhängiges, blind den Versprechen der Rechten oder der Neoliberalen folgendes, ganz und gar unreflektiertes und auf die Zukunft unserer Kinder scheißendes Arschloch zu sein, dann ist das halt so. Damit müssen jene, die sich angesprochen fühlen sollten dann halt leben. In diesem Sinne, genießt lächelnd die viel zu hohen Temperaturen – wir hören uns.

Auch als Podcast…

Bienvenue au pays cathare N°12 – …und sie ritten wieder heim!

Man muss eine gewisse Dankbarkeit haben für die kleinen Dinge: ich bin in diesem Urlaub (mannigfaltigen Gelegenheiten zum Trotze) NICHT auf die Fresse gefallen, ich habe mir NICHT den Rücken verdreht und wir standen (so gut wie) NICHT im Stau. Wieder nach Hause fahren zu müssen erzeugte daher in mir tiefere Wehmut, als ich zugeben möchte. So stand ich am Freitag Abend auch an der hinteren Tür unseres Häuschens und schaute insgeheim mal auf Maps, wie weit es denn eigentlich nach Italien zu unserem ehemaligen Mehrfach-Gastgeber Manfredi wäre. Es wären fast 200 KM weniger als nach Hause gewesen und ich musste doch ein bisschen mit mir ringen… Morgen ruft die Arbeit und es dauert mich, zugeben zu müssen, dass ich in mindestens einer Nacht des Urlaubes etwas wach lag und Arbeitsfragen gewälzt habe. Wie sehr dürfen wir uns von solchen Dingen vereinnahmen lassen? Wie viel ist definitiv zu viel? Und welche Alternativen hätte man? Fragen, die man sich üblicherweise VOR einem Urlaub stellt, und nicht DANACH. Was ein Hinweis darauf ist, dass ich immer noch nicht da bin, wo ich hin muss – zumindest nicht mental; räumlich bin ich mir noch nicht sicher. Theoretisch sollte man sich nach zwei Wochen der Ruhe und Erholung wieder in diesem Zustand distanzierter Gleichmut zu jenen Anfechtungen befinden, welche unsere Brötchen (und auch diesen Urlaub) bezahlen. Tja, Pustekuchen!

Wenn ich auf das Bild oben blicke und mich daran erinnere, welche Demut vor der Natur und welche Ruhe ich dort verspüren durfte, dann wird mir klar, dass wir dauernd eiligen, Zivilsations-geschädigten Menschoiden ganz langsam aber sicher dabei sind, unseren Verstand vollkommen zu verlieren. Wir rennen immerzu nur noch Dingen hinterher und vergessen dabei, was es alles zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu erleben gibt, ohne dass man dafür Unmengen an Penunze aufwenden müsste. Heute Mittag meinte zum Beispiel meine größere Tochter, dass es schon eine Menge Dinge gäbe, die man nicht mit Geld kaufen könne, wie etwa Freunschaften; aber dass es eben auch einige Dinge gäbe, die sie glücklich machen würden und die es sehr wohl für Geld zu kaufen gäbe. Und nun lässt es sich nicht mehr leugnen: Der Konsumkapitalismus im Endstadium ist auch in meiner verfluchten Küche angekommen. HIMMIHERRGOTTSAGGRAMENT! Es ist sehr schwer, in einem solchen Moment nicht den grün-sozialistischen Oberlehrer rauszukehren, der in mir schlummert. Oder seine – bekanntermaßen immer virulente – Wut im Zaum zu halten und hinauszuschreien, was einem auf der Seele brennt: KAPITALISTENSAU! Weil man so was NICHT zu seiner Tochter sagt, die noch dazu ja gar nicht alle Erwägungen kennen kann, die zu diesem Thema gehören. Immerhin findet sie Putin und Trump so richig scheiße. Wie war das noch mal mit der Dankbarkeit für die kleinen Dinge…?

Man könnte mir jetzt – mit etwas schlechtem Willen – ein bisschen Bigotterie unterstellen, wenn ich von den kleinen Dingen rede, obschon wir mal eben nach Südfrankreich entflohen sind, um Urlaub zu machen. Ich sage es mal so: für einmal nach Malle fliegen fällt an CO2 pro Person so ca. das Drei- bis Vierfache von dem an, was wir zu viert in den zwei Wochen zusammen erzeugt haben. Mein Gewissen ist diesbezüglich also ziemlich mit sich im Reinen, danke der Nachfrage. Und ich musste nicht mit diesen ganzen anderen Menschen interagieren, die zum Ballermann wollen. Pardon, aber die entsprechenden Klischees stimmen halt viel zu oft viel zu sehr. Moment, was höre ich da: ich würde auch Klischees erfüllen, z. B. das vom rotweinsaufenden Pädagogen auf Bildungsreise. Aber, aber, die fahren doch auf Goethes Spuren in die Toskana. Scherz beiseite: so viel Rotwein trinke ich gar nicht. Und wer sich beim Reisen nicht zumindest ein wenig mit dem Land und den Leuten auseinandersetzt, ist selbst Schuld, wenn er dumm bleibt. Reisen bildet ganz automatisch, man muss sich nur darauf einlassen – und das kostet weder viel Energie noch viele sonstige Ressourcen, denn es passiert, wie der Franzose sagt „en passant“, also im Vorbeigehen. Warum in drei Teufels Namen sollte ich fast 1100 KM fahren, um dann ganze Tage im Liegestuhl zu verbringen? Oder 2000 KM fliegen und dann ganze Tage am Strand liegen? Wer tatsächlich glaubt, eine Bildungsreise sei eine unnötige Anstrengung, den frage ich Folgendes: bist du schon mal IRGENDWO hingefahren, um dir IRGENDWAS anzuschauen? Falls ja, BRAVO, denn du hast dabei automatisch einen informellen Lernprozess durchlebt; ganz gleich, wie klein der Effekt auch gewesen sein mag, er war da. Falls nein – such dir endlich ein Hobby bei dem du auch mal rauskommst, damit du den Zimmerpflanzen zu Hause nicht zu viel Arbeit durch dein abgeatmetes CO2 bescherst! Mach aber bitte nicht NUR was mit Autos, denn DAS potenziert dein CO2-Problem lediglich…

Es ist die verdammte Suche nach dem Gleichgewicht, nach dem Weg zu einem besseren ICH, das trotzdem immer noch ICH ist. Urlaub, oder besser freie Zeit zur eigenen Verfügung ist dabei eine von mehreren Komponenten, welcher allerdings eine besondere Bedeutung zukommt. Denn erst wenn alles DARF aber nichts MUSS bekommt das Leben Leichtigkeit. Es ist dieses Leichtigkeit, die ich – zwei Wochen Freiheit zum Trotz – immer noch vermisse. Und es ist dieses „Vermissen“, dass mich nun melancholisch stimmt. Und es ist diese „Melancholie“, die mich mit gewisser Zurückhaltung auf das Morgen blicken lässt. Und es ist dieses „Morgen“ dass zurückblickt, dreckig grinst und sagt: „Pech gehabt, Bro, du gehörst mir, egal ob du willst, oder nicht!“ Mit DEM Dilemma muss ich wohl leben; ihr aber auch meine Lieben, daher wünsche ich euch einen verf***t gewaltigen Start in die neue Woche. C U.

Bienvenue au pays cathare N°11

Wie bereits einige Male hier erwähnt bin ich ein Kind der 80er. Als klassischer Gen-Xer (Jahrgang ’74, danke, ich weiß, dass die große Fünf winkt…) habe ich einen bedeutenden Teil meiner Kindheit und Jugend in jener Zeit durchlebt und bin nicht unglücklich darüber, dass die Pop-Kultur dieser speziellen Periode letzthin eine gewisse Renaissance erfahren hatte. Es mag auch an der persönlichen Bindung zu jener Zeit liegen, dass ich immer mal wieder beim Storytelling Bezüge wähle, die es mir erlauben, die damit verbundenen Gefühle noch mal erleben zu dürfen. Derzeit bastele ich an einer kohärenten Geschichte für Urban Fantasy in den 80ern und da dümpelt eine Storyline, an der sich die beste Ehefrau von allen mit ihrem derzeitigen Char versucht, gerade an der Jahreswende ’85 – ’86. Es ist aber gar nicht so einfach, den Zeitgeist wirklich einzufangen. Ich meine, die Bezüge zu den wirklichen Ereignissen, zur damaligen Technik, zur Politik herzustellen fällt mir eher leicht, doch das Lebensgefühl der 80er richtig einzufangen, ist gelegentlich ein harter Struggle. Das beginnt schon damit, dass unsere Sprache sich seit damals verändert hat. Was manchmal dazu führt, dass es nicht so der Hammer ist, was ich da verzapfe; und es ist beileibe nicht so, dass ich dauernd zeitgenössischen Jugendsprech nutzen würde. Ha! Ausgerechnet ich, der immer so auf sprachlicher Präzision herumreitet… das wäre ja noch schöner.

Unser neuer Gott Mammon – gefunden in Narbonne…

Und doch sind es eben die Erinnerungen an bestimmte Filme, an Musik, an die Klamotten von damals, die dazu führen, dass man eintauchen kann in eine Zeit, die so absolut anders, so absolut bekloppt, so absolut wiedersprüchlich und dennoch so absolut unschuldig war. Diese Aussagen muss man vielleicht für Jene, die nicht dort gewesen sind ein bisschen erklären: unschuldig war die Zeit, weil Informationen nicht dauernd und überall verfügbar waren, was zu einer eklatanten Desinformation der allermeisten Menschen führte. Und die machte es wiederum einfach, sich nur mit seinem eigenen Scheiß zu befassen, weil man unfassbar vieles einfach zur Seite schieben konnte. Es fühlte sich also zumindest für mich als Kind/Jugendlicher unschuldig an. Andererseits war da aber auch der, wirklich überall spürbare Power-Struggle der beiden großen Machtblöcke USA vs. UdSSR, der die Welt so bekloppt gemacht hat. Wiedersprüchlich kam durch die Unterschiedlichkeit der beiden Systeme dazu, die auf der einen Seite die halbe Welt abgewirtschaftet haben, um beim Wettrüsten die Nase vorn zu haben (TEAM UdSSR), während die andere Hälfte im Namen des Konsumkapitalismus ausgebeutet wurde (TEAM USA). Und überall, wo sich Stellvertreterkonflikte entwickelten, wurde es noch wilder. Etwa in Vietnam, oder später in Afghanistan. Vielleicht war es dieses Gefühl, dass das große Tänzchen schon morgen vorbei sein könnte (man denke an Filme wie „Wargames“ oder „The Day After“), dass diese Zeit so absolut anders aber eben auch absurd kreativ und wild gemacht hat…? In jedem Fall waren die 80er ebenso wie die 70er davor eine kulturell extrem produktive Zeitspanne.

Psychologisch ist es natürlich schon so, dass man besonders gerne das mag, was man während seiner Jugendjahre, so bis ungefähr 16 erlebt hat. Ich würde sagen: Schuldig in allen Punkten der Anklage, wobei ich erwähnen möchte, dass sich etwa mein Musik-Geschmack immer weiter entwickelt hat. In gewissem Sinne ist mein Hang zur Nutzung von Themen, Stilen, Kulturartefakten jener Zeit Nostalgie, über die ich die Tage hier mal geschrieben habe: „Sich an diese alten Momente eines vermutlich verflogenen Sinns zu erinnern, nennt man Nostalgie – das Zurückerinnern an eine Zeit, in der es angeblich besser war.  Ich konkludierte vor ein paar Tagen, dass man sich besser nicht sein Leben davon diktieren lassen sollte; und dazu stehe ich auch immer noch. Ich würde allerdings gerne eine Relativierung anfügen wollen: wenn Nostalgie auf diese Art bewusst als Mittel zur Unterhaltung genutzt wird (insbesondere beim Storytelling zu Pen’n’Paper-Zwecken), nämlich um ein bestimmtes Setting vor dem geistigen Auge auferstehen zu lassen, kann dieser Einsatz legitim sein – zumindest, wenn’s funktioniert, wie geplant. Daran arbeite ich derzeit allerdings noch. Aber mal ganz ehrlich – Pen’n’Paper ist eine Freizeitbeschäftigung, die vor allem eines machen soll: Spaß. Und wenn ich mir dabei so viele Gedanken über irgendwelche obsuren Details zu machen beginne, dass das Ganze in Arbeit ausartet, bin ich evtl. über das Ziel hinaus geschossen. Was nicht bedeutet, dass Campaign- und Session-Prep nicht fast genausoviel Spaß machen können, wie das eigentliche Spiel. Denn während man über die virtuelle Welt nachdenkt, spielt man bereits. Und SL sind ja auch Spieler am Tisch, nicht wahr…?

Ich las neulich irgendwo, dass bereits ein einfacher Spaziergang im Wald sich positiv auf die Gesundheit auswirken würde: Blutdruck, Cortisol- und Colesterin-Spiegel runter und so. Also war ich heute nochmal spazieren, durch den Wald und eine extrem fotogene Schlucht hinauf; DAS in Verbindung mit meinem geliebten Knipsen und den wunderbar sinnvoll-sinnlosen Gedanken über virtuelle Welten und vergangene Zeiten lässt diesen Urlaub für mich zu einer extrem erholsamen Angelegenheit werden. Selbst, wenn ich schon zu spüren beginne, dass die Familie in zweieinhalb Tagen den Heimweg antreten muss. Also gilt: weiter Geschichten spinnen und genießen und versuchen, den Drive zu konservieren. In diesem Sinne – schönen Abend.

Bienvenue au pays cathare N°10

Gedankenspiel N°1: Neo nahm damals die rote Pille und wurde aus der Matrix gerissen. Wie würden wir diese Geschichte bewerten, wenn nun ans Licht käme, dass „die Matrix“ die echte Realität wäre, und der Kampf gegen die Maschinen um eine zur Ödnis gewordene Welt die Illusion? Wenn Neo (wahrscheinlich, ohne dies zu wissen) in ein besonders intensives, besonders immersives Spiel in einer virtuellen Realität gezogen worden wäre, hergestellt und kuratiert, um Menschen eine Grenzerfahrung zu ermöglichen und sie zum Nachdenken über ihre Existenz anzuregen? Die Ausflüge in die Realtität, bei denen all diese Dinge geschehen, welche die Geschichte vorantreiben, wären Wahrheit und der Umstand, dass Neo am Ende Agent Smith eingebettet in den Code sieht, nur ein weiterer Hinweis darauf, dass die Welt von Mr. Anderson mit allem darin immer schon „nur“ eine andere virtuelle Realität war. Wäre dann irgendwas von der Geschichte – natürlich innerhalb ihrer eigenen Logik – weniger wahr? Oder vielleicht sogar besser verständlich? Doch wer erschuf dann diese große Simulation, in welcher Menschen (oder wer auch immer) eine weitere Simulation installierte, um eben einen Ausbruch aus der Matrix erleben zu können…?

Gedankenspiel N°2: Neo hat die Handlung der Filme offenbar nur geträumt, erwacht dann morgens als Mr. Anderson, geht zu seiner Arbeit und begegnet unterwegs jemandem, der aussieht, wie Agent Smith. Oder Morpheus. Oder Cypher. Könnte es ein Taaum in einem Traum in einem Traum sein? So wie im Film „Inception“. Und war „Inception“ überhaupt ein Film, oder nicht vielmehr eine kuratierte Erfahrung über die existenzielle Frage, was es nun ausmacht, dieses Phänomen namens „Bewusstsein“? Denn trotz allem, was wir wissen, kann niemand bis heute genau sagen, was Bewusstsein denn nun ist. Bis vielleicht auf das eine: es scheint eine hoch individuelle Angelegenheit zu sein, die sich durch das physische Abbild eines neuronalen Netzes allein nicht erklären lässt. Ist aber diese neue Interpretation der Ereignisse dann nicht ein Hinweis auf die Virtualität mehrerer, ineinander eingebetteter Realitäten? Und was bedeutet das für Neo/Mr. Anderson, oder besser gesagt für seine Realheit und sein Bewusstsein. Ist er real, so wie du und ich? Und falls ja, hat er überhaupt ein Bewusstsein, oder ist er das, was man einen philosophischen Zombie nennt – also ein Wesen, dass wirkt wie ein echter Mensch, jedoch NICHT über ein tatsächliches Bewusstsein verfügt?

Gedankenspiel N°3: Wir alle sind – wie Neo/Mr. Anderson – irgendwo zwischen ineinander verschränkten Instanzen eines virtuellen Realitäts-Multiversums unterwegs und erleben bzw. durchleben unsere jeweils individuell simulierten virtuellen Realitäten. Woraus sich einerseits die Frage ergibt, ob wir tatsächlich ein Bewusstsein haben (falls meines nur eine Simulation sein sollte, würde ich mich sehr gerne mal mit dem/der Programmierer*in unterhalten…!), wenn wir doch „nur“ Simulakren sind; und andererseits, ob das unsere Realitäten weniger… nun REAL machen würde. Immerhin fühlt sich das alles hier doch VERDAMMT echt an, nicht wahr. War da nicht dieser selbsternannte Tech-Guru aus Südafrika, der mit Hilfe seiner Neuralink-Technologie diese „Illusion hacken“ und uns aus der Simulation befreien will. Wäre es nicht total nice, erst mal über die Frage nachzudenken, ob das überhaupt Sinn ergibt. Denn selbst, wenn das alles so wäre, könnte es doch gut sein, dass wir gar kein physisches Korrelat außerhalb der Simulation haben, also keine Avatare sind, sondern tatsächlich „nur“ Simulakren, die sich allerdings soweit entwickelt haben, dass sie nun ein Bewusstsein, eine Agenda und vor allem Macht über die Simulation besitzen, ohne diese je verlassen zu müssen…? Ich glaube ja, wenn es so wäre, bräuchten wir Menschen definitiv keinen allwissenden, omnipotenten Simulator, um unser Schicksal zu besiegeln. In dieser Realität, oder auch der nächsten kriegen wir das schon alles ganz alleine kaputt…

David Chalmers spekuliert in seinem Buch „Realität+ – Virtuelle Welten und die Probleme der Philosophie“ über die Wahrscheinlichkeit, dass wir in einer Simulation leben. Im krassen Gegensatz zu Elon Musk erarbeitet er allerdings ein recht fundiertes Framework, um sich den vielen, teils existenziellen Fragen praktischer und philiophischer Natur, die sich aus einer solchen Spekulation ergeben Antworten abzutrotzen, die uns im Hier und Jetzt (ganz gleich, wie virtuell oder auch nicht-virtuell) dienlich sein können; wenn man sich denn auf die Reise einlässt. Und nur für den Fall, dass jetzt irgendjemand denkt, ich sein gerade im Begriff, Urlaubsgenussinduziert überzuschnappen – keine Sorge! Ich finde nur derzeit große Freude daran, mich mit Fragen rings um den Themenkomplex zu befassen, weil ich denke, einige Ideen hieraus für’s private Storytelling, aber auch für das im Lehrsaal nutzbar machen zu können. Und weil ich glaube, dass eine handfeste Auseinandersetzung mit dem, was uns als Menschen im Kern ausmacht regelmäßig stattfinden sollte. Denn verbunden mit jener Reise durch die Grenzgebiete des Denkbaren wirft Chalmers Buch auch die Frage nach der Natur unserer Realität(en) und unseres Bewusstseins auf, die untrennbar mit unserer Suche nach dem Sinn unserer Existenz verbunden sind. Wenn man so will, ist das Buch für den aufmerksamen Leser das (wenn physisch auch sehr zahme) Substrat einer Grenzerfahrung, wie Neo/Mr. Anderson diese in/außehalb/meta der Matrix erlebt. So jetzt habe ich für heute auch genug virtuellen Quatsch abgesondert. Auch, wenn das hier KEIN Aprilscherz war. Schönen Abend.

Bienvenue au pays cathare N°9 – Hoppelhäschen umständehalber abzugeben…

Ostern…! Gestern las ich irgendwo in den Weiten des Netzes einen kleinen Disput um die Frage, ob Deutschland ein christliches Land sei. Und ich durfte – nicht unerwartet – den bemerkenswerten Mangel an Ambivalenz-Toleranz im Großteil der Diskussions-teilnehmer zur Kenntnis nehmen. Es ist ja nix neues, dass die Menschoiden nicht zwischen einem säkularen Staatswesen einerseits und der kulturellen Prägung eines schrumpfenden Teils der Bewohner andererseits unterscheiden können. Und das man sich dann verbal den Schädel einschlägt. Die antisozialen Medien mit ihrer vorgeblichen Anonymität machen es einem so leicht, mal die Fresse groß aufzureißen, dass es mittlerweile nur noch lächerlich ist. Beispiel Insta: ich habe gestern, nur so zum Spaß auf die, von FAZ Online gepostete Frage, wie ich zu einer Rückkehr Stefan Raabs auf die große Bühne (wahrscheinlich ein Publicity-Gag oder verfühter Aprilscherz) stehen würde – wahrheitsgemäß – geantwortet, dass er wegen mir gerne in der Versenkung bleiben könnte. Von „Du auch“ (ich interpretiere das jetzt so, dass der Typ meinte, ich solle auch in der Versenkung verschwinden, leider ließ man sich nicht zu einem vollständigen Satz überreden), bis zur Annahme, ich sei wohl ein verbitterter Nazi war dann doch einiges dabei. Ich gebe ja zu, dass ich dann auch gerne mal Öl ins Feuer gieße, bis ich den einen oder anderen Deppen melden kann; bisher hat’s nicht geklappt. Es zeigt MIR einfach nur wieder die mangelnde mentale und intellektuelle Standfestigkeit vieler Menschoiden auf Insta. Aber irgendwie ist es auch lustig…

Antisocial Media ist, wie in einen unbeleuchteten Tunnel einzufahren…

Kommen wir zum Hasen zurück. Abseits der ganzen heidnischen Bräuche – und ob diese nun von der Verehrung der germanischen Frühlingsgöttin „Ostara“ herrühren, oder nicht, ist mir Wumpe – geht’s beim Osterfest doch eigentlich um den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. Ob ich DIE Geschichte nun glauben will, lassen wir mal dahingestellt. In jedem Fall kann man aber sehr gut spüren, dass der Wechsel zum Frühling (und damit zu wärmerem Wetter) in vollem Gange ist; und damit auch Ostern nichts weiter als ein Rite de Passage im Reigen der Jahreszeiten. Ich nehme das mal zum Anlass, darauf zu hoffen, dass die zweite Woche unseres Urlaubes vielleicht nicht ganz so wechselhafte Witterung bringt. Immerhin konnte ich dem wankelmütigen südfranzösischen Frühling schon die eine oder andere Stunde Sonne abtrotzen. Aber was bedeutet Ostern ansonsten für mich…? Ich befürchte, da ist wenig mehr als das Gefühl, dass nun die für mich angenehmere Hälfte des Jahres beginnt, da ich mit Dunkelheit und Kälte nicht allzuviel anfangen kann. Und da der Wintersport, auf Grund der beunruhigend stabilen Tendenz meiner Nase, den Boden zu berühren, wenn ich etwas Festes zwischen meine Füße und denselben schnalle, einfach nix für mich ist, bleibt nur, auf die wenigen schönen Wintertage zu hoffen, die bei uns daheim allerdings in etwa so häufig sind, wie freilaufende, lila-blassblau karierte Elefanten. Also nehme ich die Bräuche als beobachtender Außenseiter zur Kenntnis und hoffe auf mehr Frühling. Ostara, sei mir hold!

Deutschland ein christliches Land? Dann frage ich mich, wo die Nächstenliebe ist? Dann frage ich mich, wie es um Solidarität MIT und Hilfe FÜR die Armen bestellt ist? Dann frage ich mich, wo der Respekt und die Freundlichkeit sind? (Auf Insta jedenfalls nicht, wenn man noch nicht mal kundtun kann, dass der Raab einfach seinen – Gottseidank frühen – Ruhestand genießen und mich nicht wieder mit seinem Blödsinn behelligen soll). Dann frage ich mich, warum eine Organisation, die seit Jahrhunderten so tut, als habe sie das Monopol auf die „richtige“ Ausübung des Glaubens und gleichzeitig Menschen auf unterschiedlichste Weise ausbeutet, mir erzählen will, wie ich meine Frühlingsbeginn zu feiern habe? Und ja, ich nehme zur Kenntnis, dass die Kirche eine Menge guter Menschen beschäftigt, die ihre pflegerischen, bildenden und seelsorgerischen Pflichten sehr ernst nehmen. Das ändert am Charakter der Organisation jedoch herzlich wenig. Letztlich feiere ich Ostern für meine KInder. Und die glauben nicht mehr an den Osterhasen, sehr wohl jedoch an ein Ritual, das kleine Geschenke verspricht! Da kann man jetzt drüber denken, was man will; aber mit dem eigentlichen Thema von Ostern, nämlich einem Versprechen auf die Erlösung von irdischen Lasten im Jenseits hat das alles nix zu tun. Und vielleicht ist das auch gut so, denn was man selbst von der Idee eines Jenseits hält, sollte vielleicht in den allermeisten Fällen mangels Substanz besser privat bleiben. Denn tatsächlich würde eine ehrliche, ernsthafte Auseinandersetzung darüber mit anderen Menschen die allermeisten ziemlich überfordern; mindestens diese ganzen Menschoiden auf Insta.

Die Sonne mag heute Mittag noch nicht so recht rauskommen, also werde ich mich wohl demnächst einem anderen wichtigen Rite de Passage zuwenden: dem Kochen! Denn es überführt einige Dinge die zunächst so aussehen, als hätten sie nur wenig miteinander zu tun in einen Zustand, der Wärme, Zufriedenheit und manchmal auch Lebensfreude erzeugt; ganz so wie der Frühlingsanfang und die Ostereiersuche dies tun sollten. Vielleicht fange ich ja dieses Mal den Hasen; so ein Hüpfer macht sich im Ofen auch ganz gut. Für morgen dann (F)Rohe Ostern.

Bienvenue au pays cathare N°8

Im einsamen Tal vor dem Ferienhäuschen zu sitzen, sich die Sonne auf den Buckel scheinen und die Gedanken treiben lassen zu können ist ein hochgeschätzter Luxus; zumindest für mich. Ich stelle mit jedem Jahr das vergeht fest, dass ich für Karriere im klassischen Sinne insofern nicht gemacht bin, als ich kein Interesse daran habe „jemand zu sein“. Ich erfülle jene Funktionen, die mir Kraft Amt zugedacht snd (und manchmal deutlich darüber hinaus), aber es reizt mich nicht sonderlich, weiter die Leiter hinaufzuklettern. Ich habe durchaus noch sogenannte „Life Goals“, also Dinge, die ich gerne noch tun, Orte die ich gerne noch besuchen und Meilensteine, die ich gerne noch erreichen würde; diese muss man aber in private und berufliche unterteilen. Und die beruflichen werde ich sicher nicht um den Preis meiner Freizeit verfolgen, oder besser jener Zeit, die ich nutzen will, um meinen ganz persönlichen Interessen nachzugehen. Und meine persönlichen Ziele waren, abseits der Zeit mit meiner Familie schon von jeher – und sind noch immer – eher kreativer Natur. Ich will erschaffen, ich will Menschen erreichen und zum Erleben, zum Denken anregen! Mich interessieren Geschichten. Alle Arten von Geschichten und alle Arten, Geschichten zu erzählen. Meine eigenen Fähigkeiten diesbezüglich sind begrenzter, als es mir recht ist, aber das zwingt mich, verschiedene Wege zu gehen, um meine Ideen dennoch umsetzen zu können – und vor allem immer wieder neue Wege auszuprobieren.

Verdammt sakral!

Das Problem dabei ist, dass ich vermutlich wesentlich seltener Menschen erreiche, als ich mir das wünschen würde. Oder aber diese Menschen mittlerweile so sehr an den Modus Operandi der asozialen Medien gewöhnt sind, dass es ihnen an der Geduld mangelt, sich mit Texten auseinanderzusetzen, die länger sind als „Du bimst eins Lauch, und ich voll korrekta digga!“ Und ja, mir ist klar, dass das KEIN Jugendsprech und auch KEIN Ghetto-Sprech ist, sondern Käse; tatsächlich klingt jedoch ein nicht unerheblicher Teil des Internets mittlerweile für meine inneren Ohren genau so: NÄMLICH. ABSOLUT. SINNFREI. Weil es ein gewisses Sprachniveau braucht, um manche Dinge ausdrücken und transportieren zu können – auch wenn manche Leute glauben, dass Sprache in beliebig kurzer Zeit beliebig wandelbar ist. Genau DAS ist sie NICHT! Ich verstehe, dass Rap und Hiphop möglicherweise zum Teil eine gewisse Schöpfungshöhe aufweisen, die das bloße Testosteron-gesteuert möchtegern-territoriale Bramabarsieren über Drogen, Kohle, Frauen und Autos, oder aber das hemmungslose Plagiieren von schlechten Vorlagen übersteigt. MIR fehlt es jedoch an der Sprache, dies zu identifizieren und ich finde, das jede Kunst wenigstens gelegentlich intersubjektiv genug sein sollte, auch Menschen anzusprechen, die weder aus dem gleichen Ghetto, noch aus der gleichen Alterskohorte kommen. Und DAS kann ich hier beim besten Willen nicht erkennen. Das ist Musik für Leute, die immer die gleiche Musik von immer neuen Leuten hören wollen, die aber immer die gleich Musik über immer die gleichen Themen mit den immer gleichen, vollkommen austauschbaren austauschbaren Texten machen. Es geht vielen nur um die Oberfläche, um das Gefühl, cool sein und von einer anderen Welt kosten zu wollen. Aus dem gleichen Grund sind im viktorianischen England Mitglieder der feinen Gesellschaft ins Varieté in Whitechappel oder Limehouse gegangen – um den Kitzel einer verborgenen, verbotenen Welt kosten zu können.

Was man diesen Eumeln nicht absprechen kann, ist das Ego, dass es braucht, sich mit seiner Kunst in die Öffentlichkeit zu trauen. Wobei ich das Gefühl habe, dass es bei DENEN in der Hauptsache um Bling-Bling und Kohle geht. Mich interessiert jedoch der Gedanke, seine Kunst einfach herzustellen, weil man davon überzeugt ist, damit vielleicht etwas zu bewegen, vor allem aber, weil man die Idee hat, dass andere gut finden könnten, was man da gerade in die Welt hinaus lässt! Kunst ist für mich zuallererst etwas, dass unser Denken anregen und ggfs. verändern können sollte. Aber betrachte ich meine Geschichten, gleich welcher Natur überhaupt als Kunst. Lebe ich ein kreatives Leben? Ich will darauf mit einem klaren JA antworten, denn es geht nicht um Klickzahlen, um Geld, um (meine 15 Minuten) Ruhm, oder gar darum irgendjemanden abschleppen zu wollen. Ich habe meine beste Ehefrau von allen, dankeschön! Ne, ne, es geht darum, sich selbst und seinen eigenen Ansprüchen zu genügen, etwas zu machen, dass einem selbst Freude bereitet, einem hilft, an etwas anderes denken zu können, als die wiedrigen Zeiten, in denen wir uns gerade bewegen; und das IRGENDJEMANDEN erreicht. Ich habe irgendwann in den vielen Zeilen, die ich bislang in über 11 Jahren hier (und den über 10 Jahren davor an anderer Stelle) geschrieben habe mal gesagt, dass, wenn ich durch mein Tun auch nur das Leben einer Person zum Besseren hätte wenden können, sich die ganze Mühe gelohnt hätte. DAS IST KEINE HOHLE PHRASE LEUTE, DAS IST MEINE ENERGIE!

Viele Menschen neigen dazu, sich über ihren Job, ihren Besitz, ihre Gelehrsamkeit zu definieren. Ich brauche keine Titel, ich brauche auch keine unfassbaren Mengen an Geld, oder gar noch mehr Arbeit – im Gegenteil, auf das Letztere könnte ich derzeit, meiner mentalen Gesundheit zur Liebe dankend für eine sehr lange Zeit verzichten. Arbeitsfasten, das wäre mal was gewesen für die letzten 6 Wochen. Oder die nächsten 6. Ich definiere mich über all die kleinen Dinge die ich tue, wie etwa dieses Blog zu schreiben. Oder für die Menschen in meinem Umfeld ein offenes Auge und Ohr zu haben. Oder Menschen beim Wachsen zu helfen. Worüber ich mich nicht definieren möchte, ist der ganze andere oberflächliche, langweilige, allzu materielle Quatsch, an dem sich so viele Menschen orientieren. Ich hingegen sitze immer noch vor der Hütte in dem einsamen Tal. Die Sonne scheint, während ein milder, immer noch Märzkühler Wind weht. Mittlerweile hat der Grill uns das Essen gegart. Ich denke darüber nach, heute Abend eine Geschichte (weiter) zu erzählen. Das Leben ist jetzt gerade schön. Lasst mich den Moment festhalten, während ihr was anderes macht, okay…

Bienvenue au pays cathare N°7

Wann immer ich nach Südfrankreich oder Mittelitalien komme, fühlt es sich für mich wie Heimkommen an. Die Landschaft, die Menschen, die Art mit den Dingen umzugehen – einfach alles atmet für mich eine Leichtigkeit, die ich in good old germany mittlerweile dauerhaft schmerzlich vermisse. Now don’t get me wrong: ich mag meine Heimat, nur die Menschoiden in ihr könnte ich mittlerweile zu einem großen Prozentsatz one-way ohne Sauerstoff auf den Mond schießen. Mein Geist ist mediterran. Er war es immer und wird es wohl auch immer bleiben. Da ist es doch schön, wenn man wenigstens einige Wochen im Jahr auch physisch dort weilen kann, wo man mental eh so gut wie immer unterwegs ist. Dieses Mal ist es wieder Südfrankreich, das alte Katharerland. Nächste Wochenende ist schon wieder Ostern und das erste Quartal 2024 war ein rauher Ritt. Das nächste dräut schon mit den üblichen kleinen und großen Problemen, Aufgaben, Anforderungen. Aber GENAU JETZT kann mich dieses andere Leben so dermaßen am A***H l****n, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Denn ich sitze hier an einem Sonntag draußen vor dem Häuschen. Es ist zugegebenermaßen frischer als erhofft, aber wenigstens trocken und auch ein wenig sonnig. Das Domizil ist abgelegen genug, sich von nichts und niemandem belästigt fühlen zu müssen; außer vielleicht von der Herde Ponys und Esel, die auf den fast 100 Hektar, die ringsum unserem Vermieter gehören frei umherstreichen dürfen. Nein Spaß, die Ponys und Esel sind toll – niedlich, ruhig, zutraulich. Die Hütte ist einfach, aber mit allem ausgestattet, was man braucht; und das WLAN gerade so schnell und schlecht erreichbar, dass man es nutzen KANN, aber nicht unbedingt WILL. Wie viel besser wird’s noch? Das einzige, was um diese Jahreszeit fehlt, ist der typische Geruch, den das Land annimmt, wenn ab dem späten Frühjahr die Sonne brennt. Aber das kann ich verschmerzen, denn im August geht’s nochmal nach Mittelitalien.

Was macht Urlaub wirklich zum Urlaub? Was lässt uns die Art von Entspannung finden, die uns von unserem Alltag entkoppelt, Reserven auffüllt, zur Ruhe kommen lässt? Warum muss es überhaupt eine Entkopplung vom Alltag geben und warum fahren oder fliegen wir dafür manchmal um die halbe Welt? Ich weiß es nicht; und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch gar nicht so genau wissen. Denn MEINE Antwort gälte eh nur für mich und niemanden sonst. Mal davon abgesehen, dass so verf****e Listicles wie „7 Plätze für ein garantiert großartiges Retreat!“, oder „Die 11 hübschesten kleinen Städte!“ höchstens zu a) überlaufenen „Geheimtipps“, b) genervten anderen Besuchern und c) mehr Stress führen. Und, im Falle dieses einen Fjordes in Norwegen regelmäßig zu Tode gestürzte Selfie-Jäger produzieren. So eine Scheiße kannste dir einfach sparen. Obwohl, auf die Frage, warum man sich vom Alltag entkoppeln zu müssen glaubt, kann ich eine Antwort geben, die vielleicht auch für andere Gültigkeit besitzt: weil dieses Gefühl, wie ein Hamster im Rad, oder der Esel rings um den Brunnen immer nur im Kreis laufen zu müssen, ohne je IRGENDWO anzukommen einen mit zunehmender Zeitdauer immer mehr bedrückt, unzufriedener macht, sich nach einer Abwechslung sehnen lässt – EGAL WELCHER! Und dieses Gefühl entsteht einfach nur dadurch, jeden Tag roboten zu gehen. Selbst in einem Job, der sehr vielfältige Aufgaben und ein sehr abwechslungsreiches Tätigkeitsprofil hat, wie etwa meiner, kommt man immer wieder an diesen Punkt, an dem noch ein bisschen mehr von der gleichen Scheiße dich in den Wahnsinn zu treiben droht. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche… [Trifft aber auch Andere: mehr vom immergleichen macht immer gleichgültiger und erschöpfter.]

Insofern spüre ich die Wirkung bereits, denn alles ist anders: die Unterbringung, die Landschaft, die Menschen, die Art mit den Dingen umzugehen – und natürlich die Absenz von ernsten Aufgaben. Meine einzigen Aufgaben sind: Sachen ankucken, knipsen, einkaufen und kochen (und natürlich auch essen und trinken), lesen, schreiben und nachdenken – undzwar zweckfrei. Ich habe hier schon des öfteren über Zweckfreiheit sinniert und komme auf immer unterschiedlichen Wegen doch wieder zu ähnlichen Ergebnissen: nämlich dass meine wahre Liebe dem Lesen, Denken und Schreiben gilt; und dass ich vermutlich insgesamt ein glücklicherer Mensch wäre, wenn ich damit mein Geld verdienen könnte. Aber damit zu hadern hat keinen Sinn, wenn man in vielen anderen Dingen zumindest ab und an auch seinen Sinn finden kann. Und ich möchte an dieser Stelle von folgender, tendenziell nicht neuer Erkenntnis berichten, die – vielleicht – für manche Menschen, die sich mit Sinnsuche (evtl. sogar beruflich) beschäftigen dennoch ein wenig ernüchternd sein mag: Sinn ist wie Kultur und Persönlichkeit ein dynamisches Konstrukt, welches seine Gestalt im Zeitlauf immer wieder ändert. Was damals für mich sinnstiftend gewesen sein mag, ist dies heute nicht mehr unbedingt. Sich an diese alten Momente eines vermutlich verflogenen Sinns zu erinnern, nennt man Nostalgie – das Zurückerinnern an eine Zeit, in der es angeblich besser war. Dabei sind es lediglich unsere vergangenen Selbstwirksamkeitserfahrungen und die damit verknüpften positiven Emotionen, welche die subjektive Illusion eines besseren Damals entstehen lassen! Sich davon abhängig zu machen, ist ein sicheres Rezept, sich seinen Urlaub, oder gar sein Leben zu versauen!

Ich habe im Moment die Gelegenheit Neues zu sehen, zu erleben, darüber nachzudenken und so neue positive Selbstwirksamkeitserfahrungen zu generieren, an die ich in ein paar Jahren mit Wehmut zurückdenken kann (und werde), um mich mit der notwendigen Energie für die dann anstehenden Aufgaben auszustatten, die mich über die Zeit bis zum Urlaub trägt. Urlaub ist Erleben; und ICH kann das nicht in einer Bettenburg am Strand. Es hilft allerdings auch, wenn man die Anreise stressfrei abwickeln kann – was dieses Mal tadellos funktioniert hat: 1080 KM ohne eine einzige Friktion – YEEHAA Baby. In diesem Sinne eine gute Zeit, wir lesen uns.

Wertfragen für Anfänger!

"Ein Zyniker ist ein Mensch, der von allen Dingen den Preis kennt und von keinem den Wert weiß. Und ein Sentimentaler ist ein Mensch, der in allen Dingen einen lächerlichen Wert erblickt und von keinem einzigen den Marktwert weiß."
Oscar Wilde

Wann immer man sich im Internet umsieht, stolpert man recht bald, beinahe zwangsläufig über sogenannte Ratgeber, „Lifehacks“ und allerlei anderen kontextarm-sinnfreien Ausfluss sendungsbewusster Menschoiden. Zumeist generiert, um entweder noch eine dieser nutzlosen Möchtegern-News-Seiten mit angeblichem „Content“ zu füllen, oder aber (noch schlimmer!), um damit auf dem Rücken an sich selbst verzeifelnder Menschen Geld zu verdienen. Ist mein Blick auf die allermeisten Medienschaffenden vielleicht zu negativ? Ich denke nicht, denn am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles. In der Hinsicht bin ich ein Zyniker, da ich die Preisschilder an den Ratschlägen nur allzu gut zu erkennen vermag; jedoch – ich will dem gar keinen Wert beimessen, denn es hat keinen! Außer für moralisch verrottete, gierige, betrügerische, bigotte Arschlöcher Klicks oder Geld zu generieren; wobei Klicks im Web ja mit Geld gleichzusetzen sind. „Ooooh….“ höre ich es vor meinem inneren Ohr aufbranden „…aber, aber. Wie kann man nur so negativ, so bösartig auf Mitmenschen blicken, die halt irgendwie erfolgreich zu sein versuchen?“ Nun, ganz einfach: indem ich sie, wie eben getan, als exakt das bezeichne, was sie sind: ganz und gar auf Schein basierendes, wertloses Geschmeiss, das mir bitte vom Halse bleiben soll.

Ich hatte doch neulich mal darüber gesprochen, wie sehr es mich geflashed hat, dass eine ganz simple Kurz-Recherche zum Thema Coaching-Ausbildung mir eine wahre Flut von Bullenscheiße in meine Insta-Timeline gespült hat. Mittlerweile hat der Algorhythmus verstanden, dass er das bleiben lassen soll, aber da waren Gestalten dabei: unverblümt-direkte Ansprache, umgekehrte Psychologie, Sketche, Nachrichtensprecherei, Pep-Talk und Power-Posing und tatsächlich möchtegern-selbstkritisches Fishing for Compliments and Customers. YIKES! Was für ein Panoptikum oberflächlich-unseriösen Grusels. Auch die haben den Zyniker in mir hart getriggert, denn die Preise, die da für eine sogenannte Coaching-Ausbildung aufgerufen werden, sind schon mehr als saftig. Schönen Dank auch, kein Interesse. Immerhin hat es in mir ein paar Denkspiralen ausgelöst. In einem anderen Zeitalter war ich mit Selbstzweifeln ganz gut vertraut, heutzutage jedoch kenne ich – ganz ohne Zynismus und absolut Arroganzfrei – meinen Wert ebensogut, wie das Preisschild, welches ich an meine Arbeit hängen kann. Und ich mache KEINE Mondpreise. Wenn ich das aber so offensiv vertrete, bin ich dann noch ein Zyniker? Ein geläuterter Zyniker? Ist die Definition von Wilde am Ende vielleicht falsch? Oder drifte ich doch langsam zum Sentimentalen? Immerhin werde ich ja bald 50, da fangen viele Leute mit diesem fatalen „Früher war alles besser“-Gedöns an. Ich bleibe da lieber bei Jochen Malmsheimer, wenn er sagt: „Früher war nichts besser. Früher war vieles früher, das ist richtig!“

NEIN, ich bin kein echter Sentimentaler. Ich erblicke allerdings in mancherlei Dingen von Früher etwas, dass mir vertraut ist, dass in mir Emotionen zu wecken vermag, die der innere Zyniker allzuoft allzugut im Griff hat. Das mich zurückwirft auf ein Zeitalter, da zwar Selbstztweifel in mir eine wesentlich größere Rolle gespielt haben als heute, in dem ich aber unschuldig und mit frischem Blick auf die Welt schauen konnte; und nicht wie heute mit dem Gefühl, dass doch eh alles nur noch eine menschlich wertlose, durch und durch bigotte, kapitalistische Konsum-Show ist – eben als Zyniker. Nun wäre es an der Zeit darauf hinzuweisen, dass Wilde über Zyniker auch noch etwas anderes gesagt hat: nämlich dass sie enttäuschte Romatiker seien… und damit relativiert sich das möglicherweise bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Bild eines durch und durch vom Leben und den Menschen enttäuschten Wracks im absoluten emotionalen Tiefwinter. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein, spüre ich doch sehr oft sehr intensiv, was in mir gärt und kocht, was der Welt und vor allem den Menschen in ihr ins Antlitz springen und sie anschreien möchte: „DENKT IHR DENN NOCH IRGENDWAS, ODER HAT DER KONSUM EUER LETZTES BISSCHEN HIRN ZERFRESSEN? SPÜRT IHR NOCH IRGENDWAS, ODER HAT EUCH DAS GEWITTER DER ÄUSSERLICHKEITEN VOLLKOMMEN TAUB UND STUMPF GEMACHT?“ Oh ja, da halte ich es mit Dr. Banner: „Wissen Sie Cap, mein Geheimnis ist – ich bin immer wütend!“

Ja, da ist ein Romantiker, der sich an Dingen erfreuen kann, die man, wenn man denn will, als feingeistig bezeichnen könnte. Und dieser Teil existiert in meiner Brust Tür an Tür mit dem incredible Hulk und einer weniger britischen Ausgabe von Dr. House; ich brauche auch kein Vicodin und keinen Gehstock. Dafür aber eine gehörige Portion Ambivalenz- und Ambiguitäts-Toleranz, denn die Jungs kämpfen manchmal auch miteinander. Und die drei, von denen ich bisher berichtet habe wohnen in meiner Seele nicht allein. Wir Menschen prägen im Laufe eines Lebens eine Menge Rollen aus. In meinem Fall wären das: Vater, Sohn, Freund, Feind, Chef, Untergebener, Berater, Beratener, Ehemann, Lehrer, Lernender… und noch viele andere. Und so selbstverständlich, wie wir – je nach Setting – die richtige Rolle so unbewusst und geschmeidig aktivieren, wie man einen perfekt passenden Anzug anzieht, so selbstverständlich sind die Echos aller mit den Rollen verknüpften Erinnerungen, Gedanken und Emotionen ein Teil von uns. Erst, wenn diese Echos vergehen, ist irgendetwas für immer kaputt. Ich wollte eigentlich nur eine saftige Glosse schreiben über diese scheinheiligen Arschgeigen, welche diese spezialisierte Ratgeber-Rubrik „Wie man sich von den Meinungen Anderer unabhängig macht!“ bespielen. Aber tatsächlich ist diese Aussage Käse, denn die Meinungen anderer haben – Kontextabhängig mehr oder weniger – einen Wert FÜR uns und damit Einfluss AUF uns. Kann man akzeptieren, oder auch nicht. Das ändert an der psychologischen Wirksamkeit überhaupt nichts. Und daher habe ich gerade über die Frage meditiert, ob ich schon vollends zum Zyniker geworden bin. Und jetzt denke ich, die Antwort lautet NEIN. Das ist doch schon was. Schönes Wochenende ihr flauschigen Flitzpiepen…

Auch als Podcast…