Reisen…

Ich referierte vor einigen Tagen im Rahmen einer Fortbildung über eine spezielle Art des visuellen Storytellings für Vorträge. Ich wählte als übergeordnetes Thema “Bildung als Reise”. Und musste feststellen, dass mich, während ich sprach, das Fernweh überkam. Ich konnte die Erinnerung an den warmen Wind im Gesicht spüren, ebenso wie das beinahe übermächtige Gefühl, einfach davonlaufen zu wollen. Und ich schäme mich nicht dafür. Manche Situationen fordern mehr, als ich derzeit zu geben bereit oder in der Lage bin.

Ich durfte feststellen, dass ich die allermeisten Facetten meiner Arbeit immer noch mag. Aber ich musste auch erkennen, dass ich sie am meisten mag, wenn sie wohl dosiert daher kommen, nicht immer am gleichen Ort stattfinden – und wenn ich mich nicht dauernd mit idiotischen Amateuren auseinandersetzen muss, die immerzu versuchen, an alles was ich tue, Feuer zu legen. ’nuff said. Was nun aber Dosierung sowie Distanz angeht, bleibe ich immer wieder am Thema Reisen hängen. Es beflügelt mich ehrlich, regelmäßig andere Umgebungen besuchen und erkunden – ja, auch dort arbeiten – zu dürfen. Es bedarf dazu nicht einmal unfassbarer Entfernungen, sondern lediglich einer kurzen Entkopplung von der Alltagsroutine. Das, was etwa ein Urlaub erzeugen soll, funktioniert auch auf dieser Ebene recht gut. Es ist hilfreich sich dessen erinnern zu dürfen, denn ich klammere mich mittlerweile viel zu sehr an die Distanz zwischen den Urlaubsreisen, die ich machen darf, weil ich dann neue Impulse, neue Reize, neue Ideen sammeln kann, weil dann alles kann, ohne das irgendetwas muss!

Ob ich dazu unbedingt nach Südfrankreich fahren muss, oder nach Mittelitalien? Nö, muss ich nicht. Die bloße Distanz spielt ja, wie gesagt, keine große Rolle. Aber ich liebe die Weite des Himmels, den erdigen Duft dieser spannenden Landschaften an einem warmen Sommertag, das Gefühl, etwas geschafft zu haben, wenn ich oben auf einer alten Burg stehe; ein Gefühl, dass mir im Alltag viel zu häufig fehlt. Man findet außerdem derlei in Deutschland in dieser Form nicht allzu oft – und viele der Gegenden, wo dies der Fall ist, habe ich schon besucht… ich glaube aber vor allem, dass mir der Geist meiner hiesigen Mitmenschoiden letzthin zu eng geworden ist. Allüberall nur noch Neid, Missgust, Gier, Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem Risiko und der typisch deutsche Reflex für alles, was nicht perfekt läuft einen Schuldigen zu brauchen, den man – je nach Tageslage – mehr oder weniger hart punishen kann. Keinen Dank für ihre Leistung, aber halten sie mal brav den Rücken für das Messer hin. Der Begriff “Perfekt” ist für mich der absolute Endgegner guter Arbeit. Denn, wer dauernd nach Perfektion strebt, verlernt zuerst die Zufriedenheit mit den einfachen Dingen, brennt schließlich sehr hell – und dann ganz schnell aus! Danke, aber NEIN Danke.

Immerzu muss man ackern und planen und erklären und optimieren und wieder planen und dem Teufel sein erstes Kind opfern, damit auch ja nichts schief gehen kann. All diese Narren haben anscheinend noch nie etwas von der unüberwindbaren Mauer der nächsten Sekunde gehört. Ja, Planung ist wichtig, kann aber die Konfrontation mit der normativen Kraft des Faktischen nicht ersetzen. Zumal viele Pläne offenkundig unter reichlicher Zuhilfenahme bewusstseinserweiternder Substanzen und wishful thinkings entstanden sind. Anders sind solche Schwachsinnsruinen wie Stuttgart 21 nicht zu erklären. Aber was weiß ich schon von Planung… Was sich hinter dem nächsten Durchgang findet, muss ich oft erst herausfinden. Doch wir Deutschen starten, anstatt einfach hindurchzugehen, um mal zu kucken was es denn sein könnte, erst mal ein Planfeststellungsverfahren und rufen damit alle ängstlichen Bedenkenträger auf den Plan. Und dabei ist es vollkommen egal, ob es um Millionen-Projekte oder Hustengutzel geht. So vieles wird heute nur noch zerredet, kaputtgeplant, dann wieder schöngerechnet, in den Orkus geklagt oder von den Unken in den eigenen Reihen bewusst torpediert. Dabei ist Angst eher nur dann ein guter Ratgeber, wenn der Säbelzahntiger meine Witterung aufgenommen hat. Und LEIDER haben wir keine freilaufenden Säbelzahntiger mehr. Sie würden manches Problem lösen…

Ich wünschte wirklich, die Menschen würden öfter auf Reisen gehen. Nicht unbedingt auf weite Fahrten, aber auf die kleinen Abenteuer, die einem helfen, wieder zu lernen, sich für die Details rechts und links des Weges zu interessieren. Die einen verstehen lassen, dass der Weg tatsächlich fast immer das Ziel ist; und das Niemand in die Zukunft schauen kann, auch wenn BWLer immer so tun, als wenn ihnen das möglich wäre. Ist es nicht. Das einzige, was die können, ist hoffen, dass Menschen sich wieder genauso verhalten, wie letztes Mal in einem ähnlich gelagerten Zeitabschnitt. Je früher wir alle verstehen, dass Ökonomie nicht mehr – NIEMALS MEHR – das Primat über all unser Handeln haben darf, desto früher wird es hier auf der Erde wieder besser werden. Aber auf dieser gefahrvollen Reise sind wir gewiss noch eine Weile unterwegs. Einstweilen konzentriere ich mich lieber auf die kleinen Reisen, physisch, wie auch im Geiste und versuche, nicht an meinen Mitmenschoiden zu verzweifeln. Das ist vorläufig fordernd genug, während die nächste Sekunde vergeht… und vergeht… und vergeht. “The clock ticks life away” haben Linkin Park mal gesungen. Füllen wir die Ticks doch mit etwas Sinnvollem. In diesem Sinne – Rohe Ostern!

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°54 – On Tour…

Überraschenderweise finde ich mich von Zeit zu Zeit in Settings wieder, in denen ich mich wohl fühle, obwohl diese gleichsam für mich von Ambivalenz erfüllt sind. Oder anders formuliert: eigentlich dürfte ich mich gar nicht so wohl fühlen, wie dies tatsächlich der Fall ist. Einmal mehr bin ich mit einer neuen Klasse on Tour und es ist anstrengend! Ein Zahl neuer Bekanntschaften will geküpft und gleichsam gefestigt werden, weil meine jetzige Aufgabe natürlich darin besteht, den Leutchen einen Weg in die Ausbildung hinein zu weisen und ihnen gleichzeitig zu helfen, sich selbst eine Idee davon bilden zu können, wie das alles denn funktionieren könnte. Spannend. Das fordert mich von früh bis spät, denn einerseits möchte ich einfach als Mensch natürlich nahbar genug sein, dass die neuen Schüler:innen Vertrauen zu mir fassen können – muss aber andererseits dafür sorgen, dass auch genug Respekt vor meiner Person, meinem Amt und, vor allem den ab nun anstehenden Aufgaben entsteht. Denn ohne das geht es nicht. Denn Nahbarkeit darf nicht bedeuten, die analytische Distanz zu verlieren, derer es Bedarf, um ihnen irgendwann später faire Noten geben zu können. Doch all diesen Herausforderungen zum Trotz (und obwohl ich nebenher auch noch andere Amtsgeschäfte aus der Ferne erledigen muss) fühle ich mich wohl, weil ich zu bestimmten Zeiten einfach die Tür zu machen, für mich sein, nachdenken und die Dinge analysieren kann. Ich bemerke, dass ich es oft noch schöner fände, NUR allein für mich und kreativ sein zu können. Aber gerade jetzt formen sich spannende Beziehungen, was der Geschichte ein hoch spannendes Element gibt.

Ich habe den neuen Schüler:innen gegenüber gestern von meiner ganz persönlichen, total subjektiven “Three-Strikes-Regel” erzählt: jeder Mensch bekommt von mir einen Grund-Vorschuss an Vertrauen und Respekt – aber wenn jemand dreimal verkackt, ist es rum mit Vertrauen und Respekt. Ab dann gilt wieder die Grundannahme, dass Menschen, so ganz grundsätzlich betrachtet schon ganz schön Scheiße sind. Man muss sich – insbesondere als Pädagoge, aber auch in anderen Funktionen – gestatten, die weitaus meisten Menschen zu hassen, wenn man die wenigen, die einem wirklich anvertraut werden mögen können soll. Denn wir haben zu jeder Zeit nur eine bestimmte Menge an Liebe (oder Vertrauen, Respekt, Zuneigung, etc.), die wir geben können; um diese Vorräte, und damit auch sich selbst, nicht zu erschöpfen, muss man mit derart kostbaren Gütern sparsam umgehen. Was für meine aktuelle Situation bedeutet, dass ich einmal mehr versuchen muss, herauszufinden, mit was für Menschen ich es gerade zu tun habe. Und ob diese – auf längere Sicht – meine Mühen und mein gegebenes Vertrauen wert sein werden. Man kann, nein MUSS, sicher trefflich darüber streiten, WIE NAHE man solche “Schutzbefohlenen” an sich heran lässt; Stichwort analytische Distanz. Doch am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen. Und so versuche ich, die private Person von der Funktionsperson auch durch äußerliche Zeichen, wie etwa das Tragen (oder auch NICHT-TRAGEN) von Dienstkleidung zu trennen, damit es einfacher wird, zu verstehen, dass ich als Privatperson u. U. eine Meinung haben darf, die ich vielleicht im Lehrsaaal so nicht vertreten würde, weil es der falsche Platz dafür wäre (etwa in politischen Fragen). Und dass ich – überraschend, aber dennoch wahr – auch (nur) ein Mensch bin.

Wohin führt uns das alles nun? Erstens zu der eher wenig überraschenden Erkenntnis, dass ich immer häufiger feststellen muss, dass ich mit meinen ernergetischen Reserven besser haushalten sollte; wie auch immer das gehen kann. Denn all die sozialen Kontakte kosten mich Kraft, die sich oft nur langsam regeneriert. Zweitens mache ich jedoch die – wirklich – ungewöhnliche Feststellung, dass der Umgang mit der neuen Klasse mich nicht nur Kraft kostet, sondern mir auch welche zurück gibt! Die Impulse, welche ich in den letzten Tagen auf vielfältige Art mitgenommen habe – auch, wenn es natürlich immer Zielkonflikte gibt, zwischen Lehrkraft und Schüler:innen – machen mich zuversichtlich. Mit neuen (jungen) Menschen darf man ab und an auch interessante Einblicke, Ideen und Energien mitnehmen. Das ist es, was den Beruf für mich immer noch zu etwas Besonderem und damit zu meiner Berufung macht. Klingt euch das jetzt doch zu pathetisch? Fuck it – und wenn schon! Es ist meine Wahrnehmung und die darf ich behalten. In diesem Sinne auf zum Endspurt und euch da draußen so langsam schon mal (f)rohe Ostern.

Auch als Podcast…

Absurdistan ist zurück N°2 – Erfolgversprechend…

“Ich bin…” spricht jener “… zum Erfolge verpflichtet, daher gewährt mir die Bitte, gebt mir ein paar Berichte, bis ich endlich versteh, was ich eigentlich verrichte!” Der Schiller – so sollte man wohl hoffen – wird dem Autor irgendwann vergeben können, auch wenn diese (V)Ferse mehr Archill gebühren, als einem Dichterfürsten. Ort der Tragödie – nicht nur dieser einen, sondern auch manch anderer – war (oder ist immer noch) ein Raum, welcher, gemeinhin herkömmlich der Bildung gewidmet, so doch gelegentlich auch der Introspektion der Bildenden dienen mag und somit nicht nur gemeinhin, sondern auch gemeinerweise dem Arbeitsumfelde zuzurechnen sei. Jener Sphäre der angeblichen Selbstverwirklichung, die doch nur dem Zwecke dient, jene 30 (oder hoffentlich mehr) Silberlinge zu erwerben, welcher es bedarf, um zu den anderen Zeiten – jenen freien, ACH SO FREIEN Stunden der Nichtnotwendigkeit, der Muße, des Spiels, des Sanges und der leiblichen Freuden nicht bei Luft und Liebe allein darben zu müssen. Doch, oh weh, der Verrat an sich selbst geht noch weiter, denn damit das Leben unter dem Joch jenes diabolischen Handels – gebunden durch den Mephistopheles der Abhängigkeit, im Volksmunde auch “Arbeitsvertrag” geheißen – uns nicht allzusehr drücken möchte, schufen wir uns die Legende von diesem ominösen “Sinn des Lebens”, um diese sogleich mit der ganz und gar hinterhältigen Idee zu vergiften, abhängige Lohnarbeit sei eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung; ja nun, wenn Autofahren Naturschutz sein soll und Homöopathie Medizin, können wir uns gleich noch einer weiteren Selbstlüge bedienen, nicht wahr. Doch, ach es ging ja nicht um die mentale Rahmung des Seins – von Fachleuten auch “Framing” genannt, denn Anglizismen schaffen nicht nur Schismen; manchmal sind sie einfach griffiger; wobei Griffigkeit, abseits des Küchenmessers allzu oft überbewertet wird. Nein, vielmehr geht es um Erfolg… oder das , was wir, bei Lichte betrachtet oder auch mal unter dem Mantel der Selbst- und Fremdbenebelung verborgen, stolz wie eine Monstranz vor uns hertragend, manchmal aber eher im Fahrwasser unserer überbordenden Bescheidenheit mitschwimmen lassend als positives Ergebnis unseres Tuns und Lassens erleben. Und da kannst du aber mal was erleben…!

…oder auch nicht! Denn eben in dieser lichtdurchfluteten Kemenate des Lehrens und Lernens sitzend und von Gleichgesinnten – oder zumindest gleichartig Malochenden – umgeben musste der Autor hinter, ob der supranasalen Anstrengung gerunzelter Stirne erkennen, dass es ihm an einem Sentiment des “Erfolges” nur allzu häufig mangelt. Dies soll, und das ist nicht leichthin gesagt, zum Anlasse dienen, sich mit Verve der Belebung der eigenen Affekte zu widmen. Denn wenngleich subjektiv offenkundig nicht durchlebt so werden objektiv doch sehr wohl Erfolge realisiert, die durchaus der eigenen Erbauung dienlich sein dürfen, Potzblitz! “Doch…” ertönt, Hörnerschall gleich ein erster, gar nicht so träger Gedankenfetzen aus den bislang somnambulen Tiefen des limbischen Hirnkellers “…wie geht derlei vonstatten? Reicht es” so fuhr die helle Stimme aus der Tiefe fort “… es einfach zu wollen, um ‘gut drauf zu kommen’…?” Hey, Amygdala, du kannst vielleicht selten dämliche Fragen stellen! Da kommt dem Schreiber unvermittelt ein Zitat von berühmten Ökonomen John Maynard Keynes in den Sinn “Die größte Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen!” Ja wunderbar, die Runzeln auf der Stirn können sich nach unten verkrümeln und sich in die freudigeren Fältchen um die Augen verwandeln – denn mit der Mimik wandelt sich auch das Gemüt – Lächeln macht einen glücklicher. Hinfort mit der Laudatio auf die Abgründe des Lebens; weg mit dem ständigen Kontemplieren über den eigenen Wert und Zweck, wenn doch schon lange erkannt ist, dass sich der eigene Wert im Lehren und Lernen unterdessen verwirklicht – und somit gleichsam der eigene Zweck geworden ist. In den Orkus mit den ständigen Zweifeln – und endlich herbei mit aufrechtem Rücken, erhobenem Haupt und der Erkenntnis, dass man sich auch mal selbst feiern darf – nein sogar muss!! Wie aber derlei angemessen begehen? Wie ERFOLG für sich selbst begreifbar machen?

Für den Schreiber dieser Zeilen beginnt die Reise, damit “NEIN” zu sagen. NEIN zu jenen, die alles, was man tut oder auch lässt angreifen, kleinreden, sich selbst ans Revers heften, oder zu einem ausschließlichen Teamerfolg erklären wollen. Ja, Teams sind immer stärker als Einzelkämpfer. Aber in der Mitte jedes erfolgreichen Teams, gibt es einen Nukleus, ohne den alles auseinanderbricht, weil es das Handeln dieser einen Person ist, welches ALLES zusammenhält. Nimmst du diese Figur weg, bricht der Rest in relativ kurzer Zeit sang- und klanglos in sich zusammen. Dessen muss man sich gelegentlich erinnern. Dann wird es auch wieder möglich, eigene Erfolge zu fühlen; und angemessen zu feiern. “Aber, aber, mein Freund…” höre ich nun eine andere, dunklere Stimme aus dem amygdaloiden Vorratskeller für die harten Dämpfer “… nicht gleich arrogant werden!” Da erreichst du den Autor zu spät, lieber Geist der kommenden Weihnacht. Denn der Volksmund lässt schon lange vernehmen, dass Bescheidenheit die höchste Form der Arroganz sei. Das stimmt natürlich nur, wenn man diese allen Leuten auch überdeutlich unter die Nase reibt: “Sehr her ICH bin bescheiden…” . Aber es ist schon wahr – dieses anstrengende Austarieren zwischen Höhenflug und Absturz führt wohl gelegentlich dazu, dass man nivelliert und lieber weder das Eine noch das Andere fühlen möchte, weil Hochmut bekanntlich vor dem Fall kommt; und emotionale Bruchlandungen stets das Zeug haben, einen nachhaltig zu beschädigen! Aber keine Sorge – hier wird nicht so hoch geflogen, dass die Federn sich von den Flügeln lösen könnten. Ikarus bleibt auf niedriger Flughöhe. Nur ein BISSCHEN höher als letzthin. Weil er sich das wert ist. Weil er sich das wert ein MUSS. Und… was seid ihr euch wert? Schönes Wochenende.

Erwachsen bilden N°53 – …im Spiegel

Schüler*in: "Och nö, DAS habe ich doch schon in der Schule zwei Jahre lang gehabt!" 
Ich: "Was meinst du denn?"
Schüler*in: "Na Philosophie. Und jetzt kommst du auch wieder mit 'kategorischem Imperativ' und 'Utilitarismus' um die Ecke!"
Ich. "Ja gut... wenn du das zwei Jahre in der Schule gehabt hast, dann erzähl mir doch mal, was du noch darüber weißt..."
Schüler*in: "...ähm..."
Ich: "Hat es dich denn damals interessiert...?"
Schüler*in: "...*mpfstammelmurmel*..."
Ich: "Okay... darf ich dann mit meinem Vortrag fortfahren? Und dich darum ersuchen, mir wenigstens die CHANCE zu geben, dich für das Thema zu interessieren...?

Das da oben ist mir vor ein paar Wochen so (oder zumindest so ähnlich) passiert, als ich mal wieder selbst vor einer Klasse stand. Ethik im Rettungsdienst ist nicht sexy. Zumindest nicht mal im Ansatz so sexy, wie etwa das stumpfe Ende der Nadel, der Cuffdruckmesser, oder das EKG-Papier. Schon klar. Ihr wollt richtige MEDIZIN machen! Euer Handwerk auch ausüben dürfen! Action! Um das an dieser Stelle für alle, die es interessiert – vor allem aber auch für jene, die es NICHT interessiert – noch mal in aller Deutlichkeit klarzustellen, habe ich fünf schwer verdauliche Thesen über die Arbeit (und das Lernen) im Rettungsdienst zusammengestellt. Keine Sorge, das wird keiner von diesen beknackten Listicles und die Reihenfolge ist vollkommen willkürlich gewählt, stellt also in keiner Weise ein Ranking dar. Alle ab hier getroffenen Aussagen sind mir gleich wichtig! And here comes…

  • 1. Es gibt KEINE Bullshit-Einsätze! Es gibt Low-Code-Einsätze, die vor allem unsere sozialen Fähigkeiten und unser organisatorisch-strukturelles Know-How abfragen, uns aber wenig Raum für Action-orientiertes Handeln lassen. Schlicht, weil die Notwendigkeit dazu nicht besteht. Dennoch erfordern auch diese Situationen unsere Aufmerksankeint, denn…
  • 2. Bei unserem Job geht es um die uns anvertrauten Menschen! Nicht um UNSER EGO, UNSERE Bedürfnisse (außer, abends wieder heil und gesund nach Hause kommen zu dürfen), oder UNSER Ansehen – es geht ausschließlich um die Menschen, die uns der Zufall für eine kurze Zeit anvertraut! Sie haben unsere professionelle Aufmerksamkeit verdient – bis zu dem Punkt, da sie dieses Verdienst durch eigenes Zutun verspielen. Denn wer uns absichtlich schlecht behandelt, hat unsere 100% auch nicht verdient. Dennoch sollte jeder Mensch von uns diesen Vertrauensvorschuss bekommen, der aus einem humanistischen Menschenbild erwächst.
  • 3. Wer stehen bleibt, den überholt die Welt! Wir sind stets dazu aufgerufen, uns weiter zu entwickeln. Nicht als Selbstzweck, sondern weil die medizinische Wissenschaft, in welche unser Job eingebettet ist sich – Gott sei Dank – weiter entwickelt. Und damit alles, was wir zu wissen und zu können glauben, stets nur vorläufig gelten kann. So lange, bis wir es wieder etwas besser wissen. Lernen hört damit niemals auf.
  • 4. Nachhaltiges Lernen findet NIEMALS in der Komfortzone statt! Bequem auf einer Chaiselonge hingeflezt, mit einem Tütchen Mononatriumglutamat-ertränktem, dünn frittiertem Kartoffelmatsch in der einen und einem mehr oder weniger Zucker- und/oder Hopfenhaltigen Erfrischungsgetränk in der anderen Hand, erfahren wir bestenfalls Mattigkeit, aber keine Entwicklung. Denn Entwicklung erfordert ernsthafte Aktivität, gepaart mit Reflexion derselben!
  • 5. Wir sind IMMER nur im Team stark! Keiner von uns kann die Welt (oder auch nur einen einzigen Patienten) alleine retten! Keiner von uns ist stark genug, ALLES, was der Zufall uns zusammen mit unseren Patienten serviert (a.k.a. Elend, Einsamkeit, Gewalt, Misshandlung, Tod und noch vieles Andere) immer und überall nur mit sich selbst abzumachen. Wer das wirklich glaubt, tut sich selbst Gewalt an…

Und was hat das nun mit Ethik zu tun? Warum behandelt man das Thema Ethik überhaupt im Unterricht aller Gesundheitsfachberufe? Die Antwort ist einfach – weil unser ganzes berufliches Handeln überhaupt nur im MITEINANDER denkbar ist. Und weil Ethik das MITEINANDER aus verschiedenen Perspektiven denkt und uns so Hilfestellungen gibt, unsere eigene Haltung zu den Menschen, zum MITEINANDER und zu allem anderen Anderen zu entwickeln und zu festigen. Denn ohne eine differenzierte HALTUNG gibt es keine Professionalität! Diese entsteht aber nur, indem man sich mit dem eigenen Handeln, dem, was man so alles zu wissen glaubt und dem, wovon man bislang überzeugt ist AKTIV auseinandersetzt – gerne auch im Diskurs mit Anderen, die vor den gleichen Aufgaben stehen. Andernfalls bleibt man stehen, wird zum Einzelkämper (oder Einzelliegenbleiber), versteht niemals, warum man in bestimmten Situationen gegen die eigenen Interessen (und evetuell auch die der Patient*innen handelt) – und verzweifelt irgendwann in der Folge an seinem Job. Was dann zu Folge hat, dass man sich etwas Anderes sucht, oder aber durch sein zynisches, misanthropes Handeln irgendwann im den Untiefen des Ausgebranntseins auf Grund läuft. Oder was glaubt ihr alle, warum die durchschnittliche Verweildauer von Notfallsanitäter*innen in Deutschland bei lausigen 8 – 11 Jahren ab Start der Ausbildung liegt? Das liegt NICHT daran, dass Hunderte von NotSans im Knast sitzen würden, weil der Job so große Rechtsunsicherheit mit sich bringt – DAS ist Bullshit. Es liegt auch nicht daran, dass die Arbeitsbedingungen so furchtbar wären – ich kenne kaum einen anderen Job, in dem ich SO selbstbestimmt meine Arbeit erledigen kann, wie im Rettungsdienst. Geht mal eine Woche mit Gerüstbauern mit.

Es liegt daran, dass nicht genug Sorgfalt auf die Auswahl der Auszubildenden gelegt wird! Daran, dass immer noch zu viele Berufsfachschulen ein vollkommen falsches Bild der späteren Tätigkeit vermitteln und ihren erzieherischen Auftrag nicht wahrnehmen! Und schließlich daran, das eine erhebliche Zahl von Kollegoiden da draußen, die sich in ihrem Ausgebranntsein regelrecht suhlen den jungen Leuten – vollkommen unreflektiert – als schlechtes Vorbild dienen! Übrigens auch solche, die eigentlich als Rolemodel eine herausgehobene Stellung innehaben – nämlich Praxisanleiter*innen. Da könnt ich schreiend davon laufen! Kommt doch mal allesamt aus der Komfortzone und entwickelt euch weiter. Ihr werdet euch wundern, was dann plötzlich alles möglich wird; aber eben nur, wenn man nicht unreflektierte Faulheit mit Effizienz verwechselt. Schönes Wochenende…

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°63 – Was tust du (jetzt)?

[Notiz des Herausgebers: an dieser Stelle könnte natürlich auch ein Rant darüber stehen, was für eine unfassbar narzisstische, faschistoide und grunddumme Gurkentruppe gerade das Régime Nouveaux der USA bildet, aber ganz ehrlich: ich schreibe hier lieber über Dinge, die mir momentan mehr Spaß machen! Viel mehr Spaß! Also gibt’s einen weiteren Rollenspiel-Post. Lebt damit oder lest was anderes…]

Pen’n’Paper wird als Dialog gespielt. Jeder Spieler teilt dazu der Spielleitung in einer gegebenen Situation mit, was sein/ihr Charakter eben jetzt zu tun gedenkt, die Spielleitung entscheidet darüber, ob dies überhaupt möglich ist und teilt umgekehrt dem Spieler mit, wie hoch die Schwierigkeit dafür ausfällt. Dann wird gewürfelt, um zu sehen, ob das klappt. Überdies können Spieler für ihre Chars auch abseits einer gerade laufenden Szene übergeordnete Ziele, Motivationen und Ideen entwickeln, die sie verfolgen wollen. Diese sind allerdings nur realisierbar, wenn der Spielleiter davon auch weiß. Im Gegensatz zu Viedeospielen ist es aber grundsätzlich den Spielern im Pen’n’Paper möglich, die Gesamtgeschichte durch ihre Handlungen so zu beeinflussen, dass auch für den Spielleiter unabsehrbar wird, wohin der Zug fährt – selbst in eher linear aufgebauten Kampagnen. Denn das Erzählrecht – also Art und Umfang der Lizenz, in die Geschichte einzugreifen – ist auf beiden Seiten in etwa gleich umfangreich. Das ist die Kurzform, aber ich denke, man sollte sich die Langversion noch mal anschauen, um zu verstehen, woraus sich bestimmte Diskussionen in und um Pen’n’Paper überhaupt ergeben.

Beginnen wir damit, dass es überhaupt ein Erzählrecht gibt. Man darf es als Allgemeinplatz verstehen, dass FTTRPGS (fantasy tabletop roleplaying games) aus dem klassischen Miniature Wargaming entstanden sind, weil irgendwann jemand auf die – zuerst als etwas absurd betrachtete – Idee kam, anstatt der Abenteuer einer ganzen Truppe die Abenteuer einer einzelnen Spielfigur spielen zu wollen. Am Anfang war das eine sehr Simulations-lastige Angelegenheit, bei der es vor allem um Regeln für movement, attack capability, stamina, etc. ging… oder? Weit gefehlt. Selbst den Referees des preußischens Kriegsspiels im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wurde bereits eine weitreichende Entscheidungsfreiheit abseits objektiv beschriebener Regeln eingeräumt. Manche gaben sogar offen zu, Regeln und Würfelwürfe zu missachten, um auf Basis eigener Erfahrungen zu einer realistischeren Darstellung oder besserem Drama kommen zu können (fudging dice rolls anybody…?). In den frühen Tagen des Rollenspielhobbies wurde noch hart darum gestritten, wer überhaupt was tun darf – darauf kommen wir gleich zurück – doch heute gehen wir davon aus, dass Spieler und Spielleitung die Geschichte GEMEINSAM erzählen. Und dazu braucht es neben dem Dialog noch einige andere Dinge. Daher sehen wir uns die oben beschriebene Sequenz nun etwas genauer an:

  • Beschreibung der Ausgangslage: wir nehmen an, dass Spieler und Spielleitung sich auf ein Setting, ein Regelwerk, etc. geeinigt haben, damit alle von einem common ground starten können. Bzw., dass neue Spieler zumindest eine Vorstellung davon haben, worum es nun gehen wird. Die Vorarbeit des Spielleiters besteht darin, nun Konflikt- oder Dramenhaltige Situationen zu entwerfen, in welchen die Spieler ihre Charaktere dieses oder jenes tun oder bleiben lassen, um die Geschichte vom Startpunkt aus voranzutreiben oder gar aufzulösen. Das Abenteuer beginnt und nach der Beschreibung der ersten Szene folgt die berühmte Frage: “Was tut ihr / Was tust du?” (na ja… eigentlich kommt diese Frage im Spiel ZIEMLICH häufig vor…)
  • Statement of Intent: Die Spieler haben nun die Chance, mehr oder weniger präzise zu beschreiben, was ihr Charakter in dieser Szene tun wird. Was das genau sein könnte, hängt davon ab, ob wir uns in einem sozialen Encounter, einer Exploration oder in einem Kampf befinden. Definiert durch das Setting gibt es jedoch stets eine ganze Auswahl an Dingen, die ein Charakter tun KÖNNTE. [Hier spielt die Ausgestaltung des Erzählrechtes nun eine Rolle – nämlich im Sinne der Frage, wie viel Zeit man den Spielern für die Formulierung ihres statement of intent lässt? In älteren Diskussionen liest man öfter, dass es eben davon abhängt, welche Art von Encounter es ist; und dass die Spieler etwa im Kampf genau die 6 Sekunden für diese Formulierung bekamen, die eine Kampfrunde in Playtime dauerte. Wer zu langsam war, hatte seine Runde verschwendet und tat nichts!] Ich selbst neige bei Kampfsequenzen auch eher dazu, diese Entscheidungszeiten begrenzen zu wollen, weil das Kampfgeschehen sonst seine Dynamik und damit auch sein Drama verliert. Gerade hier offenbaren sich oft Probleme, da es durchaus Spieler gibt, die für ihr statement of intent sehr lange brauchen, weil sie etwa die Fähigkeiten ihres Charakters nicht gut vom Papier in die Situation übertragen können, insgesamt wenig fantasiebegabt sind, oder die Entscheidungen zu Teilen auf ihre Mitspieler oder gar den Spielleiter auslagern wollen. Und damit den folgenden Punkt verkomplizieren (oder vereinfachen, je nachdem, auf welchem Standpunkt man als Spielleitung steht…)
  • Interpretation und Beurteilung: Je nachdem, wie präzise oder auch nicht ein statement of intent formuliert ist, muss ich als Spielleiter nun eine Entscheidung darüber treffen, OB die angesagte Aktion gemäß der üblichen Regeln in der Welt, in welcher wir derzeit spielen überhaupt möglich ist, ob sie DIESEM Charakter möglich ist – und falls in beiden Fällen die Antwort JA ist, wie SCHWIERIG die Durchführung für diesen Charakter sein wird. [Es gab eine lange Tradition, das statement of intent wohlwollend oder harsch auszulegen. Ein gutes Beispiel für die häufig harsche Variante ist der Umgang von Spielleitungen mit dem DnD-Magierspruch “Wunsch”; eine gute Analogie hierzu ist die, in der Literatur häufig beschriebene, wortwörtliche Interpretation mit Bezug auf die drei Wünsche, welche einem z.B. der Dschinn gewähren muss – in aller Regel war das Ergebnis solcher magischer Wünsche alles andere als schön für den Wünschenden. Solches Verhalten bezog sich aber nicht nur auf den “Wunsch” sondern auf alle möglichen Situationen, in denen das statement of intent zu ungunsten der Spieler interpretiert wurde; was zur Legende des klassischen, antagonistischen Spielleiters führte, der stets als Gegner seiner Spieler agierte!] Eine Anmerkung: dies ist der Moment, in dem oft die rules laywers aus ihren Löchern gekrochen kommen, wie die Kakerlaken, wenn’s dunkel wird. In dem Moment mach ich einfach das Licht wieder an. Mit mir diskutiert NIEMAND mehr über Regeln. Wer’s versucht, war das letzte Mal dabei. Genau, weil ich keinen Bock auf so was habe, spielen wir seit Jahrzehnten in meinem System – und gut is. Ist diese Phase des “rulings” nun abgeschlossen, kommen wir zum nächsten Schritt.
  • Das Würfeln: Es gibt verschiedenste Mechaniken, mit Würfeln Wahrscheinlichkeiten zu modellieren. Aus der Perspektive des Gamdesigners geht es dabei um action econmy, Glockenkurven und wie man Schwierigkeitsgrade in Min.- oder Max.-Würfe übersetzt. wie auch immer das jeweilige Regelwerk dies bewerkstelligt, ist am Ende wumpe, sofern es nicht zu kompliziert wird – denn heutzutage würfeln die Spieler selbst für ihre Chars […doch das war nicht immer so. In der frühen TTRPG-Szene wurde heftig darüber diskutiert, ob die Kenntnis der Mechaniken hinter dem Spiel nicht die immersion für die Spieler stören würde; und man deswegen als SL ALLE Würfe des Spiels durchführen und danach lediglich die Ergebnisse der beschriebenen Handlungen erzählen sollte. Long story short: Die andere Seite hat sich durchgesetzt – weil das selber Würfeln den Spielern Spaß macht. Punkt] Der einzige Punkt, der MICH daran immer wieder aufregt ist – wenn Spieler auch nach der vierunddrölfzigsten Sitzung immer noch fragen, was sie jetzt würfeln sollen. Das ist für mich genauso ein Killer der Dynamik und des Dramas, wie die oben erwähnte Entscheidungs-Paralyse…
  • Das Ergebnis erzählen: Ob der Spielleiter oder die Spieler nun erzählen, was in der Folge passiert, wenn klar ist, ob es geklappt hat oder nicht, hängt ein bisschen vom Tisch und den Personen in der Runde ab. Rule of thumb: wenn’s gut gelaufen ist, lasst die Spieler ein bisschen ihre Fantasie ausleben. Wenn’s schief gelaufen ist, sorgt dafür, dass das Drama weitergeht. Lasst sie vorwärts scheitern und dann schauen, ob sie es irgendwie anders hinkriegen. Was ihr nicht unbedingt tun solltet, ist Folgendes: einen hard-won victory kaputterzählen, indem ihr diesen Sieg durch einen Spin in eine drohende Niederlage verwandelt. Wenn die Chars gewonnen haben, haben sie gewonnen – und fertig! Was allerdings NICHT bedeutet, dass sich in einer dynamischen Situation unterwegs nicht trotzdem noch zusätzliche Herausforderungen ergeben können.

Auf diese Art und Weise wird jede einzelne Spielsequenz “aufgelöst”. Denn am Ende steht ja immer die Frage, ob die Spielercharaktere die Herausforderungen meistern können, oder nicht? Und, was aus dem einen – oder dem anderen – eventuell erwächst? Denn aus der Verkettung vieler einzelner Spielsequenzen werden am Ende Abenteuer – und aus Abenteuern Kampagnen. Und nur sehr selten nehmen diese den Weg, den ich vielleicht bei der Vorbereitung mal im Kopf hatte. Warum auch? Sind ja viele verschiedene Köpfe dran beteiligt. Man könnte auch sagen: TTRPGS sind komplexe, chaotische Systeme; und das muss man halt wollen! Sollte ich oben, beim Thema rulings etwas hart geklungen haben, sei an dieser Stelle übrigens noch erwähnt, dass ich durchaus bereit bin, auf Basis gesunden Menschenverstandes über ein ruling zu reden – aber niemals mit jemandem, der glaubt, dass die WILLKÜRLICH von einem Dritten aufgestellten Regeln eines Spielsystems, die nur einen mangelhaften Interpreter für die vielen Fragestellungen innerhalb des Spiels darstellen, mich als SL überstimmen können. Da hast du dir den Falschen ausgesucht, Nachbar! Ich mache übrigens irgendwann demnächst noch den Follow-Up-Post “Was tust du (dann/damit/deswegen/etc.)”, der sich mit den oben schon aufgeworfenen Fragen rings um eigene Charakter-Motivation dreht. Einstweilen hab ich genug gesprochen, daher – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°62 – Encounter Design

Wenn ich mich hinsetze und antagonistische Begegnungen für die nächste Sitzung mit meinen Spielern entwerfe, dann blättere ich üblicherweise nicht durch ein “Monster Manual” oder irgendeine andere Sammlung von vordefinierten Kreaturen. Oh, ich kenne und besitze solche Bücher durchaus, sogar zu verschiedenen Regelwerken – ich benutze sie nur allerbestenfalls als Inspiration für meine eignen kranken Ideen. Könnte natürlich daran liegen, dass ich schon seit Jahrzehnten beinahe ausschließlich auf Basis meines eigenen Homebrew-Systems leite. Das ist allerdings nicht der Hauptgrund, denn die Leitfrage, die ich mir immer stelle, ist nicht, wie die Chars meiner Spieler mit dem fertig werden, was ich ihnen vor den Latz knalle – sondern, ob es MIR Spaß machen wird, diese Kreaturen zu spielen! Pen’n’Paper ist vieles: zuvorderst eine Möglichkeit, narrativ in andere Welten einzusteigen, jemand anders sein zu können als man selbst ist, Dinge tun zu können, die man selbst nie tun könnte (oder wollte… jetzt mal ernsthaft – wer hätte schon WIRKLICH Lust, sich mit Vampiren, Aliens oder einer Drogendealergang zu kloppen, hm…?) – sich also in Eskapismus zu üben. Pen’n’Paper ist aber auch Problemlösen – und zu den am häufigsten verwendeten Problemen gehören im Storytelling seit der Antike nun mal Antagonisten. Was wäre etwa ein Krimi ohne einen guten Bösewicht (Oh – eine contradictio in adjecto… wie nett). Nun ist mein Regelwerk NICHT auf das taktische Zerkloppen von Monstern ausgelegt. JA – es gibt ein Kampfsystem, JA – es wird auch bei uns gekämpft, NEIN – es gibt keine ausufernden Taktik-Regeln, sondern vor allem “theatre of the mind”. Wenngleich auch an meinem Tisch manchmal eine Art Battlemap und Minis benutzt werden. Minis sind einfach dope as hell!

Mir geht es vor allem um die Motivation und Ziele der Antagonisten. Das sind bei mir keine 2-dimensionalen Wegwerfartikel, wenngleich es natürlich Minions gibt, bei denen man keinen zweiten Gedanken darauf verschwenden muss, ob es okay ist, die zu killen. Manche Kreaturen sind einfach durch ihre Natur böse oder durch ihre Fremdartigkeit so sehr ihren Instinkten unterworfen, dass man mit ihnen nicht rational verhandeln kann. Dieses Etikett tragen sie dann allerdings zumeist auch sehr offen vor sich her. Die Haupt-Antagonisten hingegen sind üblicherweise voll entwickelte, dreidimensionale Charaktere – und ich folge dabei recht häufig meiner individuellen Überzeugung, dass der Mensch das schlimmste Monster ist, welches sich die Natur ausdenken konnte (man darf im Fantasy-Bereich für “Mensch” aber auch gerne mal eine andere humanoide Spezies einsetzen). Wenn es um diese Wesen und ihre Geschichten geht, so lasse ich meiner Fantasie gerne freien Lauf. Bei mir geht das so: In diesem dämmrigen Zustand zwischen Bewusstsein und Traum, wenn man gerade im Begriff ist, vom einem in den anderen Zustand hinüber zu gleiten, lassen Richtung und Thema der eigenen Träume sich manchmal beeinflussen. Es sind diese Momente, in denen mir wirklich gute Ideen kommen. Zumeist habe ich mir allerdings vorher visuelle Inspirationen geholt, indem ich z. B. durch Pinterest (c) oder irgendeinen anderen visuellen Aggregator gesurft bin. Oft ist es so, dass unterdessen ein spezielles Bild mich anspringt und in meinem Kopf in der Folge nach und nach eine Geschichte zu der gezeigten Person oder Kreatur entsteht. Und beim Übergang ins Traumland setzt sich dann alles zusammen. Manchmal habe ich aber auch sofort eine Idee, die ich zu Papier bringe. Auf diese Weise füllen sich meine Notizbücher.

Es ist weder notwendig, meine Methode zu kopieren, noch nach irgendwelchen CR-Werten in Monstermanualen zu schauen. Das in manchen Regelwerken abgedruckte “Creature Ranking” kannst du nämlich in der Pfeife rauchen, wenn die Würfel deiner Spieler während der Sitzung heiß wie Lava oder kalt wie flüssiger Stickstoff sind. Die Action-Economy ist regelseitig auf durchschnittliche Würfelergebnisse zugeschnitten, weil wir alle an Gauß’sche Normalverteilungen glauben. Nur… unsere Würfel interessieren sich manchmal einen Scheiß für Gauß! Drei bis vier naturelle 20er zerstören ein Encounter, drei bis vier naturelle 1er deine Gruppe – zumindest mit etwas Pech. Und wer findet einen Total Party Kill schon lustig, außer denen, die NICHT dabei waren…? Manchmal muss man nachlegen, manchmal muss man die Bremse anziehen – was absolut NICHTS daran ändert, dass DEINE Encounter nur spaßig sind, wenn DEINE Kreaturen und Antagonisten DIR als Spielleitung Spaß machen. Wenn deine Spieler dann auch noch kreative Wege finden, die Mistviecher und ihre Meister zu bezwingen, steht einem wirklich guten Spieleabend nichts mehr im Wege… Klang das jetzt ein bisschen so, als wenn bei uns auch nur Monster-Slaying läuft? Tja, sagen wir mal so – Antagonisten treten einem nicht nur auf dem Schlachtfeld gegegnüber. Auch so genannte Social Encounters können es in sich haben: vermeintliche Feinde werden zu Verbündeten oder gar Freunden; und umgekehrt. Die Methode zur Erschaffung aller NSCs bleibt immer die gleiche – es geht um die, eventuell krasse Geschichte hinter der Figur und den coolen Scheiß, den diese deswegen u. U. drauf hat. Make them as memorable as possible!

Und vergesst dabei bitte nicht, dass das Terrain wie ein Mitspieler ist. Nutzt Räume, oder auch das Gelände nach allen taktischen Regeln der Kunst – aber gebt euren Spielern die Chance, dies auch zu tun. Und bedenkt, dass die meisten Spielrunden sich ohne einen SEHR deutlichen Hinweis NIEMALS taktisch zurückziehen werden, weil sie stets glauben, IHR würdet die Encounter von vorn herein so balancen, dass ihre Chars diese überstehen bzw. gewinnen können. Sagt ihnen in aller Deutlichkeit, dass diese Annahme Bullshit ist! Denn selbst, wenn man das als SL versuchen würde… vier naturelle 1er und verkackte Death-Saves und der Abend läuft vollkommen anders als geplant. Sagt ihnen, dass IHR Spaß haben wollt, und daher eure Antagonisten im Zweifel als Asskicker designed habt, und dass diese NSCs überdies keine Ahnung haben, dass sie Figuren in einem Spiel sind. Die agieren, um zu gewinnen, genau wie die Chars! Sobald die Spieler DAS verstanden haben, fangen sie vielleicht irgendwann an, über ihre Handlungen VORHER nachzudenken. Und sich über mögliche Konsequenzen ihres Handelns Gedanken zu machen. Derweilen designe ich mal die nächsten Encounter – immer wissend, dass Encounterdesign nicht nach dem Initiative-Wurf endet, wie Matt Colville immer so schön sagt. In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…

Absurdistan ist zurück N°1 – Hier und jetzt…

Die beste Ehefrau von allen sprach “Lass uns wohl am Flusse gehen und dabei nur wenig blöde stehen”. Im, bis eben noch winterblassen Angesicht des Protagonisten zeichnet sich, ob der nun allüberall sicht- und fühlbar wohligen Temperierung des Außen Freude ab, sind die Worte doch ein wahrlich guter Hinweis. Und somit Anlass genug, das Innen zu verlassen. DAS INNEN – jener beinahe mythische Ort, die Höhle des häuslichen Daseins und Stätte des Existierens, sofern keine Pflicht dich von hinnen zu nötigen sucht. Doch – oh Freude – es ist Wochenende, und damit, weil’s vor allem die Endigung der, Schweiß- und gelegentlich auch Tränennassen Gesichtes verrichteten Arbeitsamkeit für einen nicht näher zu bezeichnenden Nutznießer bedeutet, jede unfreiwillige Verrichtung zu einer jähen Interruption kommen MUSS. Wehe jenen, nun schon länger vergangenen Zeiten des Schichtdienstes, da ein solches freudiges Ende als Anhang des Freitages nicht notwendig zu einer Unterbrechung jenes grausigen Fluches führte, der uns zivilisationsgepeinigten Kinder des 20. und 21. Jahrhunderts so oft so hart trifft: ABHÄNGIGE LOHNARBEIT. Allein, das Wort ABHÄNGIG, gleichwohl dem ABHÄNGEN verwandt und somit unter Umständen irreführend, ist hier der Aufregung wert; verheißt es doch eben nicht etwa, abhängen zu dürfen, sondern viel mehr abhängig zu sein – von so vielen Dingen…! Pendlerverkehr, Parkplatzsuche oder, nicht minder nertötend, die Fahrt in einer S-BAHN, jenem auch als teilmobil eingeschientes Superspreading-Event charakterisierbaren Mikrokosmos des allzu Menschlichen. Kommen einem diese ANDEREN allzu menschlichen doch hier – Platzmangelbedingt – so nah, wie sonst nur die beste Ehefrau von allen beim Spaziergang am Flusse… ein optisches, akustisches und leider, je Frühling oder Sommer es gar werden mag, auch olfaktorisches Panoptikum des Bizzarren – ja nachgrade eine Katastrophe nahezu biblischen Ausmaßes! Zumindest, wenn man wie ich ein misanthroper Morgenmuffel ist. Und bis hierher ist über Kollegoide – also Menschoide, die einem Kollegen an Gestalt und Gebaren in etwa nahe kommen, ohne jedoch je den Anspruch auf Ansprechbarkeit oder – noch besser – Antwortfähigkeit je erfüllen zu können, noch nichts hinreichend beleidigendes gesagt…

“Doch,” sprach jener, “bin ich nun zu nichts genötigt… ” ließ ob der gewünschten Akzentuierung eine kunstvolle Pause eintreten “…außer” und sog die Luft hörbar ein, um es beinahe in die nicht eben darauf wartende Welt hinausschreien zu können “…zu tun, wonach MIR der Sinn steht!” Oh Graus. Da war sie wieder, jene allzu drängende, stets zum ungünstigsten Zeitpunkt – wie etwa der allabendlichen ehelichen Diskussion über das gewünschte Unterhaltungs-Programm – auf den Plan tretende Ambivalenz; dieses verfluchte “ich könnte…” “aber ich könnte auch…”, “oder könnte ich nicht vielleicht …” VERDAMMNIS! Einmal mehr war ich geliefert. Denn abhängig war ich nicht nur von der verfluchten Lohnarbeit. Oh nein, vielmehr hat dieses dauernde MÜSSEN sich über die Jahrzehnte so sehr in mein Gemüt eingeschlichen, um die kleine faule Sau, die ich im tiefen Grunde meines schwachen Herzen gelegentlich immer noch gerne wäre langsam – aber nichtsdestowenigertrotz nachhaltig – mit dem Gift der Betriebsamkeit, der Nützlichkeit, der SINNHAFTIGKEIT zu beträufeln. Müßiggang… ja drüber Reden, oder gar Schreiben ist einfach, denn in dem Moment da man darüber redet oder schreibt, geht man ja gar nicht mehr müßig, sondern wird produktiv HIMMERLHERRGOTSAKRAMENTNOCHEINS…! So gerne würde ich behaupten, dass ich zu dieser wundervollen Zeit der Nichtverpflichtung auch tatsächlich zu nichts verpflichtet bin – wenn man von jenem unbezwingbaren Endgegner jeder Freude einmal absehen mag, den wir “HAUSHALT” heißen. Tue ich also wirklich, wonach MIR der Sinn steht, oder versuche ich nicht doch eher genau in diesem Moment einem Ideal gerecht zu werden, dass andere für mich erwählt haben: dieses dreckige Calvinistenpack mit seinem Arbeitsethos. ETHOS…? Ja welche Gesinnung habe ich denn nun? Ich will gar keine Gesinnung, schon gar keine des Fleißes, denn “am Freitag um eins macht jeder seins”, oder, wie auf dem Bau oft wiederholt, “um vier fällt der Hammer” Und das wäre auch gut so, denn den härtesten Hammer in diesem Haushalt schwingt nun mal die beste Ehefrau von allen, da beißt die Maus keinen Faden ab!

Nun jedoch ist das Blatt Papier – oder besser der Bildschirm – nicht mehr weiß, sondern zum beredten Zeugen des Chaosfaktors meiner Kreativität geworden. Kreativ ist dem lateinischen “creatum” für “erschaffen” entlehnt – und schon wieder haben wir’s mit Arbeit zu tun, den im “erschaffen” steckt “schaffen”; hier in meiner Gegend ein häufig bemühtes Synonym für “arbeiten”. Kreativ bedeutet also “er-schaffen!” oder besser “er schafft!” – und das am Wochenende! Nun, wenigstens lässt sich konstatieren, dass das Spazieren am Fluss in der durchaus schon höchst frühlingshaften Sonne sich auf das eigene Wohlbefinden poitiv auszuwirken vermochte. Während man seine Beine bestimmungsgemäß benutzt, schüttelt man, beschleunigt durch die Wucht der Vorwärtsbewegung beim Ausschreiten durch die Fußsohlen den Ärger hinaus, um diesen bei der nächsten, ebenso zwangsläufig entstehenden Berührung des Untergrundes mit der Ferse zu zermahlen. Was da unter den Sohlen knirscht, ist also nicht etwa der Bodenbelag, sondern vielmehr dürfen wir den gedämpften Schmerzensschreien unseres sterbenden Ärgers lauschen – ich liebe dieses Bild! Gleichsam kann man, wenn man ganz genau hinhört, auch das jeweilige Durchbrechen der Mauer der nächsten Sekunde hören. Denn solange wir während des Spazierens nicht zum finalen Liegen kommen, durchschreiten wir auch gleich noch Lebenszeit. Und so, wie das GLEICH sich im JETZT zum EBEN GERADE wandelt, entschwindet so manch negatives im Orkus hinter uns! Und aus einem weißen Blatt – oder besser Bildschirm – ist unterdessen ein Text über dieses und jenes geworden – vor allem aber über das JETZT. Schönes Rest-Wochenende…

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°52 meets New Work N°22 – Dienst nach Vorschrift?

Ich hatte neulich ein interessantes Meeting, bei dem einige Menschen anderen Menschen mal offenbart haben, wie viel Vorbereitung wirklich dahinter steckt, ordentlichen Fach- Unterricht machen zu können. ICH merke ja auch immer wieder, dass Leute tatsächlich glauben, ICH könnte alles Mögliche on a moments notice aus dem Ärmel schütteln – was vollkommener Quatsch ist. Ich muss mich genauso hinsetzen, eine Unterrichtsverlaufs-Planung schreiben, die passenden Einzelmethoden auswählen und – sofern es sich um theoretischen Unterricht handelt – den Content erstellen, wie jede:r andere auch. Okay, bei Unterrichten, die ich schon öfter gehalten habe, fällt vielleicht nicht mehr die GANZE Vorbereitungsarbeit an. Dennoch muss ich mich jedesmal neu reindenken, evtl. beim letzten Durchlauf aufgelaufenes Feedback integrieren und meine Materialien prüfen. Überdies entwickle ich für das Verständnis der Schüler:innen gerne Übersichten an der Metaplanwand, was bedeutet, dass ich auch jedes Mal meine Kärtchen neu schreiben muss. In aller Regel morgens, direkt bevor der Unterricht losgeht. Lehrkräfte mit noch nicht so fest eingeübten Abläufen brauchen aber länger für so was. Und nicht selten muss man sich selbst noch mal seines eigenen Wissens versichern, bevor man überhaupt daran denken kann, sich zu überlegen, wie man dieses eigene Wissen und die Skills für andere begreifbar machen könnte. Ich muss hier noch mal an die konstruktivistische Sichtweise auf Pädagogik erinnern: wir bringen niemandem etwas bei; wir bereiten lediglich den Boden, auf dem die Schüler:innen ihre jeweils eigene Wissensernte einfahren können! Wozu es im übrigen der Mitarbeit bedarf. Aber darüber habe ich an anderer Stelle schon sattsam gesprochen…

Arbeitgeber gehen oft naiv davon aus, dass ein Fachlehrer sich 35h die Woche in den Lehrssal stellt und in der verbleibenden Zeit nebenbei alles erledigt, was halt so anfällt: Unterrichtsvor- und nachbereitung, Korrespondenz mit den betrieblichen Ausbilder:innen und den amtlichen Regulierungsbehörden, Führen der Zeitnachweise und Klassenbücher, anlassbezogene Gespräche, bewertende Arbeitsbesuche, Korrektur von Klassenarbeiten, Staatsexamina und so weiter und so fort. Und da ist einspringen wegen Krankheit o. Ä. noch nicht inkludiert. Jede:r, die/der schon mal eine Klasse gemanaged haben, liegt jetzt vor Lachen gekrümmt unterm Schreibtisch, weil allen, die schon mal in diesen Stiefeln marschiert sind sofort und intuitiv klar ist, dass DIESE ANNAHME RIESENGROSSE, DAMPFENDE BULLENSCHEISSE IST! Die Fachlehrkräfte, mit denen ich bekannt bin, reden nicht über ihre Stundensaldi, sondern machen ihren Job. Aber der Krug kann nur so lange zum Brunnen gehen, bis er bricht. Was bedeutet, dass in dem oben erwähnten Gespräch ein Wort mit besonderer Häufigkeit vorkam: Überlastung! Und wir reden hier nicht über Heulsusen, sondern über ein Team, dass in der jüngeren Vergangenheit außergewöhnliche Belastungen einfach weggeatmet hat! Womit wir bei dieser Dienst-nach-Vorschrift-Diskussion wären, die derzeit Dank der häufig replizierten Gallup-Umfrage durch die Medien schwappt. Die Mitarbeiter deutscher Unternehmen hätten demnach im Mittel keine emotionale Bindung zum Unternehmen mehr und machen daher halt – ja genau: Dienst nach Vorschrift. Und natürlich schwingt in verschiedensten Einlassungen zum Thema stets dieser implizite Vorwurf der FAULHEIT mit. Nicht umsonst hat die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen dieser Tage nach dem Verzicht auf einen Feiertag gerufen, weil wir die Kosten des von der dräuenden SchleNeKo (Schlechte Neue Koalition) ausgehandelten “An-der-Schuldenbremse-vorbei-Sondervermögens” durch mehr Leistung ausgleichen müssten. Das einzige, was Frau Schnitzer dabei versteht ist Trickle-Down. Was allerdings bis heute nachweislich nicht funktioniert hat; sie redet also mit anderen Worten einer noch schnelleren Umverteilung von Unten nach Oben das Wort. Die Fresse halten soll dieses dämliche, überbewertete Fossil! Wir arbeiten angeblich zu wenig, sind nicht produktiv genug und überhaupt fordern wir Arbeitnehmer immerzu viel zu viel. Und dann kommt man auch noch mit der angeblich mangelhaften Arbeitsmoral um die Ecke!

Ich habe da einen etwas anderen Blick drauf, der sich übrigens in einigen Punkten mit dem der Fachjournalistin Diana Dittmer deckt: Mein Arbeitsplatz ist nicht meine Familie und am Ende des Tages ist meine Anstellung ein Handel auf Gegenseitigkeit: Lebenszeit gegen Kohle! In KEINEM Arbeitsvertrag steht was davon, dass ich meinem Arbeitgeber mehr schulde, als die vertraglich vereinbarten Stunden und die üblichen Loyalitätspflichten: nicht klauen, keine wirtschaftlich relevanten Interna ausplaudern, den Arbeitgeber nicht öffentlich diskreditieren, die Arbeitszeit auch wirklich mit Arbeit und nicht irgendwelchen Kinkerlitzchen füllen, mit den Kollegen professionell umgehen – egal, ob ich diese nun leiden kann, oder eher nicht. So weit – so normal. Doch es scheint heute üblich zu sein, implizit mehr als das zu erwarten und Menschen nur dann als performant wahrzunehmen, wenn sie “die Extrameile gehen”. SCHEISS AUF DIE EXTRAMEILE – WELCHE EXTRAMEILEN GEHT MEIN ARBEITGEBER FÜR MICH? Ich meine abseits dessen, was er um’s Verrecken nicht verhindern kann, weil wir evtl. heute in meiner Branche von einem Arbeitnehmer-Markt sprechen müssen? Mein Arbeitsplatz nimmt mich nicht in den Arm, wenn es mir schlecht geht! Mein Arbeitgeber stellt es mir nicht frei, zur Burnoutprophylaxe am Fluss spazieren zu gehen, auch wenn ich letzthin häufig das dringende das Bedürfnis dazu habe! Meine Arbeit gibt mit nur einen begrenzten Teil des Sinnes, den ich in meinem Leben sehen möchte! Manche Vertreter meines Arbeitgebers benutzen das Wort “Danke” gerne und ausgiebig (auch, weil es nichts kostet) – andere widerum würden sich eher die Zunge abbeißen, bevor sie zu MIR wirklich freundlich sind; oder die erbrachten Leistungen wirklich anerkennen.

Ich schulde meinem Arbeitgeber folglich genau das, was im Vertrag steht: 40h die Woche präsent, performant, perzeptiv und professionell zu sein. Nicht weniger – aber auch keinesfalls mehr. Und was für mich gilt, gilt für ALLE ANDEREN ebenso. Denn tatsächlich leisten nämlich sehr viele Menschen schon sehr viel mehr, als sie müssten; und manchmal auch, als sie eigentlich könnten. Und diese Menschen fühlen sich von dem realitätsfernen, arroganten, unverschämten Geschwafel möchtegernwichtiger, nutzloser “Elitenvertreter” regelmäßig beleidigt. Wo stehen wir also? Ganz einfach an dem Punkt, an dem die ganzen abgehobenen Wirtschaftslobbyisten, ultraneoliberalen Gierschlünde und ihre willfährigen Helferlein aus dem “Polit-Establishment” verstehen müssen, DASS ES KEIN ZUERÜCK BEI DEN ARBEITNEHMERRECHTEN GIBT! ENDE! DER! DISKUSSION! Wenn ihr meint, wir fleißigen kleinen Ameisen hier unten kriegen es nicht hin, dann kommt doch mal von euren hohen Thronen herunter, krempelt die Ärmel hoch und zeigt uns, wie viel ihr selbst zu geben bereit seid! Denn wirklich geführt wird einzig allein von vorne; und zwar durch Leader, die nicht ein Jota mehr verlangen, als sie selbst zu geben bereit sind! Derweil mache ich Dienst nach Vorschrift – ich leiste, wofür ich bezahlt werde, erledige derweilen, was zu tun ist, um den Laden am Laufen zu halten – und wenn ich nach Hause komme, dann lebe ich mein Leben. Und das weitestgehend unberührt von der Arbeitswelt. Denn das bin ICH mir wert! In diesem Sinne, auf zu einer neuen Woche im Hamsterrad… wir sehen uns!

Auch als Podcast…