0,055%. Das ist der Anteil der als potentiell islamistisch angesehenen Personen an der Gesamtbevölkerung der BRD, laut Bundesamt für Verfassungsschutz (Stand 12/2014). In Zahlen sind es knapp 44.000 Personen; eine Zahl, die nach Gruppen gesplittet seit mehreren Jahren konstant bleibt. Mit einer Ausnahme: die Zahl der Salafisten hat sich seit 2012 um rund 75% erhöht, auf derzeit ca. 7000. Islamismus ist, den Zahlen zufolge also eine Randnotiz der mannigfaltigen kulturellen Strömungen in unserem Lande. Da stellt sich mir doch die Frage, warum sowohl die Medien, als auch rechte Gruppen so viel Zeit und Aufwand darauf verwenden, diese sozial gescheiterten Wirrköpfe und ihren fundamental-Islam so sehr in den Köpfen aller Bürger präsent zu machen? Muss eine vitale Gesellschaft wie die unsere wirklich Angst vor solchen Splittergruppen haben? 0,055%, insgesamt 0,0086% Salafisten, sind die so ein Gewese wirklich wert, Sharia-Polizei hin oder her?
Nüchtern betrachtet ist die Zahl der islamistisch motivierten Straftaten in unserem Land – auch auf Grund der durchaus achtbaren Arbeit unserer Sicherheitsbehörden – auf einem sehr niedrigen Niveau. Ich werde gewiss nicht in Abrede stellen, dass von diesen Hohlköpfen eine Bedrohung ausgeht, die sich insbesondere gegen das richtet, was man unter Terroristen „weiche Ziele“ nennt; nämlich die Zivilbevölkerung. Aber ich meine, dass unsere Medien einen Wahrnehmungsbias in unseren Köpfen erzeugen: für rechte Gewalt sind immer noch zu viele Menschen blind. Aus der vollkommen falschen Vorstellung heraus, dass die ca. 5,5% Muslime in unserer Bevölkerung ein Fremdkörper sind, der hier nicht her gehört. Die erste Generation hatte man übrigens eingeladen. Und dass die Menschen, die damals kamen, vorwiegend aus den armen, strukturschwachen Regionen Anatoliens stammten und sich in Deutschland gar nicht niederlassen, sondern hier nur etwas Geld verdienen wollten, um sich in der Türkei eine bessere Existenz aufbauen zu können, scheint man auch vergessen zu haben.
Es kamen Menschen, die zu Hause kaum Chancen auf ein besseres Leben gehabt hätten. Hier haben sie eine bekommen und sind geblieben. Doch weil beide Seiten auf der Illusion beharrten, dass es ja nur ein Deal auf Zeit wäre, haben sich weder die „Gastarbeiter“ noch die „Gastgeber“ um so etwas wie Integration bemüht. Ja, wir haben Parallel-Gesellschaften, aber daran ist unser Staat mindestens ebenso sehr schuld, wie die Menschen, auf die unser braunes Gesocks so gerne mit dem Finger zeigt. Und neben der kulturellen Fremdheit – mit der es oft gar nicht so weit her ist – sieht man dann auch noch die fremde Religion. Und es gibt eben Jene, die sich für das Fremde interessieren und Jene, die davor Angst haben; ein zutiefst menschlicher Makel…
Der Anteil der konfessionslosen in der BRD ist ca. 6,5mal so hoch wie der der Muslime. Der Anteil der Nichtwähler, je nachdem welche Art von Wahl man heranzieht zwischen 5,5 und 13mal so hoch. Was uns diese Zahlen sagen? Nun zum einen, das in der „öffentlichen Diskussion“ viel zu oft Äpfel mit Birnen verglichen werden und das blanke Zahlen, so toll Diagramme auch sein mögen nichts über die Menschen dahinter aussagen. Nach meinen persönlichen Erfahrungen – und ich lebe in einer Stadt mit einem Migrantenanteil von um die 30%! – gehen die allermeisten dieser Menschen zu bestimmten Festen ins Gotteshaus und leben ansonsten eine Leben, das sich von meinem kaum unterscheidet; sie arbeiten, ziehen ihre Kinder groß, träumen ihre großen und kleinen Träume, ärgern sich, wenn ihr Club schlecht spielt (OK, ICH interessiere mich nicht für Fußball, aber die meisten anderen schon) und glauben vielleicht so wie ich. Ich bin davon überzeugt, dass da mehr sein muss zwischen Himmel und Erde als die menschlichen Sinne wahrnehmen können, aber organisierte Religion ist mir ein Graus, weil es in meinen Augen vollkommen unsinnig ist, Worte die ein Mensch niedergeschrieben hat als Gottgegeben anzunehmen. Die frühe Bibel war ein Werk, dazu geschaffen, die damals üblichen Systeme der Herrschaft zu legitimieren und zu zementieren. Und diesen Ruch hat das Buch der Bücher nie ablegen können. Ähnliches gilt für den Koran.
Worauf ich aber hinaus wollte ist, dass diese Menschen, obschon Muslime unsere Rechte und Regeln achten und nach ihnen leben. Sie haben sich eingefunden in einem weitestgehend säkularen, auf demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien basierenden Land, das seine Werte aus seiner sowohl religiös als auch philosophisch geprägten, über Jahrhunderte gewachsenen Kultur ableitet. Doch diese Kultur ist ein „work in progress“! So wie die Technik sich weiterentwickelt, unser Umgang miteinander sich weiterentwickelt, unsere Ideen von und unser Wissen über den Menschen als Individuum und Mitglied der Gesellschaft sich weiterentwickeln, so tut diese unsere Kultur; andernfalls wären uns Worte wie „Trend“, „Meinung“, „Entwicklung“ oder „Tendenz“ (und noch viele weitere) unbekannt.
JA – unser Land wird sich verändern. Das hat es immer, tut es jetzt und muss es auch in Zukunft, um bestehen zu können. Das sich dabei auch unsere Kultur ändert, ist unvermeidlich. Einzig wichtig ist, dass wir die Werte immer wieder neu finden und verteidigen, die den Kern unserer Kultur ausmachen: Das Freiheitliche, das Demokratische, das Solidarische (das freilich im Moment in Vergessenheit geraten scheint), das Tolerante und das Ausgleichende. In diesem Sinne stehe ich dazu, dass jene Menschen die hierher kommen und diese Werte nicht achten können oder wollen, gerne wieder dahin zurückgehen dürfen, wo sie her kommen. Doch glaube ich, dass die Zahl dieser Menschen, ebenso wie die der Islamisten in unserer Gesellschaft, eher ziemlich gering ist. Hört also endlich auf, euch vorzumachen (oder zum Beispiel von diesem bayrischen Vollpfosten vormachen zu lassen), dass man 90% dieser Menschen ganz schnell wieder abschieben kann. Denn DAS entspräche weder den Prinzipien unserer Demokratie noch den Werten, auf denen unsere Gesellschaft ursprünglich aufbaut!
Eine Antwort auf „Werte-Gemeinschaft – Part VI“