Verdient…?

Es ist so eine typische alte deutsche Unart, dass man über Geld nicht spräche. Ich meine, seien wir doch mal ehrlich: spätestens mit den explodierenden Verbraucherpreisen für fast ALLES seit Beginn des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine IST Geld, oder besser der Mangel daran, in der öffentlichen Wahrnehmung überall. Was wird nicht über die teilweise existenziellen Probleme vieler Menschen geschrieben, gewettert, geweint, gewünscht, gewasweißichnochallest; aber mal über das eigene Gehalt bzw. dessen Höhe zu reden – da herrscht oft Fehlanzeige. Mir ist das ehrlich gesagt Wumpe, wenn jemand mein Gehalt kennt. Ich habe kein Non-Disclosure-Agreement darüber unterschrieben. Und ich finde es problematisch, wenn man Gehaltsintransparenz als Machtinstrument zu missbrauchen versucht. Und genau das passiert. Spätestens, wenn man sein Gehalt selbst verhandeln muss, weil es keinen Tarifvertrag gibt. Aber selbst mit Tarifvertrag gibt es Spielräume, die ausgeschöpft werden können. Auf meinem eigenen Gehaltszettel stehen im Moment übrigens rund 6000,00€ Brutto/Monat + Jahressonderzahlung, die einem 13. Monatsgehalt entspricht. Das Netto bei Lohnsteuer-Klasse 3 könnt ihr euch selbst ausrechnen. Und meine Frau hat ein eigenes Einkommen. Das ist, was ich meine, wenn ich sage, unsere Familie ist existenziell abgesichert. Aber ob ich VERDIENE, was ich BEKOMME, das steht auf einem ganz anderen Blatt Papier…

Das Leben treibt manchmal seltsame Blüten…

Ich sage ja immer, dass die Kommentarspalten oft viel interessanter sind, als die eigentlichen Artikel. ZON Arbeit hat einen Aufruf veröffentlicht, dass man sich doch anonym melden könne, um mitzuteilen, ob man seinen Arbeitgeber hinsichtlich der effektiven Arbeitszeit im Home-Office belüge. Wurde heute morgen veröffentlich (es ist ja nur in wenigen Bundesländern heute gesetzl. Feiertag, so etwa in Ba-Wü, wo ich wohne). Es gibt natürlich noch keine Ergebnisse, aber in den Kommentaren tauchte dann eben auch mehrfach die Aussage auf, dass man halt tue, worauf man lustig sei, sobald die eigentliche Arbeit (also vermutlich der zugewiesene Workload) erledigt sei. Das wirft ein paar Fragen auf, die ich hier nicht abschließend beantworten kann, weil die Antworten, welche andere geben könnten sehr individuell ausfallen dürften. Also ran an die Fragen:

  • Ist diesen Leuten klar, dass es sich bei solchem Verhalten, wenn man die aktuelle Gesetzeslage in Betracht zieht in einem Festanstellungsverhältnis ggfs. um Arbeitszeit-Betrug handelt, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt? (Ich frage für einen Freund…)
  • Wie misst man individuelle Workloads? Individuelle Performance differiert nämlich teilweise erheblich. Und manche Tätigkeit ist überhaupt nur schwer zu bemessen; nämlich eigentlich nur über abgeschlossene Projektschritte, nicht über die aufgewendete Zeit.
  • Wie misst man den betrieblichen Gegenwert individueller Workloads? (Ich verweise noch mal auf das eben Gesagte).
  • Wie bewerte ich bei der Entgeltung von Home-Office den Umstand, dass ca. 30% der täglichen Büroarbeitszeit (also knapp 2,5h bezogen auf einen 8h-Tag!) NICHT für Arbeit aufgewendet werden, sondern für informelle Gespräche, Kaffeeholen, etc.?
  • Ich formuliere schärfer – ist Präsentismus tatsächlich effektiver und produktiver?
  • Wie finde ich die sogenannten Low-Performer, egal ob in Präsenz oder im Home-Office?
  • Ist eine bestimmte Bandbreite der Performanz nicht eine logische Folge natürlicher Bandbreite des Mensch-Seins; also eine Folge von Genetik, Erziehung und Sozialisation? Also mithin von Vorbedingungen, auf die man am Arbeitsplatz nur sehr bedingt Einfluss nehmen kann?
  • Und wie geht man mit solchen qua-natürlichen Divergenzen um?

Letztenendes geht es darum, immer neu einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden zu müssen, was sich immer häufiger als Problem darstellt. Ich habe selbst Personalverantwortung und ich würde von mir behaupten wollen, dass ich geneigt bin, Menschen mehr als eine Chance geben zu wollen. Aber auch ich habe äußere Begrenzungen, bin Einflüssen und Vorgaben unterworfen, die ich NICHT ignorieren kann. Und muss liefern. Oft genug entstehen daraus Konflikte, die ich nicht, oder aber nur unter Schmerzen und erheblichem persönlichem Einsatz lösen kann. Und ich stelle immer häufiger fest, dass ich nicht mehr bereit bin, einfach für andere mitzuperformen, weil auch ich physische und psychische Limits habe; ich habe das vergangenes Jahr bereits mehrfach schmerzhaft aufgezeigt bekommen. Und bin jetzt an dem Punkt, dass ich mich selbst schützen werde, auch wenn das bedeutet, Menschen vor den Kopf stoßen zu müssen.

Zurück zur Eingangsfrage: Verdient, oder nicht verdient, dass ist hier die Frage des Chefs? Wenn diese so einfach zu beantworten wäre (und ich habe in meiner Fragesammlung einige Komplexe des Organisations-Managements noch überhaupt nicht berührt), gäbe es nicht jene Menschen, die sich damit wissenschaftlich und beruflich beschäftigen. Wir sind also wieder mal beim leidigen Thema „Leistungsträger“ angekommen. Und was ich dazu an anekdotischer Evidenz aus meinem Tätigkeitsbereich (HiOrgs so ganz im allgemeinen) beitragen kann, wirft die dringende Frage auf, warum so vieles noch immer so verdammt unprofessionell, wurschtig, nach Nase und Lust anstatt Sachlage gehandhabt wird; und gefühlt viel zu oft Jene mit der größten Fresse und den lautesten Eigenwerbungs-Beiträgen weiterkommen, anstatt Jene, die einerseits erstmal nur ihren Job machen, andererseits aber stets bereit sind, reflektiert auf die Zukunft zuzugehen?

Sagte ich nun, ich hätte keine Ahnung, wäre das gelogen. Denn Fakt ist, dass erfolgreiches Verhalten imitiert wird (hier als erfolgreich im Sinne von, „bringt persönliches Vorankommen!“ zu verstehen, nicht jedoch im Sinne von „bringt die Organisation und alle Beteiligten voran!“). Und so reproduziert sich an entscheidenden Stellen oft Verhalten, das mit den prominent aufgehängten Lippenbekenntnissen aus irgendwelchen Leitbildern ungefähr so viel zu tun hat, wie Hackbraten mit Atomphysik. Geht man so reflektiert auf die Zukunft zu. Nö, wieso denn – Tradition ist doch Fortschritt genug, oder? Ob ich auf einen Lottogewinn hoffe, um mal ein paar Jahre was anderes machen zu können? Ja, irgendwie schon. Mal schauen. Ab Montag ist wieder Tretmühle angesagt. Euch ein schönes Wochenende.

Auch als Podcast…

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