Neues vom Märchenonkel – Rollenspiel für Dummies #4

Wenn ich von Rollenspiel spreche, denken nicht wenige Leute zuerst an kostümierte Nerds, die sich im Wald mit fast ein bisschen echt aussehenden Waffen bekriegen – die übrigens vor allem aus Schaumstoff und Latex bestehen – komisches Zeltlager spielen und alle so ähnlich wie Yoda sprechen. Oder aber, sie haben schwüle Fantasien von dem, was in der Domina Dungeon passiert im Kopf; nun ja, manches davon passiert wohl auch in als eher bieder angesehenen teutonischen Schlafzimmern landauf, landab. Oder vielleicht erinnern sie sich, meist mit dezentem Grauen, an das letzte Kommunikations- oder Teamtraining im Betrieb.

Tatsächlich finden sich Elemente des Rollenspiels in vielen alltäglichen Situationen wieder; und vice versa. Denn natürlich entlehnt sich das Agieren der Charaktere, also unserer virtuellen Persönlichkeiten seine Handlungsfiguren aus dem, was wir aus unserem normalen Leben kennen. Zwar finden hier gewisse Transponierungen und Spekulationen statt, denn ich selbst stand noch nie einem wütenden Dämon gegenüber, aber hey, ICH hätte zumindest eine Idee, was zu tun wäre, wenn… Nun gut, das ist zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber letzten Endes bedeutet es vor allem eines: nämlich dass ich, genau wie im Hier und Jetzt, regelmäßig Entscheidungen treffen muss. Und zwar kritische Entscheidungen, von denen Wohl und Wehe meines virtuellen Alter Egos abhängt. Man könnte jetzt sagen, es ist doch bloß ein Spiel, aber wenn man ein bisschen Zeit und Herzblut in sein Hobby investiert hat, hängt man irgendwann an dem, was daraus erwächst. Nehmt doch mal einem Modellbauer sein Lieblingsstück weg!

Nun ist es im echten Leben so, dass man viele Entscheidungen auf Basis solider Informationen trifft, die man sich vorher zusammen gesucht hat. Man kauft nur höchst selten ein Auto einfach aus dem Bauch heraus, man bucht nicht mal eben den erstbesten Urlaub, man plant bei Renovierungen bzw. Umzügen die Einrichtung des heimischen Wohnraumes vorher im Geiste peinlich genau durch. Man ist stets bemüht, den goldenen Mittelweg zwischen Budget, Qualität, Design, Funktionalität zu finden. Im Rollenspiel ist das nicht so. Man bekommt manchmal einfach nicht alle Informationen oder sonstigen Ressourcen, und zwar entweder, weil der SL sie absichtlich verknappt, weil man zu blöd ist, die richtigen Fragen zu stellen, die falschen Leute fragt, oder Beobachtungen und Antworten falsch interpretiert. Nein, ich spreche nicht von der CIA und den „weapons of mass destruction“, sondern von einer stinkgewöhnlichen Sitzung, bei der es zum Beispiel darum gehen könnte, das Quartier von ein paar Gangstern auszuheben, um einen Freund rauszuhauen. Und aus all dem zuvor Gesagten resultiert, dass man nicht selten mit seinen Einschätzungen und somit auch den getroffenen Maßnahmen ziemlich daneben liegt.
Nun gab und gibt es in allen Spielrunden, mit denen ich das Vergnügen hatte das Bonmot vom „Plan X“, dem „wenn-nix-mehr-geht-geht-das!“, was einen guten Hinweis darauf gibt, dass Spieler sehr wohl mit dem Umstand vertraut sind, ihre Traumschlösser auf einer mageren Datenbasis und einem fetten Sack voll heißer Luft aufzubauen. Und das ist im Prinzip auch für alle Beteiligten vollkommen OK, so lange man sich darüber einig ist, wie harsch die Konsequenzen ausfallen dürfen, wenn ein Plan schief geht. Grundsätzlich gibt es in jedem Szenario mehrere Schlüsselsequenzen, bei denen man sich als Spielleiter zurecht gelegt haben muss, was je nach Entscheidung bzw. Erfolg/Misserfolg des/der Charaktere passieren soll. Und hier wird es interessant.

Wenn ich davon ausgehe, dass eine Fehlentscheidung als direkte Folge zum Ableben von Charakteren oder wichtigen Nichtspielercharakteren führen kann, muss dies den Spielern klar sein. Wenn ich aber einfach hingehe und sagen wir einem Char ohne Vorwarnung und Chance auf Reaktion von einem Sniper das Licht ausknipsen lasse, weil dieser mit der Tochter des örtlichen Paten angebandelt hat, dann treibe ich als SL Unfug. Actio und daraus möglicherweise resultierende Reactio müssen irgendwie für die Spieler identifizierbar sein, die einem Setting inherenten Regeln müssen, sofern sie nicht aus Büchern oder sonstigem Vorwissen ableitbar sind, so expliziert werden, dass es auch jeder mitkriegt. Denn die Entscheidungen im Kontext des Spiels müssen, so verrückt das Setting auch sein mag auf irgendeiner Basis stehen, sonst können wir es gleich ganz sein lassen. Man braucht also nicht nur spielmechanische Regeln, sondern auch soziale Regeln sowohl innerhalb der virtuellen Welt, als auch in der Welt des Spieltisches. Über die sollte man sich vorher mal Gedanken gemacht bzw. geredet haben, denn wenn einer diese missachtet, gibt es Probleme.

Ich bin ein großer Freund zweiter und gelegentlich auch mal dritter Chancen, anstatt Charaktere einfach zu killen, gebe ich ihnen – u.U. allerdings recht schmerzhafte – Denkzettel und ich versuche tunlichst, krasse Do-or-Die-Situationen mit festgelegten Lösungen zu vermeiden. Ich mag’s flexibel und undogmatisch und bin stets gewillt, meinen Spielern größtmögliche Freiheiten zu lassen, sofern sie es nicht vollkommen überziehen. Aber natürlich passieren auch mir regelmäßig Fehler und es gibt Knatsch wegen vermeidlichen Missverständnissen. Überdies gibt es, wie überall sonst im Leben, die unterschiedlichsten Naturen, die sich da am Spieltisch versammeln, was das Ganze auch nicht einfacher macht. Jedem auf seiner Ebene gerecht werden zu wollen, ist fast unmöglich, aber letztlich ist es ein Spiel und wenn man die Leute daran erinnert, dass sie nicht alleine am Zocken sind, gibt sich das meist von selbst wieder.
Nur eines macht mich immer wieder ein bisschen grantig; nämlich dass mancher Spielleiter nicht solche Flexibilität an den Tag legt, Regeln dogmatisch auslegt und sein Ding durchzieht, egal, ob das den Spielern passt oder nicht, dabei ihre Charaktere in Situationen nötigt, in denen es einfach keine Win-Situation geben kann und dann auch noch erwartet, dass es Allen gefällt, weil seine Geschichte doch so toll ist… Also ich erwarte vor allem Eines: das ich zusammen mit den anderen Spielern am Tisch u.U. vollkommen abgedrehte Ideen ausleben kann, die’s im wahren Leben so nicht gibt und damit jeder Geschichte eine vielleicht nicht eingeplante Wendung geben kann. Geht das nicht, kommt bei mir der große Frust; denn dann sollte ich mich in der Zeit besser mit den vielen Entscheidungen befassen, die mir das echte Leben abverlangt. Aber ich gebe nicht so leicht auf – always game on!

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