Mir fehlen die Worte!

Das ist natürlich eine contradictio in adjecto, weil hier Wörter stehen, die ich zu Bildschirm brachte. „Oh Sprache, du mächtigste aller Waffengattungen, deren Werkzeug, die Zunge das einzige ist, welches m. W. durch ständigen Gebrauch schärfer wird; könntest du mir wohl den Gefallen tun, und dich meinem Sinnen unterwerfen, um dich zu meinem Wohle und Gefallen nutzen zu lassen?“ Mächtiges Gebet des Schreiberlings; wird allerdings nicht allzu oft erhört. Ob das gut ist, oder schlecht, bleibt dem Betrachter / Zuhörer überlassen. Denn wohlverstanden wird sofort klar, dass derart Betende vor allem nach Macht mittels Manipulation streben; oder sollte ich lieber sagen – nach Influence… Und die weitaus meisten influenzestuösen Menschoiden da draußen, wollen vor allem eines: Kohle scheffeln. Was aber nur funktioniert, wenn sie ihre Werbeaufträge erfüllen, und Kunden generieren. Denn Konsum, die kleine Bastardschwester des allmächtigen Mamon will angebetet werden; und die Hochämter der Verehrung werden heute durch die digitalen, schnitt-optimierten Liturgien willfähriger, selbstoptimöser Möchtegern-Celebrities abgebildet. Schön schnell, ungefähr so authentisch wie die Titten der meisten Porno-Darstellerinnen und so nachhaltig wie Seifenblasen. Womit diese Inszenierungen ja wenigstens auf’s Trefflichste zu den angeblich nicht beworbenen Produkten passen.

…ob diese Konstruktion nachhaltiger ist? Zumindest macht es den Anschein.

Nun leben wir in einem hoch virtusualisierten Zeitalter [Spoiler: neues Kunstwort aus virtuell und visualisiert]; Sprache wird im Rahmen der oben beschriebenen Nutzung oft zu einem Hilfsvehikel für die Bildgewitter degradiert. Mit dem lästigen Nebeneffekt, dass zumindest die in anti-sozialen Medien genutzte Sprache sich derzeit sehr schnell verändert. Ich werde an dieser Stelle keine wissenschatlichen Studien zitieren, sondern mich ganz allein auf meine anekdotische Evidenz verlassen, denn dies ist MEIN verdammtes Blog! Und ich sehe vor allem Folgendes: grammatikalische Simplifizierung, mehr Neologismen und importierte Redewendungen. All das sind Moden, wie ich sie auch in meiner Jugend schon erlebt habe – und das Allerwenigste davon hat sich bis heute erhalten. Doch der aktuelle Sprachwandel scheint mir eine andere Qualität zu haben, die tatsächlich in nachhaltiger Veränderung münden könnte. Das für sich betrachtet wäre kein Thema, denn Sprache ist gelebte Kulturpraxis – und das Kultur nun mal immer ein weiterlaufender Prozess und nichts statisches ist, habe ich hier schon so oft gesagt, dass ich’s nicht mehr zählen kann. Problematisch ist lediglich der allzu häufig auf beiden Seiten ideologisch aufgeladene Umbau hin zu einer geschlechtersensiblen, gewaltfreieren Sprache. [Exemplarisch hier Martenstein vs. Arndt in ZON (paywall)]

Denn genau da fehlen mir Worte. Nicht etwa solche, wie das N-Wort, das Z-Wort oder das M-Wort. Ich verstehe und respektiere, dass manches sprachliche Diktum voran gegangener Zeiten heute einfach nicht mehr gebraucht werden sollte. Was mir fehlt, ist die historische Einordnung. Ja verdammt, Kant war ein Rassist und Chauvinist. Wie allerdings so gut wie alle anderen seiner Zeitgenossen auch. Und sein Rassismus ändert absolut gar nichts daran, dass seine moralphilosophischen Einlassungen bis heute Bestand und Geltung haben. Weil sie – ganz im Gegensatz zu vielen seiner alltäglichen Äußerungen – universell les- und deutbar sind; und damit alle Menschen inkludieren. Auch, wenn er das vielleicht gar nicht so wollte. Oder aber, er konnte tatsächlich so weit abstrahieren, dass er sich zumindest gelegentlich eine andere Welt vorzustellen vermochte als die, in welcher er nun mal lebte. Klingt komisch, ist aber durchaus denkbar. Denn klug war er allemal.

Ich will hier beileibe nicht jenen Menschen nach dem Munde reden, die eine Umkehr hin zur guten alten Zeit der richtigen deutschen Sprache fordern; denn das ist unverhohlen rechtsnational-identitätspolitischer Nazi-Quatsch. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass man sich des „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ erinnerte, den Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns formulierte. Indem wir jedoch einfach alles, was auch nur des leisesten Hauches potentiell kontroverser Bedeutung verdächtig sein könnte, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, berauben wir uns einerseits notwendiger Referenzpunkte für das Verständnis eben jener Geschichte; was in der Verunmöglichung des Lernens aus der Geschichte enden könnte. Und andererseits verhindern wir eben jene Kontroversen, die einen echten öffentlichen Diskurs überhaupt erst konstituieren. Ich will kein influenzialisiertes, verashtaggtes Abziehbild einer kritischen Öffentlichkeit. Denn eine wehrhafte Demokratie lebt von dieser kritischen Öffentlichkeit, die gerade mal von der einen, mal von der anderen Seite diskreditiert wird.

Ich will streiten können, notfalls dabei auch mit der groben Verbalkelle austeilen und scheue mich nicht, dann auch einzustecken. Jedoch – und das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont – an der Sache und an den Taten der jeweils Streitenden orientiert. Nicht an irgendwelchen prominenten physischen oder sozialen Merkmalen. Kriegen wir das vielleicht irgendwann wieder hin? Ich versuche gerne das Meine. Und wünschte mir, mal Kommentare zu bekommen, die tatsächlich eine Diskussion entstehen lassen. Aber vermutlich haben es bis hierhin gar nicht alle geschafft. Also verhallt auch dieser Aufruf im Zeitalter der aberzogenen Aufmerksamkeit vermutlich ungehört. Drauf geschissen. Ich kriege euch schon noch dazu, mit mir zu diskutieren. Schönen Abend.

Auch als Podcast…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert