Ich cancel meine Kultur… NICHT!

Die Sommersonne sticht. Offensichtlich nicht nur meinen Kopf. Anders lassen sich cerebral-dehydrations-geschwängerte Kommentarspalten über das Für und Wieder dreckiger Witze – wahlweise VON oder ÜBER alte, weiße, cis-gender-Männer – kaum erklären. Ich las heute morgen einen Kommentar auf Spiegel-Online. Der Artikel ist dieses mittlerdings übliche „die junge Generation (Z) macht alles besser“-Geschwurbel, dem ich kaum mehr Beachtung schenke, weil es, gemäß meiner persönlichen Evidenz, viel zu oft einfach nicht stimmt. Die Autorin sitzt jedoch, wie so viele andere auch, dem üblichen Eigen-/Fremdwahrnehmungs-Bias auf.

Scheidewege muss man auch erkennen können…

Bemerkenswert indes ist mal wieder die Kommentarspalte, in der sich die typischen Apologeten des JA und NEIN die televerbale Klinke der Tür zur Sparrings-Arena in die Hand geben; „Ja, ich möchte sie miss-, und mich verstanden wissen!“ könnte die die dortige Überschrift lauten. Anlass für dieses semi-amüsante Online-Tiefdruckgebiet war ein Interview, welches der mittlerweile dank seines möchtegern-generösen Altherren-Duktus nicht mehr ertragbare Thomas Gottschalk der Süddeutschen gegeben hatte [Achtung Paywall]. Die aus dem Gespräch zitierende Überschrift „Die junge Generation heute ist so weichgekocht und so ängstlich“ war ja aber auch offenkundig mit voller Absicht auf Krawall gebürstet. Und die angeblich so woke Kommentatorine von Spiegel-Online ist voll drauf angesprungen. „Taste your own medicine“, kann man da nur sagen…

Ich will ehrlich sein: ich kann die Begriffe „Cancel Culture“ und „Political Correctness“ nicht mehr hören, weil es einerseits EIGENTLICH für jeden Menschen selbstverständlich sein sollte, zu wissen, dass Sprache ein Machtinstrument ist, welches mit Bedacht, Respekt und Empathie gebraucht werden sollte, und zwar nicht nur, wenn besagter Mensch es mit marginalisierten, stigmatisierten, benachteiligten Gruppen zu tun hat, SONDERN EINFACH IMMER!. Andererseits lässt sich dieses Wissen, wenn man seinen kleinen Dogmatikus auspacken möchte, trefflich instrumentalisieren, um den eben beschriebenen Missbrauch per Sprachgewalt durch die Hintertür zu betreiben. Derlei machen gerade die Scheiß-Nazi-Spacken, denen man damit eigentlich den Wind aus den Segel nehmen will, und die man übrigens jederzeit marginalisieren, stigmatisieren und benachteiligen SOLLTE mit Vorliebe – paradox, oder?

Es ist vollkommen gleichgültig, ob man nun an eine mythologische Schöpfungsgeschichte glaubt, die Evolutionstheorie, oder Osch’omam’pamtey, man wird immer irgendwann zu der Erkenntnis gelangen, dass Menschen ihre jeweils ganz eigenen Vorstellungen davon haben, wie ihre Welt beschaffen sein sollte. Dass nur wenige dieser vielen Menschen überhaupt ihr Schicksal beherrschen können, weil’s dazu halt Ressourcen braucht, die überall ganz und gar ungleich verteilt sind, wird durch das Publizieren solcher stilistischen Scheingefechte, die nur sehr begrenzten semantischen Gehalt haben, hervorragend verschleiert. Womit sich die junge Dame, die den oben erwähnten Artikel geschrieben hatte somit zum nützlichen Idioten jener gemacht hat, deren größtes Interesse divide et impera war, ist und bleibt – jene, die ungleich mehr besitzen, als wir machtlose Plebejer.

Wie heißt ein Facharzt für Tintenfische?

Oktopäde...

Wenn es überhaupt eine Culture geben könnte, die man dringend canceln sollte, dann den ungezügelten Kapitalismus! Und jetzt habe ich bisher doch noch gar nichts über die miesen Alt-Herren-Witze von Gottschalk und Konsorten gesagt; schlicht, weil’s darüber nicht viel zu sagen gibt. Es gab und gibt schon immer gute und schlechte Witze; und das wird auch immer so bleiben. Wann ein Witz schlecht ist, entscheidet der Rezipient. Der Unterschied von heute zu damals ist, dass jene Opfer-Gruppen früherer Zeiten heute zurückschlagen können. Ob deren Mitglieder das tun wollen oder gar sollen, entscheiden diese selbst. Ja, man darf heute gerne etwas länger darüber nachdenken, ob gewisse Äußerungen denn angemessen sind, oder nicht! Und bei einem NOT bitte auch die Klappe halten! Daraus gleich Cancel Culture zu konstruieren, klingt für mich übertrieben. Das würde ja bedeuten, dass diese ganzen alten Rassistenwitze jemals Teil unserer Kultur gewesen sind. Igitt… was für eine Vorstellung, oder? ODER? Mir ist diese ganze Diskussion viel zu aufgeregt. Ein bisschen reflektierter Pragmatismus und verbale Abrüstung würden allen Seiten gut tun. UND darüber spreche ich jetzt nicht weiter, sonst kriege ICH wieder Blutdruck. Also – immer schön locker bleiben, stur lächeln und winken… und dem Gegenüber, wenn’s am wenigsten damit rechnet, dann schick eine Retourkutsche reinwürgen. Kann man üben. Bis die Tage.

Auch als Podcast…

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