Kann Ahmed dichten?

Bevor jetzt gleich irgend so ein Triple-B daher kommt – so ein besorgter Bildungsbürger – sei gesagt, dass ich einen X-beliebigen Namen hätte verwenden können, der irgendwie nach Migrant klingt und irgendjemand fühlte sich in unserer vollkommen kollektiv dauerbetroffenen Republik schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Schlips getreten. „Kann Mosche Goldstein dichten?“. Ehrlich – keine Ahnung, denn ich kenne zugegebener maßen keinen Mosche Goldstein und wenn ich einen kennen lernen würde, stünde „Kannst du eigentlich dichten?“ auf meiner Liste von Konversationsbröckchen eher recht weit unten; außer vielleicht ich wüsste, das er ein renommierter Autor ist, oder so…

Ich laß vor einer Weile in einem Stern-Artikel, genauer gesagt einem Interview mit Jörg Asmussen, dem deutschen Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, dass die Integration der Migranten eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben sei. Kluger Kerl der Herr Asmussen, mit ökonomischem Weitblick und sicherlich kein intellektuelles Fliegengewicht. Aber es stellt sich die Frage, was er unter Integration versteht, denn genau DAS wird durch diesen quasi im Nebensatz geäußerten Allgemeinblatz nicht wirklich erklärt. Kann ja auch kein Ökonom, denn dazu müsste er Soziologe oder Pädagoge sein und sicherlich interessiert ihn nur eine erfolgreichere Einbringung von mehr Migranten in die Ökonomischen Kreisläufe unseres Landes. „Ja ist das denn so falsch?“ fragt sich nun der Zuhörer.

JEIN, sage ich. Ja natürlich, weil bessere ökonomische Integration Migranten mit mehr pekuniären Ressourcen ausstatten kann, man sich so einen anständigen Lebensunterhalt leisten und auch gleich noch die Binnenwirtschaft anzukurbeln im Stande ist. Nein sicher nicht, weil der Weg zu einer erfolgreichen ökonomischen Integration nur über eine erfolgreiche soziale Integration ablaufen kann und eine rein ökonomische Betrachtungsweise darüber hinaus Machtfragen in gefährlicher Weise ausklammert.

Was hat denn das jetzt bislang bitte mit Ahmeds Dichtkünsten zu tun? Und nein, es geht dabei nicht um Sanitärsilikon. Sagen wir mal so: es gibt da einige Sarrazineske Thesen, welche Migranten – gemeint sind bei ihm aber vor allem Türken bzw. andere Muslime in Deutschland – einen geringeren IQ unterstellen. Ulkig an der Sache ist nur, dass selbst wenn einige von ihm zitierte Statistiken einen gewissen Gehalt haben mögen, er das Faktum übersieht, dass die systematische Stigmatisierung von Migranten, welche in unserer Gesellschaft jeden Tag beobachtet werden kann, wenn man sich nur mal eine Stunde in ein Straßencafe in der Fußgängerzone setzt der GRUND für eventuell tatsächlich messbare intellektuelle Fehlleistungen von Migrantenkindern ist und nicht etwa die genetische Minderaussatttung, welche dieser bebrillte Sozialtölpel ihnen unterstellt. Vereinfacht gesagt: wenn ich jemandem lange und laut genug unterstelle, dass er dümmer sei als ich, wird er irgendwann anfangen, selbst daran zu glauben. Für eine deutlich elaboriertere und wissenschaftlich fundiertere Erklärung hierzu empfehle ich, das Werk des renommierten Soziologen Norbert Elias zu studieren. Tatsächlich lässt sich der negative Einfluss von systematischer Stigmatisierung auf kognitive Fähigkeiten statistisch nachweisen. Hierzu verweise ich auf Studien über die Abkömmlinge der Burakumin – das war die unterste gesellschaftliche Kaste im feudalen Japan – die bis zum heutigen Tage an der Unterdrückung leiden.

Ich bescheide mich einstweilen mit einem historischen Exkurs zu den Gründen, warum in unserem Land die Realität der Gesellschaft in der Politischen Landschaft nicht abgebildet wird. Man geht ja in regelmäßigen Abständen Wählen. Zumindest einige von uns. Es gibt Parteien, die haben Programme und in denen findet man sich (hoffentlich) zumindest in Teilen abgebildet. Nun ließt aber so gut wie kein Mensch Parteiprogramme. Die meisten, welche zu kennen ich die Ehre und das Vergnügen habe, urteilen nach Zeitungs- und Fernsehnachrichtenlage. Ich werde jetzt nicht die Mechanismen aufzeigen, welche folgende Aussage bedingen, aber es sei soviel gesagt: für eine echte politische Willensbildung reichen die BILD und die RTL2-News bei weitem nicht aus.

Aber bleiben wir mal bei: man geht wählen. Dann, so ab 18:00 Abends kommen im Fernsehen die ersten Hochrechnungen. Die heißen so, weil da noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt sind, sich aber bereits ein statistisch erfassbarer Trend abzeichnet. Und da stehen dann ganz links in der Grafik entweder die Normalroten oder die Schwarzen, nicht ganz so dicht gefolgt vom Rudel den Grünen, Dunkelroten und Gelben…und heutzutage bis vor kurzem auch noch den Orangefarbigen. Und ganz rechts stehen sonstige und ganz selten, aber leider immer noch beobachtbar – und im politischen Spektrum auch auf der richtigen Seite abgebildet – die Braunen, welche sich als Graue tarnen und bedauerlicherweise gelegentlich den Sprung über diese ominöse Schwarze Linie im Sockelbereich der farbigen Klötzchen schaffen. Die so genannte 5%-Hürde, die eine Partei schaffen muss, um in einem Parlament Sitze erlangen zu können. Einzige Ausnahme hierzu ist der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der allochthonen dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein.

Aber warum gibt es diese 5%-Hürde. Warum kann nicht jeder Hinz und Kunz einfach seinen Delegierten ins Parlament schicken. Hierzu schwenken wir den Blick auf die Weimarer Republik. Das war jenes ominöse erste demokratische Staatswesen auf deutschem Boden, welches im Zuge des verloren gegangenen ersten Weltkrieges und darob untergegangenen wilhelminischen Kaiserreiches entstanden war. Da gab es auch Wahlen. Aber keine 5%-Hürde. Was dazu führte, dass eine deutlich größere Anzahl an Parteien im Reichstag vertreten war, als man das heute kennt. Manche von ihnen nur mit drei oder vier Abgeordneten.

Das klingt doch auf den ersten Blick fair, führte allerdings zu großen Problemen, wenn es um die Meinungsfindung, also den von einer Mehrheit getragenen politischen Kompromiss als Ziel parlamentarischer Arbeit ging. So traten Sachfragen hinter Parteiinteressen durchaus häufiger in den Hintergrund und das lähmte das zentrale Verfassungsorgan des jungen Staatswesens erheblich. So sehr, dass in zentralen Momenten der Reichstag beinahe handlungsunfähig wirkte, was nicht gerade zu mehr Vertrauen in die ja noch sehr junge demokratische Politik in Deutschland führte. Wo diese tragische Konstellation hineinmündete, muss ich hoffentlich nicht noch mal ausführlich erklären. Da genügt ein einziger Satz: Schlussendlich haben sie die falsche Partei gewählt und ein sehr engstirniger, rassistischer und militaristischer kleiner Mann aus Österreich landete auf dem Stuhl des Reichskanzlers. 15 dunkle Jahre später wollte man es unter dem Eindruck des Erlebten besser machen.

Die Gründerväter und Mütter unserer Verfassung wollten um jeden Preis eine solche Zersplitterung der demokratischen Kräfte vermeiden, weil sie aus deren Sicht abermals zu einem Handlungsunfähigen Parlament hätte führen können und das vergangene Jahrzehnt von so gut wie Niemandem als wiederholenswert erachtet wurde. Aus dieser hehren Idee wurde im Laufe der Zeit allerdings ein Wahlrechtsungetüm, dass eigentlich nur noch Spezialisten durchschauen und welches manchmal Ergebnisse in der Sitzverteilung erzeugt, die den eigentlichen Proporz nicht korrekt abbilden.

Dieser Umstand ist eigentlich nur ein Symptom, doch es mag als bezeichnend gelten, denn tatsächlich ist das, was auf der politischen Bühne geschieht in seiner Komplexität kaum durchschaubar. Vielleicht ist es gerade dieses mediale Gewitter, welches die zunehmende Flut an Nachrichtenkanälen jeden Tag über uns ausgießt und das uns eigentlich helfen soll, die Lage besser zu beurteilen, welches dazu führt, dass wir sie nicht mehr durchschauen. Viele berichten, manche kommentieren, manche glossieren, kolumnieren, bloggen, podcasten, vodcasten… und einer hat einen neuen Blickwinkel – der kaum zusätzliche Erkenntnisse bringt, einer neue Nachrichten – die das Bild nicht komplettieren, sondern eher noch diffuser macht, wieder andere finden das alles viel zu Mainstream … laberrabarberschwallundgeschwätz!

Wir sind übersättigt, wir verstehen nicht, warum die Sitzverteilung so und nicht etwa anders aussieht, kein Mensch weiß wie Überhangmandate zu Stande kommen – jene, die es doch wissen, mögen mir diese Verallgemeinerung verzeihen – Wahlprogramme sind viel zu umfangreich und zu wenig auf den Punkt und ehemals trennscharfe Grenzen zwischen den so genannten Volksparteien verwischen immer mehr in einem Einheits-Beliebigkeits-IchrededemWahlvolknachdemMunde-Brei, der lediglich dazu dient, jeden davon zu überzeugen, das alles geht – aber am Besten nur mit …setzen hier ein beliebiges Kürzel ein.

Das führt soweit, dass der Stupor des sich immer verwirrter fühlenden so genannten Bürgers in Katatonie kulminiert. Lässt sich an den Wahlbeteiligungen ablesen, oder an dem Umstand, dass irgendwelche Orangefarbigen ohne Plan in Länderparlamente gewählt wurden, oder vielleicht auch daran, dass Probleme, welche uns alle betreffen schlicht so lange tot diskutiert werden, bis es keiner mehr hören kann und man die Lösung stillschweigend in die nächste Legislaturperiode verschieben kann, die stets mit einem Tänzchen um Macht, Zuwendungen und Zuständigkeiten beginnt und mit einer gewaltigen Schlammschlacht endet, ohne dass einer der beteiligten Kombatanten tatsächlich etwas vorzuweisen hätte, dass im wahren Leben auch nur der Erwähnung wert wäre.

Zugegeben ein etwas polemischer Blick, aber wenigstens tue ich nicht so wirklichkeitsfremd, zu behaupten, dass wir ja mit der Integration gut voran gekommen wären. Wir integrieren weder unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund – oh wie ich dieses politisch korrekte Gelaber liebe – noch unseren eigenen White Trash, wie man’s in Amiland so treffend nennt. JA, es gibt in Deutschland eine Unterschicht, es gibt Ghettos, es gibt ganze Bevölkerungsschichten, die soweit von Bildung und sozialer Teilhabe entfernt sind, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob man etwas weiter oben wirklich blind ist, oder nur ziemlich gut im Ignorieren.

Die Frage, ob Ahmed dichten kann, gewinnt in diesem Moment allerdings ihren eigentlichen Sinngehalt. Wenn ich den Umstand, ein einigermaßen sinniges Verslein hervorbringen zu können mit einem Mindestmaß an Bildung assoziiere, was für eine fundierte Betrachtung wohl zu kurz greift, als Bild aber hinreichend wirkt, wird klar, dass es schön wäre, wenn Ahmed dichten könnte. Ich sprach vorhin davon, dass man in gewissen Kreisen Integration als ein rein ökonomisches Problem begreift. Doch für mich bedeutet Integration, den Menschen – egal von wo sie kommen – welche von unserem System allzu früh als untauglich aussortiert worden sind eine Chance zu geben, sich selbst einen würdigen Platz in unserer Gesellschaft erarbeiten zu können. Jeder Mensch hat das verdient und wir brauchen diese Menschen eben so sehr, wie sie die Bildung und Achtung brauchen, um wirklich zu einem Teil unserer Gesellschaft werden zu können. Wenn wir das denn wirklich wollen und da habe ich bei manchem so genannten Entscheider so meine Zweifel.

Denken sie wohl.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert