Ich wurde neulich auf einen Beitrag auf „Wired“ aufmerksam gemacht, der sich darum dreht, dass das Beenden von Textnachrichten mit einem Punkt unaufrichtig sei. Das kann man als selbsternannter Vielschreiber, der selbst stets dem Versuch fröhnt, korrekte Interpunktion zu benutzen natürlich nicht so stehen lassen. Nun ist „Wired“ zum einen ein Publikationsmedium, dass sich vor allem als Organ für Geeks und Nerds versteht und zum anderen ist bei weitem nicht Alles, was die selbsternannten Digital Natives dort von sich geben auch tatsächlich in der realen Welt ernst zu nehmen. Das liegt an der – durch einen teilweise fast blind wirkenden Technologieglauben verengten – auf die Wichtigkeit des Digitalen in unserem Leben ausgerichtete Sichtweise.
Allerdings beruft sich der Artikel auf eine einzelne psychologische Studie zweier kleinerer Fakultäten, die sich, dem Abstract nach auf Befragungen von Studenten stützt. Da ich ehrlich gesagt keine Lust habe, Elsevier für den Artikel einen Zwanni in den Rachen zu werfen, sei hier zum Thema Folgendes gesagt: ich muss mich hinsichtlich Anzahl und Herkunft der Befragten auf den Artikel in „Wired“ verlassen; aber mit n=126 und somit deutlich kleiner 500 und einer nicht korrekt randomisierten Grundgesamtheit, wovon man bei einer Befragung an zwei amerikanischen Uni-Campi getrost ausgehen darf, kann man die Signifikanz der getroffenen Aussagen ebenso getrost in die Tonne treten, egal was für einen Korellationskoeffizienten diese Dösbattel berechnet haben wollen!
Just my five cents…
Interpunktion durch Unterbrechung des Satzes beim Senden von Textnachrichten? Punkte am Ende von Nachrichten wirken gestelzt, weil der Punkt keine Information außer einem Hinweis auf Arroganz transportiert? Habt ihr von eurer eigenen Wichtigkeit berauschten Möchtegernjournalisten bei „Wired“ eigentlich den Knall gehört? Oder kauft ihr euch Romane, in denen es keine Satzzeichen gibt? Schreibt ihr vielleicht selbst ohne Satzzeichen?
Auch JEDE schriftlich niedergelegte Äußerung hat ebenso einen sozialen wie informativen Charakter. Das erste und zweite Axiom Watzlawicks verlieren ihre Gültigkeit auch beim geschriebenen Wort nicht! Weil jedoch verschiedene Subtextinformationen, wie etwa Sprachrhythmik, Tonfall, Gestus, Mimik, etc. beim Textvermittelten Kommunizieren fehlen, ist eine korrekte Strukturierung des Textes notwendig, um die Intentionen des Autors halbwegs verständlich zum Rezipienten zu befördern, auch wenn beim Empfänger Watzlawick ebenfalls gilt: denn der Empfänger macht die Nachricht. Diese Übermittlung funktioniert aber nur, wenn ich Syntax und Interpunktion sinnvoll einsetze, um die pragmatische Ebene meines Kommunikationsversuches zu verdeutlichen. Emoticons helfen hierbei oft nur sehr bedingt…
Also ihr Spacken bei „Wired“: Wenn tatsächlich irgendwelche amerikanischen Studenten ein einsames Satzzeichen als Hinweis auf die Arroganz des Absenders verstehen, ist das deren Problem, weil das Design der Studie keine Verallgemeinerungsfähigkeit beinhaltet. Man könnte es auch wissenschaftlich-handwerklich schlecht gemacht nennen; aber um sowas erkennen zu können, müsste man was von Sozialwissenschaften verstehen, nicht wahr? Wenn man aber eine, noch nicht durch den peer-review gelaufene, überdies schlecht designte Studie als Aufhänger benutzt, um nach einer weiteren Beschädigung unserer Sprache zu verlangen, ist das schlicht sinnentleert dumm!
So genannte Messenger als integraler Teil unserer modernen, sozialen Medien mögen den Nutzer zu einer verkürzten und zwangloseren Form des Kommunizierens anregen; das entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, auch dort wenigstens halbwegs die Regeln des Kommuizierens an sich zu achten. Wir lernen durch unsere Peers und wenn wir auch in ein paar Jahrzehnten noch halbwegs sinnvolle schriftliche Kommunikation erleben wollen, müssen wir auch selbsternannte Digital Natives daran erinnern, dass korrekte Interpunktion niemanden tötet, niemanden herabsetzt und gegenseitiges Verstehen erleichtert. Sprache als Ausdruck unseres Intellekts ist nämlich so ziemlich das Einzige, was uns vom Tier nachhaltig unterscheidet. Und da so viele junge Menschen so viel Zeit an ihren Smartphones, etc. zubringen, ist dort einer der Orte, an denen wir ihnen sinnvolles, zielgerichtetes, respektvolles Kommunizieren beibringen können und müssen. Und dazu gehört auch der korrekte Gebrauch der Grammatik; incl. Interpunktion!
Ich bin ein Digital Immigrant und ich glaube durchaus an die hilfreichen Seiten moderner Technologien; das ändert aber nichts daran, dass wir in Jahrtausenden mühsam erarbeitet Konventionen nicht nur deshalb unhinterfragt über Bord werfen sollten, weil es gerade hip ist. Vielleicht lernt auch ihr Superknaller bei „Wired“ diesbezüglich mal noch ein bisschen was dazu, das wäre echt wohltuend…