Und individuell! Oder so ähnlich, oder vielleicht doch nicht? Auf jeden Fall bin ich…ähm…ja; ja also auf jeden Fall bin ich!
Vielleicht klingt dies wie das Gestammel eines Idioten und ich bin keinesfalls darüber erhaben, manchmal groben Unfug abzusondern, doch tatsächlich wirkt das zuvor geäußerte für mich mehr wie ein Symptom dafür, wie man sich als Mensch in einer entwickelten Gesellschaft Anfang des 21. Jahrhunderts so fühlt – nämlich desorientiert.
Ich könnte es mir jetzt verdammt einfach machen und sagen, dass liegt halt daran, dass die alten Werte immer mehr verfallen und zuallererst die kaum noch vorhandene Moral dazu führt, dass eben einfach mal alles geht. Und wenn alles geht, geht irgendwann nix mehr, weil keiner mehr weiß, wohin er wann gehen sollte, oder warum.
Doch ganz so simpel will ich dann doch nicht argumentieren, bin ich doch ein erklärter Feind des Biertischparolierens. Darüber hinaus ist an der Individualisierung bei weitem nicht Alles schlecht. In einem Punkt mag der Herr Ulrich Beck, seines Zeichens Soziologe allerdings Recht behalten haben – die Lebensrisiken für den Einzelnen haben tatsächlich deutlich zugenommen, doch das liegt mitnichten nur am Werteverfall, oder nur am „zügellosen Kasinokapitalismus“, oder nur an der Rasanz der technischen Entwicklung, oder nur an der zunehmenden Komplexität unserer Kommunikations- und Informationsstrukturen, oder nur an schwindender Transparenz politischer Prozesse, oder nur… Ach ich könnte hier wohl noch ein wenig fortfahren, aber ein sture Aufzählung wird uns an diesem Punkt wohl kaum weiterbringen, also versuche ich mich an einer kurzen Erklärung, auch wenn wenige Worte nicht meine Stärke sind.
Mit dem Begriff Individualisierung meint man, dass es „früher“ eine „Normbiographie“ gegeben hat; im Sinne von geboren werden, aufwachsen, zur Schule gehen, einen Beruf lernen, arbeiten, in Rente gehen, sterben und auf dem Weg noch geschwind eine Familie gründen, um neues Blut in den Kreislauf zu bringen. So oder ähnlich. So kennen wir es von unseren Eltern. Vielleicht kennen die es noch von ihren Eltern. Aber dann hört es mit diesem „früher“ auch schon auf, denn diese „Normbiographie“ bezieht sich auf jene, im geschichtlichen Kontext äußerst kurze, Periode der Prosperität seit dem zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der aktuellen Weltfinanzkrise. Und man konnte sie höchstens in den entwickelten Nationen der ersten Welt finden.
Spult man das Wahrnehmungstape aber ein bisschen weiter zurück, dann findet sich dort recht schnell eine andere Normbiographie, nämlich die nach Ständen differenzierten Lebensmodelle vordemokratischer Feudalgesellschaften, in denen man in seine Stellung im Leben hineingeboren wurde und dort – mit ganz wenigen Ausnahmen – bis zu seinem Tode verblieb. Bauer blieb Bauer, Adel blieb Adel. Möchte man nun tatsächlich nach dem Beginn des Zeitalters der Individualisierung fragen, dann würde ich persönlich den Beginn desselben eher an der Schwelle von der vordemokratisch-agrarischen zur entwickelten Industriegesellschaft verorten. Nicht mit einem Schlag, aber doch innerhalb weniger Jahrzehnte pluralisierten sich die Gesellschaftsstrukturen so grundlegend, wie es die Jahrtausende zuvor nicht vermocht hatten.
Nun hinkt die soziale Entwicklung der technischen seit jeher hinterher, weil wir Menschen uns offensichtlich gerne an beständig wiederholbaren Erfahrungen und tradierten Erklärungs- und Deutungsmustern orientieren. Eine hergebrachte Hierarchie oder Struktur zu modifizieren, oder gar komplett ad acta zu legen fällt uns verdammt schwer. Den Satz „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ kann man als Allgemeinblatz abtun oder den tieferen Sinn zu verstehen versuchen. Ich verstehe ihn so, dass es den Menschen schwer fiel, eine neue Rolle zu finden, nachdem die alte gerade darin begriffen war, sich in Wohlgefallen aufzulösen. Das führte zu sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen, denn manche reagierten schneller auf die sich wandelnden und wachsenden Strukturen eines neuen, ungelenken Gesellschaftstypus. Sie wurden zu Nutznießern, alle anderen zur Subsistenzmasse, auf deren Schultern sich eine neue Hierarchie gen Himmel stemmte. Heute nennen wir das Kapitalismus und finden es gut…oder?
Formal betrachtet stehen wir heute vor genau den gleichen Problemen, nur lautet das Schlag(un)wort des 21. Jahrhunderts Globalisierung. Als wäre eine jede entwickelte Industriegesellschaft für sich nicht schon ein überaus kompliziertes Gebilde mit einer nicht übersehbaren Zahl von möglichen Stellgrößen, kommen jetzt lauter solche Pluralitätskolosse zusammen und bilden EINE Weltwirtschaft. Das dies genauso wenig ohne Opfer, Verluste und Verlierer einhergehen kann, wie einstmals das Zeitalter der Industrialisierung, muss jedem klar sein, der nicht vollkommen blind für Zusammenhänge durchs Leben wandert.
Individualisierung meint – sehr vereinfachend zusammengefasst – die Notwendigkeit, sich in einer Welt, die eben durch ihre wachsende soziale, wirtschaftliche und politische Pluralität weniger Orientierung bietet seinen eigenen Weg suchen zu müssen. Das, was vor einer Generation noch festgeschrieben zu stehen geglaubt wurde, löst sich auf in einem Meer aus Möglichkeiten, doch die Kriterien, auf Grund derer man wählen könnte sind im gleichen Zug knapper geworden.
Ist dies ein Schreckensszenario? Nicht unbedingt, denn auf der anderen Seite wird dies neue Zeitalter immer mehr Menschen in die Situation bringen, über ihre eigenen Belange auch selbst entscheiden zu können. Der Preis, den wir für etwas Neues zahlen müssen ist fast immer, uns des Alten entledigen zu müssen. Das Problem in diesem Fall besteht nicht in dem Umstand entscheiden zu dürfen, sondern entscheiden zu müssen. Die Welt dreht sich weiter und Pandoras Büchse lässt sich nicht mehr schließen. Da die Welt sich verkompliziert hat, bleibt mir keine Wahl, als selbst kompliziert zu sein, um dem Druck der Aufgabe gerecht werden zu können, mein Leben selbst zu bestimmen. Nur wer sich informiert und der Möglichkeiten selbst bemächtigt, wird den – immer nur individuell – richtigen Weg finden.
Und was hat die Individualisierung nun mit dem Begriff Postmodern zu tun?
Für mich ganz einfach Folgendes: Wenn die Moderne, vom Ende der vordemokratischen Gesellschaft bis heute EIN – langes – Zeitalter der Individualisierung war und wir tatsächlich am Ende der Moderne stehen sollten, dann würde Post-Modern einfach nur Prä-Wirwissensnicht bedeuten.
Vieles, was man über die von mir jonglierten Begriffe in der Literatur findet, ist aus meiner Sicht – und ich halte mich ehrlich für einen einigermaßen gelehrsamen Menschen – für’s Leben an sich belanglose Hirnwichserei. Wenn Philosophie Antworten auf Fragen von Belang geben können soll, wäre es manchmal sinnvoll, wenn man wenigstens ein paar so formulieren würde, dass nicht nur Fachleute in der Lage sind, zu verstehen, wovon die Rede ist.
Wie wäre es mit folgender Frage:
Was IST unsere Moderne und ist sie am Ende?
Ich will bald versuchen, meine Antwort darauf zu geben.