„Wir mixen und tricksen, wir collagieren, kopieren, interpretieren und bastardisieren uns unseren eigenen Blick auf unsere Welt zusammen. Wir schei#en auf den Wertekanon vorangegangener Generationen und lassen uns aus dem Scherbenhaufen, den die Zerschlagung des Alten hinterlässt etwas Neues, Anderes, Geileres entstehen…“
Keine Ahnung, ob das irgendjemand tatsächlich so oder ähnlich expliziert hat, aber es könnte der Schlachtruf so manches kontemporären Kulturschaffenden sein, dem Adornosche Kritik an der Kulturindustrie und der von leidlich verstaubten – überdies allzu oft selbsternannten – Bildungsbürgerelitisten angeprangerte Werteverfall herzlich gleichgültig sind. Ich schrieb vor einer Weile mal über Recyclingkreativität und tatsächlich ist davon bei halbwegs genauer Betrachtung, insbesondere des Internets Einiges zu sehen. Bei weitem nicht alles davon ist unorigenell, minderwertig, uninspiriert oder schlicht geklaut, auch wenn bestimmte bildliche und sprachliche Symbole mittlerweile ein wenig an Übergebrauch leiden. Allerdings muss die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser „Kreativitätswoge“ gestellt werden.
Wir Menschen, sind – bewusst oder unbewusst – mehr oder weniger immer auf der Suche nach ein bisschen Sinn in unserem Leben; und in der Tat ist der Akt des Kreativseins, selbst wenn er nur das Remixen und Neuvercoden bereits gedachten und erschaffenen Materials beinhaltet, ein solcher Sinnhaftigkeitsgenerator. Etwas zu erschaffen, lässt uns, zumindest gedacht, an dem erhabenen Gefühl teilhaben, welches wahrhaft kreative Köpfe – wie z.B. unsere Devotionalbüsten der klassischen Literatur, vulgo Goethe, Schiller, Heine, et. al. – bei ihren Schaffensakten verspürt haben müssen. Zumindest kann man sich dann beim Zusammenkleistern einer Photoshopcollage einreden, das ein bisschen schöpferischer Genius auch in einem selbst schlummert.
Da die technischen Werkzeuge der Kreativität heutzutage für schmales Geld – oder im Zweifelsfall auch für lau, wenn man über ein wenig kriminelle Energie verfügt – ubiquitär verfügbar sind, ist es ein Leichtes, sich der Illusion hinzugeben, man sei selbst Kunst- oder wenigstens Kulturschaffender. Technisches Know-How alleine macht allerdings noch keinen schöpferischen Akt. Selbst unser sprödes Urheberrecht kennt den Begriff der „Schöpfungshöhe“, der gewisse Ansprüche an die Novität und Originalität eines schützenswerten Produktes, gleich ob technischer oder künstlerischer Natur stellt. Vieles, was im Internet als Produkt kulturellen oder künstlerischen Schaffens zu finden ist, würde jedoch an dieser Hürde scheitern, müsste es sich denn an ihr messen lassen.
Man kann ja fast alles online stellen, wenn man sich die „richtige Stelle dazu auswählt. Auch übler Schund, miese Propaganda und lausige Pornographie finden im Netz der unbegrenzten Idiotie dankbare Abnehmer. Tatsächlich gibt es allerdings auch im Internet Räume, wo quasi selbstkonstituierende Peer-Review-Systeme die Aufgabe einer Basis-Kunstkritik übernehmen und allzu schlimme Verfehlungen aussortieren. Foren für die Darbietung eigener Ergüsse unterschiedlichster Natur gibt es zuhauf und manchmal schaffen diese es sogar, als Regulativ zu wirken. Dennoch wächst der virtuelle Müllberg unaufhaltsam.
Es könnte bei meinen Worten der Eindruck entstehen, dass ich es schlecht finde, wenn mehr Menschen durch das Web dazu ermächtigt und auch ermutigt werden, mit ihren „Werken“ an das Licht der Öffentlichkeit zu treten, doch tatsächlich liegt nichts der Wahrheit ferner. Es ist faszinierend und inspirierend und zugleich auch bedrückend und erschreckend, aber all das sind eben Facetten des Menschlichen, unserer Gesellschaften, so wie sie heute sind – unfertig, von Perfektion stellar entfernt, ungerecht, unförmig und voller Gewalt; aber eben auch voller Schönheit, Poesie, Schaffenskraft und Hoffnung. Diesen Widerspruch müssen wir aushalten können, auch wenn er bedeutet, dass das Netz nicht all unsere Hoffnungen einlösen kann, denn derzeit wird es einfach überschwemmt von einer Woge der Selbstdarstellung, vom Wunsch nach Entertainment, von Eitelkeiten, Biestigkeiten, Blendern, Betrügern, vor allem aber von Suchenden. Und sie suchen nicht etwa einfach nur nach Videos, Rezensionen, Hackinganleitungen und Kochrezepten, sondern oft genug irgendwie nach ihrem individuellen Rezept für ein besseres Leben, für ein bisschen Sinn und Anerkennung. OK, manche suchen auch „nur“ nach dem schnellen Geld…
Aber wenn wir beim Sinnsuchen bleiben; das hat der Mensch schon immer getan, heutzutage nutzt er nur ein neues Medium dazu, dass allerdings wie kein Anderes zuvor Selbstdarstellung begünstigt. Wir haben noch nicht ausgehandelt, wie man die neuen Medien wirklich sinnstiftend nutzen kann und während wir uns immer mehr darüber den Kopf zerbrechen, vergessen wir in der Zwischenzeit viel zu oft, dass das wahre Leben immer noch in der realen Welt stattfindet. Und wie sehr wir uns auch vernetzen, uns von Comments, Likes, Dislikes, Sharing und Clicking beeinflussen lassen, das alles ändert nichts daran, dass die tangible Realität, gleichwohl vielerorts von der „digitalen Revolution“ durchdrungen sich langsamer ändert, als das ganze Cyberbrimborium uns gerne Glauben machen möchte.
Diesen Umstand im Hinterkopf betrachte ich manche Auswüchse des Web als dass was sie für mich sind: nichts weiter als die zumeist höchst irrationalen Ausbrüche eines Kindes auf der Suche nach sich selbst. Denn auch das Netz hat seinen eigenen Zweck noch lange nicht gefunden. Bis es eventuell soweit ist, schaue ich, mal mit Wonne, mal mit Schaudern den mannigfaltigen Mashups zu und lasse mich inspirieren.