Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, versuche ich es mit etwas Chillen. Man unterstellt den etwas gewichtigeren Menschen – und zu dieser Subkategorie unserer Spezies zähle ich – ganz gerne, dass sie einfach zu faul seien. Und darum habe ich neulich mal nachgerechnet. Ich komme, wenn man meine 100%-Stelle und das Studium zusammennimmt im Mittel auf 55-60 Stunden/Woche. Was daran jetzt faul sein soll, weiß ich beim besten Willen nicht; zumal man ja auch noch etwas Zeit für die Pflege seiner sozialen Kontakte braucht.
Keine Frage: ich könnte etwas weniger essen und noch mehr laufen und vor allem Fahrrad fahren, als ich das im Moment tue. Der Ratschlag ist angekommen. Wobei ich tendenziell mit Ratschlägen immer ein Problem habe. Ich gebe manchmal selbst welche – wenn ich danach gefragt werde. Ansonsten ist es mir lieber, die Leute von selbst auf die richtigen Fragen kommen zu lassen. Denn die eventuell passenden Antworten sind in aller Regel so individuell, dass ICH sie höchstens für mich selbst geben kann. Und auch dann sind sie oft genug einfach falsch…
Doch zurück zum eingangs erwähnten Chillen. Faulheit hat für mich einen Selbstzweck. Nämlich, sich bewusst und absichtsvoll den Zwecken Anderer zu entziehen. Viel zu oft rennen wir heute den Idealen und Ideen nach, die eben Andere uns vorgeben. Wenn man auf der Suche nach etwas Sinn für sein Leben ist, stolpert man leider recht schnell über Menschoiden, die einem erzählen wollen, was gut für einen ist. One-Size-Fits-All ist und bleibt jedoch Bullshit! Ich werde es immer wieder sagen; solange, bis die Menschoiden um mich herum es endlich zu verstehen beginnen.
Wenn ich also von Chillen rede, bedeutet das mitnichten, dass ich den ganzen Tag in der Hängematte liege und nichts tue. Zum einen kann der Mensch genauso wenig nicht denken, wie er nicht kommunizieren kann (siehe Watzlawick); jeder, der schon mal von seinem Gedanken-Zirkus um 03:25 in der Früh mit Macht am Wieder-Einschlafen gehindert wurde, weiß genau, wovon ich gerade rede. Zum anderen sprach ich ja auch von Sinn. Der kann sich zwar auch mal in einem verluderten Nachmittag der Prokrastination finden lassen. Häufiger jedoch tue ich dann etwas , einfach, weil ICH das tun will und es mir im Gegenzug gut tut. Schreiben zum Beispiel.
Allzu häufig finde ich mich dann aber dabei wieder, etwas zu erledigen, dass auch mit meiner Arbeit (also dem Vorbereiten, Nachbereiten, Planen, Unterrichten) oder meinem Studium zu tun hat. Ich hielt mich bislang nie für einen Workaholic – und dennoch bereiten mir solche Tätigkeiten häufig Freude. Oder ich erledige diese jetzt, damit ich später entspannter prokrastinieren kann. Na ja, es könnte schlimmer kommen… Nun ist es so, dass der Corona-Lockdown mich etwas mehr auf mich selbst und mein kleines Reich (also mein echtes Home-Office) zurückgeworfen hat, als dies üblicherweise der Fall ist. Ich habe hier viel Zeit zugebracht und dabei etwas herausgefunden, dass mir eine Zeit lang gar nicht bewusst war: ich könnte das noch viel länger! Und mein Arbeitgeber müsste keine Angst haben, dass die Arbeit nicht erledigt wird. Denn irgendwie gehen meine ganzen kreativen Tätigkeiten Hand in Hand. Denn man kann nicht nur nicht denken und nicht kommunizieren – ich kann auch nicht wirklich gut faul auf meinem Allerwertesten sitzen. Sitzen schon – aber bitte nicht faul!
Ich habe mich mehr als einmal über diese Work-Life-Balance-Gurus lustig gemacht. Und ich stehe noch immer auf dem Standpunkt, dass die allermeisten von denen weg können, weil das, was sie betreiben keine Kunst ist, sondern allenfalls gesunden Menschenverstand und etwas Selbstreflexion braucht. Nun ist klar, dass manche Leute weder über das eine, noch das andere verfügen – die sind aber zumeist auch nicht in der Position, Home-Office arbeiten zu dürfen, bzw. zu müssen, weil das doch eher Jobs mit gewissen kognitiven Anforderungen vorbehalten ist. Klingt das arrogant? Vielleicht, aber das ist mir gerade egal. ICH komme gut klar und meine Balance hat sich wieder ausgepegelt.
Paradoxerweise sind jene, die viel mit Menschen arbeiten oft auch jene, die lernen müssen, dass Menschen insgesamt gar nicht so toll sind und es sich deswegen rausnehmen, abseits des Jobs bezüglich ihrer Sozialkontakte sehr eklektisch zu sein. Gilt auch für mich. Und manchmal wäre ich auch während der Arbeit gerne eklektisch. Weshalb ich sehen werde, ob ich das mit dem Home-Office beibehalten kann. Es tut mir und meiner Leistung nämlich gut. Und der Weg vom Prokrastinieren zur Arbeit und zurück ist auch kürzer. Spart Zeit, Nerven und Geld. In diesem Sinne wünsche ich euch ein schönes, stressfreies und von den Ansprüchen Anderer unberührtes Wochenende!