Jedem, der auch nur einen Funken Ahnung von den Geschehnissen dieser Zeit hat, konnte klar sein, dass der 20.04.20 nicht das Ende der Fahnenstange sein würde. Nun ist es amtlich, dass es noch mindestens bis zum 03.05 mit den Kontaktsperren weitergeht und das unsere Kinder vermutlich kein geregeltes Schuljahresende haben werden. Selbst eine Verkürzung oder Streichung der Sommerferien ist schon länger im Gespräch, als Herrn Schäubles Äußerungen, wie Dokumente des Baden-Württembergischen Kultus-Ministeriums beweisen, die ich in Augenschein nehmen konnte.
Einerseits kann ich die Angst unserer Produktivitäts- und Effizienz-fixierten Gesellschaft verstehen, dass den Kinder Zeit verloren geht. Aber ist das nicht für jeden einzelnen von uns eher so, dass wir Zeit gewinnen? Ich meine, seien wir doch mal ehrlich – ich schaue, wie regelmäßige Leser hier wissen, jeden Tag auf Zeit online und auf der Seite haben Sie ein Befindlichkeitsbarometer. Seit Beginn der Krise schlägt dieses Barometer an fast jedem Tag deutlich auf die Seite des Wohlbefindens aus. Dafür gibt es aus meiner Sicht mehrere mögliche Erklärungen:
- Die Menschen, denen es durch die indirekten Auswirkungen der Corona-Pandemie schlechter geht, lesen nicht die Zeit.
- Die Menschen, denen es durch die indirekten Auswirkungen der Corona-Pandemie schlechter geht, nehmen nicht an solchen Umfragen teil, weil es ihnen schlechter geht.
- Überproportional viele Menschen, denen es durch die indirekten Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht schlechter geht, lesen die Zeit – und nehmen überdies gerne an Umfragen teil.
- Die Umfrage ist Bullshit, weil die Menschen einfach lügen (fragen sie mal Dr. House).
- Manchen Menschen geht es durch die indirekten Auswirkungen der Corona-Pandemie sogar besser…
Egal für welche der letztgenannten – oder im Geiste noch hinzugefügten – Varianten man sich auch entscheiden mag; bedenkenswert ist der Umstand, dass es einem durch die indirekten Auswirkungen der Pandemie (vulgo Lockdown) anscheinend nicht zwingend schlechter gehen muss, auch wenn sich im Moment alle Welt geradezu fetischistisch auf DAS SCHLIMME fixiert, das uns in diesen Zeiten widerfährt. Man möge mich bitte nicht (bewusst) Missverstehen: Corona ist ein Arschloch, das Menschen umbringt, obwohl es per Definition noch nicht mal lebt. Und was wir in Deutschland dagegen tun, führt dazu, dass andere auf uns schauen und sich fragen, warum es bei uns viel besser läuft als andernorts. Wir sind nun mitnichten eine Insel der Glückseligen, aber zumindest spricht der Erfolg für die Richtigkeit der Maßnahmen.
Viele Menschen sind ja offenkundig nicht in der Lage, zwischen Prävention und Reaktion, oder besser zwischen Kausalität und Korrelation zu unterscheiden. Wenn jemand fragt, warum man nicht einfach aufhören kann, wenn doch immer noch so viele Intensivbetten nicht benötigt werden, so lässt sich nur entgegnen: weil wir nicht aufhören. Lassen wir jetzt in unserem Bemühen um das Abflachen der Verbreitungskurve nach, kriegen wir eine Quittung wie die Schweden: 9% Letalitätsrate! Und ihre Infektionskurven steigen jetzt exponentiell. Aber Wirtschaftswissenschaftler feiern Schweden immer noch: Dreckiges, Gewinn-fixiertes Idioten-Pack, dämliches!
Ein Punkt ist allerdings tatsächlich bedenkenswert: unser Schulsystem ist in keinster Weise darauf vorbereitet, auch in Zeiten einer solchen Krise irgendwie eine halbwegs sinnvolle Lösung zu offerieren. Wenn man von den kreativen, zielorientierten, jedoch immer durch individuelle Bemühungen der Lehrkräfte realisierten Insel-Lösungen absieht, sind organisatorische und technische Strukturen unseres Schulwesens Jahrzehnte hintendran. Eine Schande für eines der reichsten und fortschrittlichsten Länder der Erde!
Und es offenbart noch etwas: wir sind noch weit davon entfernt, eine echte öffentliche Diskussion über den Lockdown, seine Folgen und die möglichen Wege im und aus dem selben zu führen. Intransparente Entscheidungen wie zu Gutsherren-Zeiten, getroffen von Menschen, die nicht von der aktuellen Situation betroffen zu sein scheinen, werfen die Frage auf, wie demokratisch unser Staat tatsächlich ist. Und auch wenn das Föderalismus-Argument in normalen Zeiten durchaus schlägt: in der Corona-Krise brauchen wir eine, für alle gleichermaßen gültige Strategie.
Man kann dieses Jahr sowieso abschreiben. Wie wäre es, wenn wir anfangen, 2020 einfach als globales Sabbatjahr zu betrachten? Wenn wir aufhören würden, so tun zu wollen, als wenn man „Business as usual“ auf dem Rücken der Bevölkerung verordnen könnte? (denkt mal an keine Ferien, keinen Urlaub, kein soziales Leben, Gehaltseinbußen durch Kurzarbeit, Geschäftspleiten für Selbstständige, Überstunden für das Personal im Gesundheitswesen incl. dem laut ausgesprochenen Gedanken an ZWANGSVERPFLICHTUNGEN – geht’s noch ihr Polit-Spacken?) Lasst uns diese Krise doch einfach als Anregung betrachten, unsere Lebensweise zu überdenken. Nach dem Motto: „Nichts muss, alles kann!“ Ich bin bereit! Und ihr so?