Erwachsen bilden #12 – Auch noch erziehen…?

Oh weh! Immer wieder begegne ich der Frage, was der Praxisanleiter auf der Wache denn mit seinen Zöglingen anstellen soll? Was er tolerieren darf und was er korrigieren soll? Wie sich die aktuelle Tiefe und Komplexität des Ausbildungsstandes mit dem eigenen Tun und Lassen auf der Wache versöhnen lässt? Denn eines ist bei der NotSan-Ausbildung sicher: Theorie und Realität liegen oft um Welten auseinander. Und dabei rede ich noch nicht einmal von dem Disput um die Frage, welche (Be)Handlungs-Kompetenzen man Notsan zugestehen möchte, oder auch nicht. In dieses Dilemma werden die jungen Leute schon noch früh genug hineingezogen. Nein – mir geht es um die Frage, was den Azubis auf der Wache vorgelebt wird; und inwieweit das mit dem Unterricht zusammenpasst?

Den jungen Leuten wird am Anfang ihrer Ausbildung erklärt, was ein Spiralcurriculum ist und was das mit ihrer Ausbildung zu tun hat. Sodann beginnt man verschiedene Grundlagen aufzubauen und entlässt sie nach den ersten 8 – 10 Wochen Unterricht auf die Rettungswache, wo sie dann oft zum ersten Mal erleben, wie Kollegen den Job machen, welche die Erlaubnis zum Töten schon erworben haben. [OK, viele, die in die NotSan-Ausbildung kommen, haben vorher schon als RS gearbeitet. Aber eigentlich war das so nie gedacht. Und es bringt Probleme mit sich, über die ich an anderer Stelle reden möchte] Und das Drama nimmt seinen Lauf…

Beginnen wir einmal mit der Frage, ob ein 18-, 19-jähriger Mensch schon charakterlich reif ist? Nehmen wir Erik Erikson, lautet die Antwort: es hängt davon ab… Manche werden früher, andere später reif im herkömmlichen gesellschaftlichen Sinne. Was für uns als Ausbilder bedeutet, dass wir uns mitnichten auf die Position zurückziehen können, dass das Elternhaus es schon gerichtet haben wird und wir ihnen nur Skills eintrichtern müssen. Ein Ausbilder ist – in vielerlei Hinsicht – ein Role-Model. Eine Figur, an der sich Auszubildende orientieren. Auch jene, die schon eine gewisse Erfahrung oder ein höheres Lebensalter mitbringen. Denn auch für einen 23-jährigen RS gilt, dass er sozial erwartbares Verhalten produzieren wird, um mit den Wölfen heulen zu dürfen. Der Wunsch und Wille eines jeden Azubis ist nämlich zuvorderst, im Team ankommen zu dürfen.

Der Auszubildende muss also diese neue Rolle erst erlernen; ebenso, wie er die Rolle des verantwortlichen Teamführers im Laufe seiner Ausbildung erst erlernen muss. Manchen fällt das leichter, andere kämpfen während der gesamten Ausbildung damit. Die ständige Notwendigkeit, das Rollen-Gleichgewicht neu zu finden lässt in vielen Menschen eine Überforderungs-Situation entstehen. Das ist in der Berufsbildung umso wahrer, als hier auch noch Leistungsdruck hinzutritt. Beidem entgegen zu wirken, ist eine der wichtigsten und vornehmsten Aufgaben des Praxisanleiters und Fachschullehrers gleichermaßen.

Doch was erlebe ich in dieser Hinsicht? Manche Praxisanleiter scheinen echt der irrigen Meinung zu sein, dass die Persönlichkeitsbildung abgeschlossen zu sein hat, wenn das „Rohmaterial“ in ihre kundigen Hände gelegt wird; und sie bestenfalls noch die Grate schleifen müssen, um den Diamant zu Funkeln zu bringen. So ein Käse! Zuallererst muss ich als Ausbilder an meiner eigenen Einstellung arbeiten, denn sie wirkt auf meine Azubis; im Guten, wie im Schlechten! Und ich nehme mich selbst da nicht aus. Auch an mir erlebe ich dann und wann, dass ich ungeduldig reagiere, mir nicht genug Zeit nehme, die Sorgen meiner Azubis ignoriere, sie stehen lasse, etc. Nicht schön, aber wahr. Denn mir ist bewusst, dass sie mir nur folgen, wenn sie mir vertrauen. Und Vertrauen baut man nicht auf, indem man sie einfach machen lässt.

Natürlich müssen sie manche Fehler selber machen, um zu wissen, wie man diese in Zukunft vermeidet. Aber ich lasse sie doch nicht sehenden Auges in die Jauchegrube stürzen. Mache ich mit meinen Kindern ja auch nicht. Und selbst, wenn das Bild natürlich nicht ganz passt, denn weder sind sie noch Kinder, noch sind sie MEINE Kinder – die Verantwortung, die ich für sie übernehme, ist jener als Elternteil ziemlich ähnlich. Ein Umstand, dessen Kenntnis manche meiner Kollegen oft vermissen lassen. Ebenso, wie die gelegentlich nötige Distanz. „Tue, was ich sage, nicht was ich tue!“ ist in diesem Kontext ein bescheuertes Credo. Ausbilden Können hat was mit Leadership Ability zu tun. Und geführt wird von vorne!

Ich stehe an dem Punkt, da ich auf manche dieser Dinge bald etwas mehr Einfluss nehmen kann und ganz gewiss wird die Fortbildung von Praxisanleitern einer der Punkte auf meiner Agenda sein, dem ich besonderes Augenmerk widmen möchte. Denn ich kann – und das ist eine wichtige Message – vielen Praxisanleitern gar keinen Vorwurf machen, da sie es selbst nicht besser gelehrt bekommen haben! Hier liegt noch viel Arbeit vor der Community und ich will gerne meinen Beitrag dazu leisten, dem notwendigen Erziehungsaspekt der beruflichen Bildung die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die ihm gebührt. Bis die Tage.

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