Ja verdammich – jetzt sind wir in den „New Roaring Twenties“, da müssen wir doch auch was für den Stil tun, oder? Immerhin waren die 20er des 20. Jahrhunderts sowas wie die Initialzündung eines neuen Individualismus. Abseits solcher real-weltlicher Betrachtungen sind der jeweilige visuelle Stil und das Setting im Pen&Paper natürlich untrennbar miteinander verbunden. Ansonsten würde es für die Verlage wenig Sinn machen, eigene Art&Design-Abteilungen zu unterhalten. Wobei deren Arbeit im Zusammenspiel mit dem Fluff der Regelwerke natürlich für Bilder in unseren Köpfen sorgen soll. Die Gamedesigner möchten ihre Vorstellungen schließlich zum Spieler transportiert wissen.
Eine Welt voller rosa Knuddeleinhörner, in der sich Vampirclans übelst bekämpfen, klingt wahrscheinlich nicht nur für mich ein bisschen kontraintuitiv… Damit sei gesagt, dass man stets nach einer Passung zwischen visuellem Stil und Setting sucht. Nicht selten werden dabei Stereotypen bemüht, die manchmal doch schon ein bisschen Rost angesetzt haben. Natürlich wirkt „The Matrix“ auch heute noch ziemlich frisch; doch seien wir mal ehrlich: das Lack und Leder-Thema für den Cyber-Punk ist mittlerweile schon ein bisschen abgedroschen, oder? Ach ich kann in meinem Hinterkopf das große „ABER…“ aufbranden hören. Und natürlich war der Film – zusammen mit diversen Animes und Coverart – auch für meine Vorstellungen diesbezüglich stilbildend. Und doch… doch bleibt die Frage, ob’s auch noch anders geht.
Ich gestehe, dass ich ganz gut im Geschichten-Entwickeln und Erzählen bin. Meine visuellen Skills sind jedoch eher begrenzt, so dass ich mir meine Anregungen im Netz suchen, oder meine Frau um Unterstützung mit dem Zeichenstift bitten muss. Und an dem, was da gesprochen wird, beweist sich einmal mehr, dass ein Bild aus meinem Kopf nicht so leicht in einen anderen hinüber gelangen kann. Aber vielleicht ist das ja einer der Hauptreize am Pen&Paper? Das die Geschichte in jedem beteiligten Kopf ein Eigenleben hat, dass sich u. U. von den Vorstellungen der anderen an manchen Punkten gravierend unterscheidet. Und ziehen wir mal den Bereich der Fan-Art mit in Betracht, ist es höchst wahrscheinlich, dass ich bei weitem nicht der Einzige bin, in dessen Kopf die Geschichten zwischen den einzelnen Sitzungen – manchmal auf recht auf schräge Weise – weiter gesponnen werden. Und das ist auch absolut legitim. Jeder hat schließlich ein Recht auf seine Fantasie.
Nun ist es so, dass sich in solchen Side-Stories das Bild, dass man von seinem Charakter hat, ausdifferenziert und weiter reift. Bei Chars, die mehr als nur ein paar Mal gespielt werden, entsteht dabei mit der Zeit eine gewisse Verbundenheit mit der Figur. Und so, wie wir auch im echten Leben einen gewissen Stil entwickelt haben – Kleidung, Musikgeschmack, Vorlieben, Abneigungen, das ganze Ding eben – wird auch der Charakter in solcher Weise… nun ja… Charakter bekommen. Blödes Wortspiel, aber trotzdem wahr! Ein diesbezügliches Problem entsteht, wenn der SL und die Spieler unterschiedliche Vorstellungen von diesem Reifungsprozess haben.
Ich als SL habe ja nicht nur eine Vorstellung von „meiner“ Welt, in der die Chars ihr Unwesen treiben – so, wie ich die Geschichte vorantreibe, indem ich die Spieler immer wieder an Nexuspunkte heranführe und schaue, was sie mit den Möglichkeiten anstelle, so mache ich mir auch über die Entwicklung ihrer Charaktere Gedanken. Das dabei auch visuelle Gesichtspunkte eine Rolle spielen, steht außer Frage. Wenn aber der Spieler seine Figur in eine völlig andere Richtung entwickeln möchte, als ich dies antizipiert habe, steht mir ein verdammt schwieriger Sprung über meinen Schatten bevor. Denn natürlich ist die Vorstellung des Spielers die relevante und ich muss mich womöglich von einer lieb gewonnenen, fixen Idee trennen. Der Satz ist ganz einfach zu verstehen – ICH MUSS! Nicht mein Spieler, sondern ich!
Was für die Story-Elemente gilt, gilt natürlich ebenso für die visuelle Vorstellung über den Charakter. Wenn der Spieler etwas ausprobieren will, einen bestimmten Style im Kopf hat, den er ausprobieren will, dann tut er oder sie das und es geht mich als SL nur insofern etwas an, als die Welt eventuell darauf reagiert. Das ist dann, wie in einem vorangegangenen Post dieser Serie bereits thematisiert, Teil der Spielmechanik. Was daraus wird, hängt vom Spiel ab. Es darf jedoch nicht von meiner fixen Idee abhängen, wie etwas, bzw. jemand sein muss. Denn das wäre Railroading.
Das bedeutet nicht, dass die Wirkung, welche zum Beispiel eine bestimmte Outfit-Wahl haben könnte, deshalb unbedingt freundlich ausfallen muss. Wenn jemand im Latex-Nonnen-Kostüm zu einer Bar Mirzwa erscheint, muss er sich nicht wundern, wenn das im Eklat endet. Aber nehmen wir mal das kurz das Thema Superhelden-Kostüme: Sie dienen in Comics einerseits der Wiedererkennbarkeit eines Charakters, andererseits dem Schutz der, in solchen Kreisen üblichen Geheimidentität. Transponieren wir das auf Pen&Paper, kommt es auf das Setting an. Aber nehmen wir mal an, die Chars hätten Kräfte außerhalb der menschlichen Norm; dann könnte die Annahme eines solchen Alias sinnvoll sein. Und wenn sich jemand nun derart betätigen, oder einen bekannten Style kopieren möchte, dann soll er das doch tun. Ich würde mir dieses Recht auch rausnehmen. Zwar glaubt ja keiner, dass man jemanden unter einer Halbmaske, wie Daredevil eine trägt, nicht erkennt. Aber der Effekt ist trotzdem ganz nett.
Ich glaube vor allem, man muss sich einfach von der Idee verabschieden, dass man Stile nicht mischen darf. Natürlich gibt es Dinge, die unique sind und bleiben sollen; so wie Lichtschwerter. Und Raumschiffe im Fantasie-Setting sind vielleicht auch nicht der Bringer (man denke an die Ufo-Szene aus „Life of Brian„). Aber ansonsten sollte erlaubt sein, was Spaß macht. Wohin das dann jeweils führt, kann ja ein Abenteuer für sich sein, bzw. werden. So, wie plötzlicher Ruhm durch omnipräsente Kameras. In diesem Sinne – alwas game on!