Der verwirrte Spielleiter #16 – …und wenn’s nicht klappt?

Von drin, vom Wohnzimmer komm ich her und muss euch sagen, es menschelt sehr. In mehr als einer Hinsicht. Man kommt zum Spielen zusammen. Manchmal kocht man zusammen, öfter isst man zusammen. Natürlich wird nicht nur über spielrelevante Dinge gesprochen. Wir haben beim Pen&Paper also in der Regel ein soziales Event vor uns. Ich nehme wahr, dass es heute nicht unüblich ist, Spielrunden aufzubauen, indem man in sozialen Medien inseriert und dann schaut, ob man zusammen kann – also spielen, meine ich. Was mich betrifft – früher war’s das schulische Umfeld, heutzutage rekrutieren sich meine (Mit)Spieler aus einem über Jahre, sogar Jahrzehnte gewachsenen Umfeld. Manchmal kommt jemand neu dazu. Aber auch diese Leute kenne ich aus dem einen oder anderen Kontext vorher schon eine Weile. Man könnte mich da durchaus als schnäkig bezeichnen.

Das hängt damit zusammen, das Ereignisse am Spieltisch – also Dinge, welche die Charaktere erleben – nicht selten auch auf das Seelenleben ihres Spielers wirken; im Guten, wie im Schlechten. Mies drauf zu sein, weil der Char gerade einen Tiefpunkt hat, ist quasi Teil des Designs. Denn ohne ein gewisses Maß an emotionalem Investment in Charakter und Geschichte kann man auch Hallen-Halma spielen. Also ist es geschickter, sich mit bekannten Gesichtern zu umgeben, dann ist es einfacher, diesen Stress auszuhalten. Und oft bin ich als SL dabei eher ein vermittelnder Pol. Allerdings geht es auch andersherum. Ist mir neulich als Spieler passiert.

Ich muss dazu sagen, dass mir Körpertausch-Geschichten noch nie besonders gut gefallen haben. Was bei Steve Martins „Der Mann mit den zwei Gehirnen“ noch irgendwie lustig anzuschauen ist, stellt für mich als Spieler einen Einschnitt in meine Autonomie bei der Entfaltung meines Charakters dar. Das kann tatsächlich manchmal nötig sein, wenn für die Geschichte ein spezielles Flair – also Fluff – gebraucht wird.

[Exkurs:] Als Fluff bezeichnet man üblicherweise die Teile eines Pen&Paper-Buchs, oder auch eines Charakterblattes, die sich mit Beschreibungen befassen, welche für die Spielmechaniken erst mal nicht von Belang sind. Zum Beispiel ein Flavour Text, der erklärt, woher Tamillos der Barbar kommt, und warum sein Volk Kriegshämmer Äxten vorzieht. Ist ja eher unerheblich, womit er Höllentrollen den Schädel einschlägt, oder? Komplementär dazu wird der Begriff Crunch gebraucht, womit die harten Fakten gemeint sind; also Statistika, Regelmechaniken, etc. [Exkurs Ende]

Nun jedenfalls war es dem Spielleiter wichtig, ein paar Fähigkeiten unserer Charaktere für einen definierten Abschnitt auszublenden, weil die Detektiv-Geschichte, die er sich ausgedacht hatte sonst nicht – oder zumindest nicht so gut – funktioniert hätte. Soweit legitim und auch ganz lustig. Insbesondere auf Grund eines Story-Twists, der so nicht vorhergesehen werden konnte: ich spielte eine Frau, die dann im Körper eines Mannes landete. Bei meiner Gattin war es genau umgekehrt, was für gewisse Erheiterung sorgte. Wir lösten den Plott mit gewissen Umwegen und kamen dahin zurück, wo wir hingehörten. Soweit kein Problem.

Doch der nächste Plott-Abschnitt war ein „edge of tomorrow“-Szenario, in welchem uns unsere Fähigkeiten, die ja für einen Charakter konstituierend wirken, schon wieder genommen wurden. Ich bin wahrscheinlich selbst Schuld, weil ich echt etwas anderes erwartet hatte, aber meine Reaktion war nicht gut – was den SL, der ein guter Freund ist, verständlicherweise verstimmt hat; insbesondere, weil er sich große Mühe gegeben hatte, ein wirklich buntes Spektakel vor uns auszubreiten. Man sollte dazu sagen, dass er zwar schon sehr lange spielt, aber noch nicht so lange spielleitet.

Ich habe das früher auch des Öfteren gemacht: die Chars mancher Fähigkeiten beraubt und ihnen gewisse Wege aufoktroyiert. Das Problem hier ist die Dosis. Man ist da ganz schnell beim Railroading – und dagegen sträubt sich in mir heutzutage, sowohl als Spieler, wie auch als SL alles. Ich will als Spieler keine vorgegebenen Lösungswege abarbeiten, sondern meinen eigenen Weg finden dürfen. Und wenn der SL den nicht vorhergesehen hat, muss er trotzdem klappen können, wenn das denn halbwegs plausibel wäre. Als SL lasse ich sie meistens machen. Natürlich gibt’s gewisse Grenzen, aber innerhalb dieser Grenzen können sie mehr oder weniger tun und lassen, was sie wollen. Manchmal zahlt man für sein Handeln oder Unterlassen einen Preis, aber das ist Teil von Leben. Im Spiel genauso, wie in der Realität.

Nun ist es so, dass er mir böse war. Ich habe meine Beweggründe erklärt und denke, dass er sie verstanden hat. Was nix daran ändern konnte, dass er mir erst mal sauer war. Aber ist das schlimm? Ich finde nicht, denn man kann a) nicht erwarten, dass es immer so läuft, wie geplant. Weder als Spieler, noch als SL. Und b) haben natürlich beide Seiten das Recht, einander mitzuteilen, wenn sie nicht gut fanden, was gelaufen ist. Ich bin muffelig vom Spieltisch aufgestanden, in die Küche gegangen und habe die Geschirrspülmaschine eingeräumt. Nicht nett, aber für mich hilfreich, um kurz von meinem Ärger zu entkoppeln. Wichtig ist, später miteinander zu reden. Ich werde hier jetzt keinen Exkurs über Deeskalation einfügen. Nur so viel: manchmal ist es gut, ein paar Tage zu warten, bevor man irgendwas klärt.

Wenn ich mir einen Char mache, will ich den Char spielen. Mit allen Vor- und Nachteilen. Natürlich kann ich Min-Maxen, insbesondere in den Systemen, in denen ich als Spieler und SL groß geworden bin. Und natürlich optimiere ich meine Chars auf die eine oder andere Weise. Und trotzdem sind sie (zumindest heutzutage – als Rotzlöffel war ich da schlimmer) keine annähernd omnipotenten Killermaschinen. Als SL muss man mühsam lernen, die Anforderungslevel Situations-Adäquat und Charakter-Adäquat fließend anzupassen. Das erfordert viel Übung. Und wenn einem erfahrene Spieler ein Szenario mit scheinbar lässiger Leichtigkeit auseinander nehmen – dann ist das so. Wenn sie dabei trotzdem ihren Spaß haben, ist alles gut!

Ich weise nochmal darauf hin, dass der SL Fan seiner Spieler sein sollte und nicht ihr Gegner. Wir spielen stets mit-, nicht gegeneinander. Auch sollte der SL Fan seiner Spieler und nicht seiner Geschichte sein. Denn die Geschichte erzählen die Spieler; der SL liefert lediglich den Rahmen für das Bild, das nun gemalt werden wird. In diesem Sinne – always game on!

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