Hey Du – mach mich an!

Es ist, wie es ist, die Welt ist im Wandel begriffen. Das „DU“ ist jetzt die Konvention. Sagt zumindest Rezo auf Zeit Online. Und mit Bezug auf Social Media weiß er Bescheid. Allerdings – und das entwertet seine Argumentation für mich ein bisschen – rekurriert er lediglich auf dem Umstand, das Social-Media-Nutzer das Personalpronomen „Sie“ für unhöflich halten, weil es dem Versuch gleichkäme, realweltliche Machtdifferentiale in die Online-Welt mitzunehmen; egal, ob diese nun wirklich wirksam sind, oder nur durch den Nutzer eingebildet.

[Exkurs:] Eine der Domänen der Genderforschung ist die Demaskierung von sprachlich verfassten Machtdifferentialen, die z.B. – aber nicht nur – Frauen in eine Defensiv-Position drängen und patriarchalische Machtansprüche festigen sollen. Inwieweit solche Strategien tatsächlich funktionieren, ist immer noch umstritten. Zweifelsfrei hat Sprache aber die Macht, Macht zu verteilen, oder aber Menschen auszuschließen. Insofern hat Genderforschung sehr wohl eine Daseinsberechtigung. [Exkurs Ende]

Schauen wir uns Rezos Argumentation mal näher an: Jemand, der altmodisch denkt, betritt einen Chatroom, ein Forum, eine Kommentarspalte und siezt seine Gegenüber. Die fühlen sich irritiert, ja sogar unhöflich behandelt, weil das „DU“ dort die Konvention ist. Rezo unterstellt Unhöflichkeit, weil man ja doch wissen können müsste, dass das in der digitalen Welt nun mal so ist. Ich unterstelle ihm – und seinen Kollegen, die vielleicht genauso denken – mangelndes Interesse an Soziologie. Denn um irgendeinen Machtanspruch, egal ob dieser nur subjektiv existiert, oder tatsächlich ein reales Analogon hat, dergestalt in die digitale Welt transponieren zu wollen, müsste ich a) mir bewusst sein, dass „SIE“ dort einen anderen Wert (nämlich keinen) hat und b) von den Leuten dort etwas wollen, dass es lohnt, verbal auf die Kacke zu hauen.

Realistisch betrachtet ist die unterstellte Verkettung von Wissen und Intention zu einer Kausalität möglich; jedoch hoch unwahrscheinlich, weil vielen Leuten a) nicht bewusst ist, dass das „DU“ dort die Norm ist und b) sie Machtfragen nicht interessieren… Sie sprechen so, wie sie es gewohnt sind, weil sie es irgendwann, irgendwo so gelernt haben. Man nennt das Sozialisation – und ehrlich gesagt kann man von jemandem wie Rezo, der doch ansonsten ein ganz cleverer Kerl zu sein scheint, erwarten, dass er solche Dinge in seine Überlegungen einbezieht. Solche „falschen“ Ansprachen passieren mir selbst übrigens auch regelmäßig, weil ich zugegebenermaßen beim Posten in Foren, etc nicht so bewusst darüber nachdenke, wie meine Sprache auf andere wirkt, wie ich das in meinem Blog tue.

Was mir aber viel wichtiger ist: das „SIE“ schafft Distanz im Diskurs, wenn ich diese brauche. Und seien wir mal ehrlich – wenn ich mich mal wieder online mit Faschos kabbele ist es ganz griffig, diese Spacken für ein „DU“ abzustrafen. Denn das verstehen diese Möchtegern-konservativen Rassisten ziemlich gut. Wir haben noch nie ein Bier zusammen getrunken und werden das unter dem Vorzeichen „der Fascho“ vs. „ich Soze“ wahrscheinlich auch nie tun. Aber man soll ja nicht ausschließen, dass der Fascho sich entwickeln kann.

Was mich betrifft: ich halte Rezos Argumentation dieses Mal für Bullshit. Ich verstehe, dass er von Boomern, bzw. älteren Menschen ganz im Allgemeinen enttäuscht ist, weil sie seiner Meinung nach (und die wird von vielen geteilt) unsere Welt in die Scheiße geritten haben. Und zum Teil ist das auch wahr. Dass die Macht, diese Welt durch den Einsatz von Social Media zu Veränderung zu zwingen allerdings auch von diesen alten Menschen geschaffen wurde und erst ganz allmählich reifen konnte, bzw. musste, entgeht ihm in seinem selbstgerechten Furor leider.

Tja Junge – dieses Mal hast du’s verkackt. Immer nur auf seine eigene Filterblase rekurrieren können anscheinend auch die jugendlichen Weltverbesserer. Mach’s das nächste Mal einfach besser, Verbesserer. Denk’s erst zu Ende, bevor du’s ins Internet scheißt. Dann ist es mir auch vollkommen egal, ob du mich duzt oder siezt. Und Tschüss.

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