Der verwirrte Spielleiter #15 – Team up!

„… und dann zog die Abenteurergruppe gemütlich in den Sonnenuntergang.“ Wer glaubt denn sowas? So lange ich nun schon Pen&Paper betreibe; aus 3-5 special Snowflakes ein Team zu generieren, dass seine Aufgaben tatsächlich gemeinsam angeht und auch erledigt, hat bisher nur selten problemlos funktioniert. Meistens macht jeder dieser kostbaren Solitäre sein eigenes Ding und wenn das funktioniert liegt es a) daran, dass die anderen Solitäre aus Versehen halbwegs komplementäre Fähigkeiten haben, b) diese aus purer Gnade ab und an auch mal für Andere einsetzen oder c) der SL häufig alle Augen (incl. der Hühneraugen) zudrückt.

Ich bin kein großer Freund des klassischen Fantasy-Gruppen-Konzepts, dass man auch aus MMORPGs kennt (Tank, Damage-Dealer, Rogue, Mage, Cleric). Und das sich im Übrigen auch auf andere Genres übertragen lässt (Tank, Damage-Dealer, Rogue, Techie, Pilot, Medic). Denn wenn ich eine Gruppe zwangsweise nach dieser Struktur aufzubauen versuche, wird zwangsläufig irgendjemandes Charakter-Wunsch hinten runter fallen. Stattdessen arbeite ich damit, das Setting einzuführen, etwas über die Welt zu erzählen, etwas über die Konflikte und Prämissen zu erzählen (sofern ich diese schon enthüllen kann/möchte) und mich mit den Spielern über ihre Wünsche zu unterhalten. Spielt man mit den gleichen Leuten öfter, sind die Wünsche oft gleichartig, aber man wird ab und an auch mal überrascht.

Allerdings stelle ich, wenn ich mir manche Gruppenbeschreibung im Netz so durchlese, einen Trend zu dysfunktionalen, von ihren Dämonen gejagten Charakteren fest, die oft sehr individuelle Zielabsprachen mit dem Schicksal getroffen haben. Was nicht selten zu Konflikten zwischen den Charakteren führt. Das kann reizvoll sein; es kann aber auch bei der erstbesten Gelegenheit die Gruppe sprengen. In jedem Fall sollte man das bei besonders extremen Problemen vor Spielbeginn mit allen bereden. Dabei ist es ja nicht notwendig, öffentlich auf Details einzugehen, die als Plothook für den jeweiligen Charakter dienen, aber es muss Konsens darüber herrschen, ob das Charakterkonzept schon irgendwie in die Gruppe passen wird, oder eben gar nicht.

Aus dem beschriebenen Vorgehen entstehen nun zumeist aber natürlich Charaktere, deren Fertigkeiten NICHT zwangsläufig aufeinander abgestimmt sind. Das führt zu Dopplungen, aber auch mal zum Fehlen von Wissensressourcen. Was ich nicht schlimm finde, denn es kann ja auch eine Herausforderung für sich sein, eine fehlende Ressource zu beschaffen, um ein bestimmtes Problem lösen zu können. In jedem Fall wird das Investment des Spielers vom Start weg größer sein, als wenn ich ihm einen generischen Damage-Dealer hinknalle und sage „SPIEL UND STIRB!“. Ich persönlich stelle den Spieler lieber Fragen über Herkunft, Motivation, No-Gos, Ziele, etc. Und ich versuche vom ersten Augenblick an, die Spieler zu mehr, als nur zum Würfeln zu nötigen. Die ersten zwei Charaktere meiner immer noch laufenden Cyberpunk-Runde wurden während der Startphase der ersten Sitzung in einen Terroranschlag verwickelt. Bei einem Charakter wurde der Beschützer-Instinkt wach, beim anderen der Kampf-Instinkt – und keine fünf Minuten In-Game-Zeit später waren sie in eine wilde Verfolgungsjagd verwickelt und mussten ihre Ressourcen poolen, um zu überleben.

Natürlich ist es nicht nett, die Charaktere gleich zu Beginn in eine Überforderung zu verwickeln. Aber je nach Charakterkonzept, Setting und Metaplot kann es die richtige Lösung sein. Denn eher selten kommen alle Chars, wie in einer der Runden, in denen ich spiele, aus dem gleichen Dorf und kennen sich von Kindesbeinen an. Wichtig ist, durch gezielten Einsatz der Mäeutik die Spieler dazu anzuregen, selbst die richtigen Fragen zu stellen; dem SL, den NSCs, zuerst und vor allem aber den anderen Charakteren. Denn je mehr sie übereinander lernen, desto mehr werden sie verstehen, wie die anderen als Person funktionieren und wie man gegenseitig das Beste auseinander herauskitzeln kann. Das führt zu Team-Building. Aber es braucht Zeit. Und es klappt nicht immer gleich gut.

Eine interessante Frage ist immer, ob es so jemanden wie den Teamleader gibt; jemand, der am Ende des Tages Entscheidungen trifft und eine Richtung festlegt, der die anderen auch zu folgen bereit sind. Und hier sind wir tatsächlich von den Persönlichkeiten der jeweiligen Spieler abhängig. Es gibt Leute, die eine Gruppe führen, obwohl ihr Charakter eigentlich nicht dem typische Anführer-Stereotyp entspricht. In der einen Spielrunde bin ich die Bardin und die anderen – inclusive des Ritters – haben mich vorgeschubst, als es um die von einem NSC direkt gestellte Frage ging, wer das Team führt. Könnte an der Rampensau tief in meinem Inneren liegen. Ich versuche echt, die Rolle verantwortungsbewusst auszufüllen, was allerdings häufiger zu Reibereien führt. Bislang fühlte sich aber noch keiner bemüssigt, die Rolle des Teamleaders für sich zu reklamieren. Öfter aber erlebe ich, sowohl als Spieler, wie auch als SL, heutzutage eine Art Demokratie in der Gruppe; kritische Entscheidungen werden meist gemeinsam getroffen. Was in der Folge interessante Auswirkungen haben kann.

Pläne schmieden scheint ja sowas wie ein Fetisch für Rollenspiel-Runden zu sein, gleich welchen Genres. Sie diskutieren die Situation, die Probleme und die möglichen Herangehensweisen Stunde um Stunde, ohne zu einer Entscheidung zu kommen, ohne dabei die richtigen Fragen zu stellen, ohne einen echten Plan B in der Tasche zu haben; und vor allem, ohne sich je darüber im Klaren zu sein, wie die Fähigkeiten ihrer Chars zusammenpassen (und ich nehme mich hier nicht aus; auch wenn ich in letzter Zeit, zum Leidwesen meiner Mitspieler, angefangen habe, auf die Macht des „Plan X“ zu vertrauen). Beim Diskutieren denkt fast jeder meistens zunächst, wie er das Ding alleine durchziehen würde. Es gibt Systeme, die von vornherein darauf ausgelegt sind, die Spieler auf verschiedene Arten zur Zusammenarbeit zu nötigen. D&D 5th Edition z.B. bietet unfassbar viele Möglichkeiten, den eigenen Charakter zu gestalten, verlangt aber mit dem hoch Taktiklastigen Kampfsystem auch nach Spezialfertigkeiten und den richtigen Kombos dieser, um bestimmte Gegner bezwingen zu können. Für manche Leute hat das seinen Reiz; mir ist das schon zu Regellastig. Auch in diesem Kontext gilt, den Spielern durch gezieltes Nachfragen (ja manchmal schon fast Bohren) auf die Sprünge zu helfen.

Ist es tatsächlich erstrebenswert, dass die Gruppe als Team agiert, oder reicht es nicht vielleicht doch völlig, wenn die Chaoten… ähm sorry, Charaktere irgendwie in ungefähr die gleiche Richtung torkeln? Das ist eine Frage, die jede Runde für sich selbst beantworten muss. Ich benutze keine Systeme, die mir diesbezüglich zuviel taktische Erwägungen aufzwingen. Und manchmal – z. B. bei meiner neuen Urban Fantasy Runde – frage ich mich insgeheim, ob das so klappen kann. Ich lies den Spielern vollkommen freie Hand und die dabei entstandenen Charakterkonzepte sind famos. Ob sie auch zusammenpassen, werden wir in nächster Zeit herausfinden. Aus meiner Sicht ist ein perfekt aufeinander abgestimmt agierendes Team im Pen&Paper eine Illusion. Wenn ich sie aber dahin bekomme, dass sie dennoch füreinander einstehen und sich tatsächlich gemeinsam den Aufgaben stellen, ist die Entstehung von Epen garantiert. In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß beim Team-Building. Always game on!

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