Der verwirrte Spielleiter #13 – Die Moral von der Geschicht…?

Ich betone immer wieder, dass Zocken Spaß machen soll. Man kommt zusammen, um sich zu entspannen und – zumindest im Geiste – lustige Dinge zu tun, die wenig bis gar nichts mit unserer sonstigen lebensweltlichen Erfahrung zu tun haben. Ich selbst habe z.B. noch nie mit irgendwelchen Gegnern gefochten, eine Burgmauer erklommen, oder in einer Taverne als Skalde oder Barde eine gesungene Geschichte zum Besten gegeben. Ich kann auch nicht Hacken oder ein Raumschiff fliegen. Flöge ich allerdings so, wie ich Auto fahre… ach lassen wir das…

Das eine Geschichte Spaß macht, mich fesselt und unterhält, bedeutet allerdings mitnichten, dass sie nicht auch gelegentlich ernste Fragen berühren darf. Ich lese nicht mehr ganz so viel Belletristik wie früher, weil die Leseleistung, die ich für Beruf und Studium auf mich nehme, schon recht viel Zeit in Anspruch nimmt. Wenn aber mein Gedächtnis mich nicht trügt, behandeln insbesondere die Autoren des Cyberpunk und der Hard Science Fiction häufig Themen, denen ein gesellschaftskritischer Nukleus innewohnt. Wenn man so will, geht es dabei auch um moralische und ethische Fragen.

Diskussionen um Ethik und Moral im Pen&Paper gibt es schon lange. Sie drehen sich meist um die Frage, ob man sich tatsächlich vorab darum Gedanken macht, oder das Thema diskutiert, wenn ein Problem auftaucht. Rollenspiel behandelt ja oft Themen wie Horror, Dystopien, Kämpfe zwischen „Gut“ und Böse“ (was auch immer das für Kategorien sein mögen?), Verbrechen, etc. Die Charaktere sind dabei meist diejenigen, welche in die Geschehnisse eingreifen sollen, um ein größeres Übel verhindern zu helfen. Womit wir bei einer klassischen Jack-Bauer-Frage wären: Welche Mittel sind (noch) legitim, um ein übergeordnetes Ziel erreichen zu können? Oder vereinfacht: wie viele Unschuldige darf ich foltern und/oder töten, um dadurch (hoffentlich) ganz viele andere Unschuldige retten zu können?

Ich kann das genervte Seufzen vor den Bildschirmen in meinem Hinterkopf hören. Und nur um es vorweg zu nehmen: weil einer im Pen&Paper eventuell zu radikalen Mitteln greift, heißt das genauso wenig, dass er deswegen in Realitas zum Killer wird, wie bei einem Hardcore-Egoshooter-Zocker. Es gibt einfach keine Kausalität. Was allerdings möglich sein kann, ist das Verletzten von Gefühlen Anderer am Tisch, egal ob Spieler, oder SL. Und das kann tatsächlich ein Problem sein; oder besser, es kann eines werden, wenn man sich nicht darum kümmert.

Da sitzen Menschen am Tisch; und so wie deren Spielstile differieren, deren Wunsch nach Action und deren Präferenzen hinsichtlich des Settings, so bringen sie auch ihre jeweils unterschiedlichen Lebenserfahrungen und kleinen Probleme mit an den Tisch. So sehr ich mich also auch bemühe, Immersion zu erzeugen und auf die Wünsche der Spieler einzugehen, so viele Freiheiten ich ihnen auch lasse, kann ich doch nicht vorher sehen, wie sie auf bestimmte Dinge, die ich im Kontext des Spiels meine NSCs tun lasse, reagieren werden. Da sind gelegentlich wirklich böse Dinge dabei, auf deren Anwendung bzw. Ausübung ich im wahren Leben nie käme. Doch so lange ich eine Geschichte erzähle, passiert – sofern es zur Szene und zum NSC passt – auch mal Gewalt, Missbrauch, Sadismus, Betrug, etc.

Nehmen wir mal an, ich lasse einen NSC einen anderen NSC entführen, zu welchem einer der Spielercharaktere eine intime Bindung aufgebaut hat. Ich gebe zu, dass das Damsel-in-Distress-Thema wirklich alt ist; gelegentlich bringe ich es dennoch, wenn es dem Drive der Geschichte dienlich ist. Nun wäre es natürlich schick, wenn der Spieler zwischen mir als SL und dem NSC als Figur unterscheiden könnte. Hat in diesem Fall auch gut geklappt. Doch ich entsinne mich an andere Situationen, wo es Spielern recht schwer fiel, diese Divergenz zwischen SL und NSC zu beachten. Will heißen, sie waren mir als Mensch böse, weil meine NSCs ihren Spielercharakteren etwas getan hatten.

Noch problematischer wird es, wenn das böse Spiel, dass ich als SL manchmal mit den Spielercharakteren treibe, etwas aus der realen Lebenswelt berührt. Wie z.B. Gewalt-Erfahrungen. Dann balanciere ich auf einem schmalen Grat. Natürlich kann ich nicht bei jedem Spieler wissen, was ihn so umtreibt, daher wird es hilfreich sein, vorher zu thematisieren, dass bestimmte düstere Aspekte im gegebenen Setting eine Rolle spielen könnten. Sollte ein Spieler Bedenken äußern, muss man die entsprechenden Inhalte entschärfen. Manchmal reicht auch eine mildere Umschreibung, um dennoch zum Ziel zu kommen.

Das funktioniert allerdings auch mal anders herum. Nun bin ich als SL, aber auch als Mensch nicht unbedingt zimperlich gestrickt. Mag an meinem Job liegen, aber ich habe weder mit Blood and Gore noch mit anderen heiklen Themen Probleme; ich kann ziemlich gut zwischen meinen Spielrunden und der echten Welt differenzieren. Und ich nehme es meinen Spielern nicht krumm, wenn sie mal über’s Ziel hinaus schießen. Vielleicht gebe ich weniger EP, weil’s nicht zu den Charakteren gepasst hat. Aber das ist dann deren Problem, nicht meines. Ich denke aber, dass weniger erfahrene, oder Anfänger-SL gut daran tun, ihre eigenen mentalen No-Go-Areas mit denen der Spieler abzugleichen. Dann werden verletzte Gefühle am Spieltisch von vorn herein höchst unwahrscheinlich. Und wenn es doch mal rußt – locker bleiben und drüber reden. Ein neuer Code of Conduct am Spieltisch ist schneller ausgehandelt, als eine neue Runde geformt. In diesem Sinne – always game on!

Auch zum Hören…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert