Death-Dislike…

Nehmen wir mal an, Facebook würde einen Dislike-Button einführen. Erscheint geschmeidig, oder? Endlich könnte ich diesen ganzen Idioten, die mich Tag für Tag mit Katzenvideos und stumpfsinniger Nazi-Scheiße fluten mal zeigen, wie sehr mich das nervt. Sounds perfect, doesn’t it? Nehmen wir nun weiterhin an, dass das Nutzen dieses Dislike-Buttons dazu führen würde, dass derjenige, dessen Beitrag ich disliked habe plötzlich einen schlechten Schufa-Eintrag bekommt, deswegen seine Wohnung gekündigt wird, seine Kredite platzen und er mitsamt seiner Lieben auf der Straße steht. Vielleicht wird er sogar entlassen…? Oha, dass wollte ich aber gar nicht – oder vielleicht doch?

Die so genannte Volksrepublik China führt gerade in einigen Modellstädten ein Social Rating System ein, in dessen Punktevergabe zum Beispiel der Konsum kritischer Medien, Freundschaft zu Systemkritischen Individuen, oder gar eigenes abweichlerisches Verhalten zu Abzügen führen. Je niedriger das Rating, desto schwieriger ist an höhere Bildung, Arbeit, Kredite, Wohnungen zu kommen. Das bedeutet, dass nicht sozial erwünschtes Verhalten dazu führt, dass man alle Chancen verspielt, Teil der Gesellschaft sein zu können. Teilhabe ist überall auf der Welt von bestimmten Ressourcen abhängig und wenn ich nicht über diese verfügen kann, gibt es für mich keine Teilhabe.

Momentan fließen „nur“ Informationen aus verschiedenen Datenbanken ein, aber letztlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die Möglichkeit geben wird, andere Menschen direkt up- oder downzuvoten. Der Mechanismus ist einfach. Der Staat definiert in China, was sozialkonformes Verhalten ist, nicht jedoch, wie hier bei uns üblich, die Zivilgesellschaft. Wenn ich staatliche Sanktionen zu fürchten habe, die meine Teilhabe und meinen Wohlstand be- oder verhindern, überlege ich mir drei Mal, bevor ich etwas sozial (oder besser staatlich) nicht erwünschtes tue. Die Folge ist ein Klima der Angst vor Repressalien.

Das gibt es in China auch jetzt schon, doch so ein social rating system ist eine extrem perfide Methode, den Mechanismus der Unterdrückung weitgehend an die Unterdrückten outzusourcen. Denn indem ich den erst Wunsch nach Konformität und daraus resultierendem gesellschaftlichem Erfolg kultiviere und danach die Überwachung der Einhaltung der Spielregeln an die Spieler delegiere, spare ich mir einen Haufen Ressourcen. In dem Moment, da die Menschen an das gegenseitige up- und downvoting adaptiert sind, werden sie dessen Vorzüge für sie selbst entdecken. Unliebsame Konkurrenz? Da aktiviere ich doch mal mein individuelles Netzwerk und lasse einfach den Konkurrenten rausvoten. Und das ist nur eine denkbare Möglichkeit.

Man erzeugt dadurch eine weitgehende soziale Partikularisierung, die das Prinzip „divide et impera“ (teile und herrsche) auf perverse Art zu Ende denkt. Wenn meine Bürger damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu beobachten, zu beurteilen und gegebenenfalls zu denunzieren, brauche ich viel weniger Polizei etc., um sie im Zaum zu halten. Das tun die schon selbst. Schaurige Zukunftsvision; zumindest für mich!

Und was sagt uns das über Facebook? Man versucht die – immer wieder laut beschworene – Flut von Hasskommentaren einzudämmen. Was lediglich dazu führt, dass mehr Menschen versuchen auszutesten, was so an Provokation geht. Und der Algorithmus produziert weiter munter soziale Blasen und betreibt so gesellschaftliche Partikularisierung und das sogar ohne die Möglichkeit des Dislikens. Für mich ist Facebook seit jeher eine Wundertüte der Sozialbeobachtung, ein Biotop des eigentlich Undenk- und Unsagbaren. Wenn es nach mir ginge, würde man alle Regulierungsversuche gegen Hate-Speech einfach sein lassen, denn wenn der Pulverdampf sich hebt, haben die Kombattanten dann wenigstens Gelegenheit, sich mal richtig die Meinung zu sagen. Uns fehlt direkter gesellschaftlicher Diskurs. Wie oft tauschen Rechts und Links (wenn man politische Spektren echt so simpel denken will) denn tatsächlich Argumente aus und nicht nur Worthülsen ohne Inhalt?

Wir brauchen sicher keinen social death dislike wie in China; aber wir brauchen wieder echte Diskussion. Hart aber fair, wütend aber ehrlich, ohne denk- und sprechverbote. Sollen doch alle mal sagen, was tatsächlich ihre Meinung ist und dann sehen wir weiter. Ich denke, so ein klärendes Gewitter braucht unser Land dringender, als eine weitergehende Kriegsbeteiligung in Syrien. Schönen Tag noch…

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