…ist so eine Sache. Wenn man den, oftmals mutmaßlich vom einen oder anderen Interessenvertreter schöngefärbten Befragungen Glauben schenken darf, ist das Buch tot – oder auch nicht! Wiedergeboren als Ebook, oder doch noch als lieb gewonnenes Rudiment eines toten Baumes im Regal den dekorativen Staubfänger spielendes Wohnraumaccessoire im Rennen; womit ich noch lange keine Wertung abgegeben haben möchte, das kommt erst später. Aber wie man’s auch betrachtet, die Weitergabe von in Schrift reproduzierten Sprachäußerungen ist und bleibt eines der Hauptkulturmedien des Menschen.
Man könnte sich nun in einer Aufrechnung ergehen, aber ich denke, dass es kaum einen Unterschied für Mutter Erde macht, ob man von Menschenhand monokulturierte Nutzwälder schnetzelt, oder im Tageraubbau seltene Erden und Ähnliches schürft – ökologisch betrachtet ist beides schwierig. Und wenn nun jemand daher kommt und den Umstand anführt, dass ein Ebook-Reader aber viel praktischer ist und weniger Ressourcen verbraucht, weise ich auf die geplante Obsoleszenz hin – das mehr oder weniger trickreich in jedem modernen Gimmick geplant implementierte Verfallsdatum – die in den buchhalterischen Kalkulationen unserer lieben Technikkonzerne mittlerweile zu einer festen Stellgröße für den Profit geworden ist. Das mit dem Ressourcenschonen halte ich also für fragwürdig – siehe fest verdrahtete Akkus in Smartphones etc.; keiner ist bereit, sich hier genau in die Karten schauen zu lassen, so dass wir die ökologischen Folgen unternehmerischen Handelns nur sehr grob abschätzen können. Mutmaßlich läuft es aber wieder einmal auf die personalisierten Gewinne und sozialisierten Kosten hinaus. Da wir alle diesen Preis mittels der Natur, in welcher wir leben wollen zahlen müssen, könnte es sich als hilfreich erweisen, auf das Eine oder Andere einfach mal zu verzichten und genau darauf zu achten, bei wem man einkauft. Fällt auch mir schwer, aber ich will wenigstens versuchen mich diesbezüglich als lernfähig zu zeigen.
Doch das war noch nicht mal, worauf ich hinaus wollte. Das Buch ist nicht tot! Auf der re:publica hat jemand orakelt, dass wir bald keine Bücher mehr lesen werden, dass Ebooks auch nur eine Übergangsphase seien, weil wir halt noch zu sehr an die Haptik des seitenweise gegliederten Textes gewöhnt wären. Social reading würde das jedoch alsbald ablösen. Aha? Na sowas. Social Reading also? So wie … social media, social networking, social cloud, usw.? Als wäre es kein social reading, wenn ich meinen Lieben abends auf der Couch aus einem Buch vorlese? Was soll der Begriff überhaupt?
Es soll bedeuten, dass man sein Leseerlebnis mit Anderen teilt. Also quasi Bücher mit „share“-Buttons. Yo, und was zum Henker ist jetzt daran neu, dass man sich über jene Bücher, die man gerade so liest austauscht? Der Gedanke ist so alt wie die Lesesalons der Gesellschaftsdamen. Da ist absolut nichts Neues dran – außer dem Zeitansatz, denn unsere neuen Medien erlauben es nun, diese shared oder social experience zeitgleich mit dem Leseprozess zu erleben. Ich wage einfach mal folgende, den Digitalnomanden vermutlich recht kühn anmutende Behauptung: an der Existenz des Buches als Medium zur Vermittlung von Wissen, Ideen, Bildern, Idealen, Ideologien, vor allem aber auch Unterhaltung wird das nur recht wenig ändern. Die Art, wie wir Bücher konsumieren, hat sich ja schon zumindest teilweise geändert, doch ich will nicht vorhersagen müssen, wie es auf den Menschen langfristig wirkt, wenn ich seine Aufmerksamkeit dauernd zu teilen heische. Die allermeisten Individuen, welche ich kennen zu lernen die Ehre und das Vergnügen hatte, empfinden den Konsum von gedruckten oder digital wiedergegebenen Worten als etwas, auf das man sich zumindest ein Stück weit konzentrieren möchte – insbesondere, wenn es um Wissensvermittlung geht. Jene, die nicht oder nur ungerne lesen, werde ich auch mit social reading kaum erreichen, da sie in aller Regel sowieso schon ein Problem mit ihrer Aufmerksamkeitsspanne haben. Ihnen dann das Angebot zu machen, diese dauernd von A nach B nach C nach N und wieder zurück wechseln zu können, erscheint auf den ersten Blick als Anpassung an ihre Gewohnheiten. Die Chance tiefer in einen Sachverhalt einsteigen zu können, bekommen sie dennoch nicht, da es leider einer gewissen Zeitspanne bedarf, in eine x-beliebige Materie weit genug eintauchen zu können, um sich in dieser dann sinnvoll weiter fortbewegen zu können.
Indem ich aber eine der inhärenten Charakteristika des sich Bildens – aber auch des sich Unterhaltens – nämlich die Notwendigkeit des sich individuell Involvierens und mit der Materie Auseinandersetzens, den Einsatz der persönlichen Ressourcen Zeit und/oder Mühe durch dauerndes Einanderüberdieschulterschauen entwerte, weil eine in meinen Augen durchaus wertvolle, ganz persönliche Erfahrung plötzlich eine Erfahrung des Kollektivs sein soll, erweise ich allen einen Bärendienst, weil das Fehlen der Reklusion ins Individuelle beim Lesen das Lesen als Tätigkeit schlechthin seines Reizes beraubt. Ich bin wahrlich kein Schwarzmaler, aber die Individualität einer (Bildungs)Erfahrung als Erleben der höchst eigenen Fähigkeiten ist nach meinen Erfahrungen wichtig zur Persönlichkeitsbildung und -Stabilisierung.
Nun habe ich gerade eben genauso übertrieben wie jener Sprecher bei der re:publica. Aussagen wie „dieses oder jenes Alte ist tot, denn wir haben dieses oder jenes Neue“ verbieten sich von selbst, da ich kaum glaube, dass irgendjemand eine funktionstüchtige Wahrsagekugel im Schrank hat. Sicher verändert sich unsere Rezeption des Mediums Sprache mit all seinen Ausdrucks- und Darreichungsformen ständig, aber Bücher werden vermutlich, in Ermangelung eines besseren Gliederungskonzeptes, allerdings sicherlich in sich dynamisch verändernder Form noch eine ganze Weile unsere Begleiter bleiben. Ich liebe Bücher, übrigens ganz egal, ob digital oder analog. Und ich glaube, dass wir Bücher brauchen.
Indes erscheint es ein wenig seltsam, dass ausgerechnet die von mir aufgegriffene Deutung, die übrigens von Stefan Heidenreich stammt, in einem Ebook veröffentlicht wurde, welches sich selbst als schnellstes Buch der Welt bezeichnet, weil die Inhalte der re:publica 2013 an allen drei Veranstaltungstagen von den Teilnehmern protokolliert und einen Tag nach Abschluss der Veranstaltung bereits veröffentlicht wurden. Ob man sich da wohl genug Zeit genommen hatte, über die Themen wirklich nachzudenken anstatt nur viel Egogewärmte Luft umzuwälzen? Wie hoch dürfte die Reichweite dieser Veranstaltung wohl sein, abseits von Nerds wie mir…? Was für mich beweist, dass die Netcommunity sich immer noch viel zu sehr um sich selbst und ihre tradierten Rituale dreht. Wenn das mal kein Anachronismus ist…