Gilt für sehr viele Dinge im Leben, aber einen Artikel mal mit einer allgemeinen Erkenntnis zu beginnen, muss nicht immer schlecht sein, weil der Platitude verdächtig. Es wird auch oft gesagt, schon auf der Journalistenschule lerne man, nicht so viele Adjektive zu benutzen, die einen jeden Satz prächtig auszuschmücken vermögen. Überhaupt seien viele Worte irgendwie barock, unnötig und überdies ganz schlechter Stil. Minimal ist „IN“, man soll viel mit wenig zu beschreiben wissen und den Leser bitte nicht mit pittoreskem Beiwerk, sozusagen „Wortstuck“ den Weg zum Gehalt der Worte verbauen, so wie in katholischen Kirchen die überbordende Pracht der Innenausstattung oft den sakralen Charakter des Gebäudes mit Zuckerguss verkleistert. Womit wir wieder beim Barock wären…
Doch wie beginnt man eine Geschichte? Wirft man den Leser mitten hinein, lässt ihn erst mal im Unklaren über Zeit, Ort, Motive der Protagonisten, usw.? Beschreibt man groß und breit eine Szenerie, oder bleibt man beim hippen Minimalismus und lässt die Orte durch vage hingeworfene Bilder im Geiste des Konsumenten entstehen? Man trifft all das und noch viel mehr in den Veröffentlichungen unserer Zeit; und auch in denen vergangener Zeiten. Denn so sehr wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt auf den verschiedensten Ebenen auch unsere Leben verändert haben mag, so gern wir uns – leider – von den Wundern unserer Zeit blenden lassen, so aktuell bleiben alte Fragen, allerdings in neuem Gewand.
Das eben hingeworfene soll mitnichten bedeuten, dass man auf die alten Fragen auch immer die alten Antworten geben soll; diesem Irrglauben habe ich bereits oft Absage erteilt. Weil das Transponieren alter Fragen in die neue Zeit auch neue Fragen aufwirft. Unsere Sexualmoral zum Beispiel ist heute eine Andere, als sie das noch vor 50 oder 100 Jahren war, allen Einwürfen der katholischen Kirche zum Trotz. Diese Aussage beinhaltet übrigens keine Wertung. Ich bin nur der Ansicht, dass niemand das Recht hat, über einen sehr intimen Aspekt meines Daseins zu urteilen oder zu bestimmen; zudem finde ich, dass etwas so persönliches wie die eigene Sexualität nicht in der Öffentlichkeit breit getreten werden sollte. Wenn jemand die Entscheidung trifft, dies dennoch zu tun, so ist dies sein Bier; ich rate allerdings entschieden davon ab.
Solche Feststellungen könnten den Schluss zulassen, dass Schreiben, oder allgemeiner gesprochen das Geschichtenerzählen stets einem Zweck dient, einen tieferen Sinn in sich trägt. Wer allerdings nun überall interpretieren und nach diesem Sinn suchen möchte, könnte vielleicht nicht allzu selten enttäuscht werden. Weil sich einerseits viele Autoren überhaupt nicht die Mühe machen, ihren Geschichten einen solchen sinnhaften Subtext mitzugeben – manchmal aber auch einen höchst fragwürdigen – andererseits ein möglicherweise enthaltene Bedeutung auch oft fehlinterpretiert wird. In beiden Fällen resultiert das in der Zuschreibung eines sinnlosen Bedeutungsüberschusses, der so nicht intendiert war. Zu diesem Phänomen kann man namhafte Autoren befragen.
Eben das Ringen mit der Bedeutung des Gesagten oder Geschriebenen macht das Problem mit dem Anfang noch komplizierter. Wenn ich mir wünsche, dass die Leute etwas Bestimmtes zwischen den Zeilen lesen sollen, muss ich mir wesentlich mehr Mühe mit der Konzeption geben. Beim längeren Text, wie etwa einem Essay, einer Kurzgeschichte oder einem Buch ist das zwar zusätzliche Arbeit, doch als Autor hat man ja – mehr oder weniger, der Lektor hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden – die volle Kontrolle über alle Aspekte einer Geschichte. Aber genau das ist auch ein Fluch, denn mit voller Kontrolle kommt auch volle Verantwortung. Und dass ein paar achtlos dahin geworfene Worte große Probleme machen können, dürften zumindest Leute, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen, schon des Öfteren erlebt haben. Ratzfatz wird wieder eine mediale Sau durchs digitale Dorf getrieben.
Ich gebe hier bestimmt keine Ratschläge, wie man einen Text zu beginnen hätte; weder bin ich dazu als Autor gut genug, noch gibt es überhaupt ein Patentrezept. Man muss nur wissen, dass eine gute Geschichte, wie auch ein guter Essay ihren Anfang selbst erzählen, so dass ich ihn nur noch wahrzunehmen und niederzuschreiben brauche…
Etwas ganz anderes aber passiert, wenn ich nicht der alleinige Urheber einer Geschichte bin, wie etwa am Spieltisch bei Rollenspielers daheim. Da zum Erzählen neben dem eigentlichen kreativen Akt aber auch noch ein ganz wichtiger Aspekt in Gestalt des Urheberrechtes an einer Geschichte hinzutritt, gibt’s dazu die Tage noch ein paar Gedanken, bevor ich mich endlich dem kollaborativen Erzählen widme. Man hört/liest sich…