Wer braucht denn heute noch den Papst?

Ein Anachronismus. Aus der Zeit gefallen, überkommen, versteinert im Zinober der ureigenen Rituale, nicht Reformfähig oder Reformwillig, gestrig in den Ansichten und in keinster Weise politisch, selbst da nicht, wo viele es sich wünschen würden. Das Bild, welches viele Menschen heute von der katholischen Kirche haben, ist wenig schmeichelhaft und in mancherlei Hinsicht vermutlich – leider – gar nicht so falsch. Genau deswegen ist es aber so wichtig, sich einmal kurz ein paar Gedanken darüber zu machen, ob diese Umstände die Institution katholische Kirche en complet entwerten, oder ob nicht doch manches, auch wenn dies auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag, vielleicht irgendwie einen Sinn hat.

Es ist oft so, dass man sich ein schnelles Urteil erlaubt, basta, zack und weg, ohne sich die Dinge genau anzuschauen, ohne sich zu fragen, was einen eigentlich dazu gebracht hat, genau das zu denken und nicht etwa irgendwas anderes. Erfahrung aus erster Hand, Erfahrungen aus zweiter, dritter oder vierter Hand, also mit anderen Worten Dummgebabbel? Wie seriös sind die Quellen, auf welche man sich berufen kann, wie breit die empirische Basis? War es nur ein singuläres Ereignis, dass einen zu einer Meinung geführt hat, oder durfte bzw. konnte man mehr Erfahrung sammeln? Die Komplexität der eigenen Informationen, vielleicht vernetzt mit anderen Wissensgebieten – das, was der Volksmund gerne den Blick über den Tellerrand nennt – ist nicht unbedingt kausal für ein realistischeres Urteil, aber sie macht es zumindest wahrscheinlicher.

Wenn wir den Blick nun wieder zurück schweifen lassen zur Eingangs erwähnten Institution, was kommt einem da zuallererst in den Sinn? Die Bilder eines müden alten Mannes, der in recht spektakulärer Weise seinen Rücktritt von einem der prominentesten Ämter der Welt verkündet hat. Skandalöse Enthüllungen über das ausschweifende, missbräuchliche Verhalten so mancher gebildeter Männer, denen wir eigentlich das Etikett eines Behüters, eines Helfers, eines Seelsorgers geben wollen, da sie Kraft Amtes die Nächstenliebe im altruistischen Sinne für sich gebucht haben müssten? Beeindruckende Bauten, die bis heute den Geist der Geschichte atmen? Den kleinen Abzug auf unserer Steuererklärung? Die eigene Hochzeit? Was kommt da alles zusammen, was bedeutet es, wenn es denn überhaupt noch eine Bedeutung hat und wie gehen wir mit der daraus erwachsenden Ambivalenz um? Mit dieser Mischung aus so vielen gegensätzlichen Bildern und Symbolen, die mehr verwirren, als sie Klarheit zu schaffen vermögen…

Sicherlich kann man nicht behaupten, dass jene, welche üblicherweise die Entscheidungen über die Wege der Kirche zu treffen haben sonderlich jung, sonderlich modern oder irgendwie säkular orientiert wären, wobei letzteres für sich betrachtet auch als Markenkennzeichen verstanden werden könnte. Von Kirche erwartet man gemeinhin, evoziert von den vorhin beschworenen Bildern, ein würdevolles Verhalten, eine Orientierung an tradierten Werten, so etwas wie eine Insel der Ruhe in einem Ozean aus digital beschleunigtem, hohlem Geplapper, welches leider auch unsere Informationsmedien heutzutage nur allzu oft dominiert.

Doch bleibt, auch wenn man sich darauf einlassen möchte, seine individuellen Betrachtungsweisen durch eine bewusste Reflexion an einem sehr alten Spiegel zu entschleunigen der Umstand bestehen, dass zwischen den Kurienkardinälen und der weitaus größten Zahl ihrer Schäfchen ein nicht unerheblicher Altersunterschied besteht, der den Verdacht eines Generationenkonfliktes aufkommen lassen könnte. Darüber hinaus wirft eine sich verändernde Welt, mithin eine sich globalisierende, mit all den dazu gehörenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen Fragen auf; neue Fragen, auf welche die alte Antworten und Denkmuster vielleicht nicht mehr wirklich passen. Auch wenn ich durchaus davon überzeugt bin, dass in der gesammelten Erkenntnis älterer Epochen so manch Hilfreiches liegt, das auch heute noch Probleme zu lösen helfen könnte. Allerdings ist es dazu notwendig, das Alte mit neuen Augen zu betrachten. Und dazu taugen die alten Herren in Soutane meist nicht wirklich.

Und hier liegt, wenngleich ich heute nicht aufgebrochen bin, um Vatikanbashing zu betreiben, das größte Problem. Die der katholischen Kirche zu Grunde liegende Hierarchie, welche in Punkto Strukturkonservierung unglaublich effizient ist, macht es notwendig, sich lange hochzudienen bevor man an eine einigermaßen einflussreiche Position gelangen kann. Das ist ein wenig wie der – hier um der Wirkung willen stereotyp beschriebene – Lebensweg des Parteisoldaten, der auf der Durchmessung zumeist notwendigerweise Kontur gegen Compliance tauscht.

Will heißen, ist man oben, will man nix mehr ändern, weil man gelernt hat, das Veränderung u.U. Privilegien beschneidet, Strukturen zuungunsten von Planungssicherheit beeinflusst und somit oft auch Machtverteilungen verändert. Wer aber erst einmal Macht erlangt hat, behält sie auch ganz gerne. Und wer sich durch eine so komplexe Struktur wie die katholische Kirche hindurch gearbeitet hat, ihre Geheimnisse und Rituale kennen und schätzen gelernt hat, der wird wenig daran interessiert sein, all das zu gefährden.

Auch wenn sich die katholische Kirche gerne apolitisch gibt, haben Indiskretionen der Vergangenheit gezeigt, dass es sehr wohl Verflechtungen zwischen sakral und säkulär gab und wohl auch noch gibt, die durchaus die Wahrnehmung politischer und wirtschaftlicher Interessen beinhalten – von irgendwas muss die Kirche als Institution ja auch leben, nicht wahr? Doch auch bei Betrachtung all dieser strukturellen Probleme und historisch gewachsenen Widersprüchlichkeiten muss man anerkennen, dass die auf geniale Art institutionalisierte ideelle Reichhaltigkeit und Reichweite bis heute beachtlich sind.

Ich würde es als Übertreibung bezeichnen, Kirche heute immer noch als sinnstiftend anzusehen. Das mag im Mittelalter gegolten haben, doch seit dem Ende der vormodernen Zeit haben sich die Dinge ein wenig gewandelt; der Mensch hat herausgefunden, dass das Individuum an und für sich nicht nur ein Recht auf Subsistenz sondern auch auf sein wahrgenommen werden, seine eigene Meinung und die Vertretung seiner Interessen gegenüber anderen hat, ohne dass dies dem Lehnsherren gefallen muss. Und mit den Rechten und Interessen des Individuums tut sich Mutter Kirche immer noch schwer – andererseits gibt es ja auch eine Menge moderner säkularer Staaten, welche die Menschenrechte tagtäglich mit Füßen treten, bzw. mit Knüppeln malträtieren. Aber darüber reden wir lieber ein anderes Mal. Denn allen offensichtlichen Defiziten zum Trotz wirkt die katholische Kirche für viele bis heute als eine Quelle der Inspiration, der Motivation und eines Ausgleichs, der vielerorts weltlich nicht zu bekommen ist.

Bei aller Zwiespältigkeit, welche mich ansonsten beim Betrachten dieses wahrhaft altmodisch strukturierten Konglomerats von manchmal allzu bemüht wirkender gläubiger Demut und Gelehrsamkeit überkommt, muss ich respektieren dass der Glaube, den diese Institution spendet, offensichtlich die Kraft hat, Elend zu lindern, Hoffnung zu geben und das auf eine Art und Weise wie es keine moderne, weltliche Organisation vermag. Ich persönlich würde mir zwar wünschen, dass man im Vatikan das eine oder andere zu überdenken beginnt, aber sich dieser Faszination zu entziehen, gelingt auch mir nicht vollkommen. Vielleicht doch ein guter Grund sich ab und an mit Anachronismen zu arrangieren…?

Nur so als Randbemerkung: der Umstand, dass ich selbst für meinen persönlichen Glauben an Gott kein irgendwie institutionalisiertes Gewand – also eine Kirche im Sinne der Organisation wie auch als Gebäude – brauche, steht aus meiner Sicht kaum im Widerspruch zum Gesagten, muss doch jeder seinen spirituellen Weg selbst finden. Und wenn der für viele immer noch unbedingt durch das Portal eines Sakralbaus führen muss, dann ist das halt so. Ich erwarte nur, dass man sowohl meinen Glauben als auch den des Kirchgängers in gleichem Maße respektiert. Und dabei ist die katholische Kirche leider auch noch ordentlich hintendran. Aber vielleicht kann Franziskus es ja besser…

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