Unkreativer Samstagmorgen…

An manchen Tagen fange ich einfach mit dem Schreiben an, und schaue mal, wo mich der Flow hinträgt. Heute ist das nicht anders. Oft läuft nebenbei leise irgendwelche, tendenziell chillige Musik; wobei die Kategorisierung „chillig“ ja sehr subjektiv ist. Im Moment benutze ich „Stranger Synths“ auf YouTube. Wer hier eine Namensverwandschaft zu einer recht bekannten Netflix-Serie zu erkennen glaubt – STRIKE! Bin halt ein Kind der 80er. Und ein großer Popculture-Nerd. Ist gerade von Vorteil, denn ich habe mich die Tage durch ein tiefes Eintauchen in mein wohl wichtigstes Hobby von Sorgen und Problemen abgelenkt, die eventuell durch den Umstand ausgelöst sein könnten, dass mein Vater am Montag 88 geworden wäre. An solchen Punkten denkt man immer nach. Nach gängigen Taxonomien hätte ich damit wohl eher eine dysfunktionale Coping-Strategie angewendet. Nun ja, drauf geschissen… Das neue Jahr hat – zumindest beruflich – angefangen, wie das alte geendet hat: viel Arbeit, viele Anforderungen, und nicht immer ausreichende Ressourcen. Ich laufe mal wieder auf Messers Schneide – ABER, ich finde dennoch immer wieder und immer noch meinen Weg. Und ich stelle fest, dass mir das Ablegen schlechter Angewohnheiten langsam aber sicher etwas besser gelingt. Mehr Zug fahren, weniger Bier trinken, weniger Prokrastinieren und mehr gerissen kriegen. Bleibt nur die Frage, wann das mit dem Schaffen wieder zu viel wird? Auch darauf wird es bald eine Antwort geben. Aber genug des Vorgeplänkels!

Ich hatte eine kurze Konversation mit meiner Frau, in welcher sie über einen Forumseintrag erzählte: Eine andere Künstlerin berichtete davon, dass ihre Freunde ihr absprächen, „wirklich zu malen“, weil sie Teile ihre Bilder von Vorlagen abpausen würde. Was mich zu der Aussage verleitete, dass man ja alleine in die technischen Skills des Malens und Zeichnens erstmal eine Menge Zeit investieren müsse. Selbst bloßes „Kopieren“ erfordert ja schon gewisse Fertigkeiten. Anlass für die Unterhaltung war übrigens der Umstand, dass die beste Ehefrau von allen gerade – als Geschenk – einen Manga-artigen Charakter aus einem Videospiel mit Acryl auf einen Keilrahmen zaubert. Ich könnte das nicht; und ich habe sie schon öfter bei solchen Aktionen beobachtet. Ich bin zwar ein sehr visueller Mensch und übe schon eine Weile das Fotografieren; aber Malen ging immer an mir vorbei. Jedenfalls war ich gleich wieder drin in einer Denkspirale über das Thema Recyclingkreativität. Ich hatte dazu schon vor Jahren mal was geschrieben.

Das Künstler ältere Werke „re-mixen“ ist – mit Blick auf die Musik – ein alter Hut. Die Kulturschaffenden sind dabei immer auf dem schmalen Grat zwischen Schaffenskraft und Plagiarismus unterwegs. Nicht selten fallen sie dabei runter. Nichtsdestotrotz finde ich es frech, jemanden dafür abzuqualifizieren, dass er oder sie re-mixt. Insbesondere, wenn man nicht im Ansatz über die gleichen Skills verfügt, die dieses „Plagiieren“ ermöglichten. Bei wissenschaftlichen Arbeiten ist es einfach nur schäbig, denn dazu braucht man heutzutage nur noch <copy> & <paste>. In der Kunst besteht natürlich die Gefahr, dass die Recyclingkreativität zu <copy> & <paste> degeneriert. Aber da ist kein Kausalzusammenhang. Ich muss hier immer an meinen Musikunterricht in der gymnasialen Oberstufe denken. Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ (mein Lieblingsbild bis heute ist der „Gnomus“) – und was Isao Tomita ziemlich genau 100 Jahre später mit einem (1975 noch sehr neuen) Sythesizer daraus gemacht hat. Damals wusste ich die Lektion noch nicht zu schätzen. Heute umso mehr! Das war Recycling-Kreativität, denn das Originalwerk hat inspiriert, wurde auch zu Teilen kopiert, aber nie plagiiert. [An dieser Stelle wurde das Schreiben eine Weile unterbrochen und anstatt „Stranger Synths“ Tomitas „Pictures at an exhibition“ gelauscht. Doch diese Musik forderte mich kognitiv zu sehr, die konnte ich nicht nebenbei hören…]

Ich habe irgendwo gelesen, dass Recyclingkreativität oder „recreativity“ auch zum Problem für den Künstler selbst werden kann, wenn man sich in einer Feedbackschleife fängt, weil man immer wieder sein eigenes Werk zitiert. Und dadurch vielleicht andere Einflüsse unterbindet, die einen weiter bringen könnten. Ich denke nicht, dass Selbstplagiat ein Vergehen ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Lern- bzw. Übungseffekt bei redundantem Selbstzitat irgendwann zum Erliegen kommt; man wird zunächst nicht mehr besser, dann langsam uninteressant und in der Folge irgendwann irrelevant. Das gilt übrigens nicht nur für Künstler, sondern auch für Lehrer. Vielleicht ist es das, was mich manchmal so kribbelig macht? Dieses Gefühl, nichts Neues, Originelles, Relevantes mehr beizutragen, weil meine Inspiration träge und selbstgefällig geworden ist? Das Problem dabei ist, dass Inspiration und Kreativität Muskeln sind, die regelmäßig trainiert werden MÜSSEN. Steckst du aber in der Tretmühle des LIEFERN-MÜSSENS fest, ist dein Kopf nicht frei für Originalität. Denn auch der originellste Geist braucht immer wieder neuen, externen Input, um selbst Neues schaffen zu können. Kunst und auch Lehre waren schon immer Zitat, Re-Mix, Collage, Interpretation, etc. Deshalb ist der oben beschriebene Vorwurf „nicht wirklich zu malen“, auch substanzlos. So lange man sich bemüht, die Vorlage als Inspiration zu betrachten…

Wenn ich auf meine Schreibe und mein Storytelling im Pen’n’Paper schaue, dann ist vieles davon auf den ersten Blick Plagiat. Weil ich natürlich über Jahrzehnte eine Unzahl an Science-Fiction-, Fantasy- und Horror-Romanen gelesen habe: und in der Folge manche Motive von stärkeren Erzählern entlehnt habe, als ich einer bin. Andererseits sind manche Themen, Erzählfiguren und Archetypen mittlerweile universal geworden. Also, was soll’s? Ich habe mich im Laufe dieses Textes mal wieder selbst zitiert; bin ich also noch kreativ? Mal schauen, was mir dazu einfällt. Einstweilen ein schönes Wochenende.

Auch als Podcast…

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