Music was my first love…

Um es gleich vorweg zu nehmen, es geht hier NICHT um John Miles‘ Hitsong von 1976, den Alan Parsons meisterlich orchestriert hat. Obwohl… irgendwie doch. Vielleicht, weil selbst diese zunächst eher simpel erscheinende erste Textzeile, diese Liebeserklärung an Musik als solche schon Kontroversen stiften kann. Denn es gibt ja dieses alte, ungeschriebene Gesetz, dass man über Geschmack nicht streiten soll; was eigentlich auch für Musik gilt. Und für Fußballclubs. Oder Biersorten. Kleidungsstile…? Man sieht schon, worauf das hinausläuft: wenn man halt seine Dogmen ordentlich pflegen möchte, ist des Nachbarn Geschmack schnell ein ebenso willkommenes Feindbild, wie dessen Parteizugehörigkeit. Aber eigentlich geht es auch nicht um Dogmen. Darüber musste ich mich eh schon zu oft aufregen. Sondern um die Frage, ab wann etwas zur Hochkultur gehört, und ab wann wir doch eher von Pop-Kultur sprechen können…, wollen…, sollen…? Und was Pop-Kultur überhaupt ist? Der heutigen sozialwissenschaftlichen Definition nach umfasst die Popkultur massengesellschaftliche Alltagspraktiken und daraus resultierende Kulturartefakte (also Produkte der Kultur) seit dem Beginn des 20 Jahrhunderst, wie etwa Massenmedien, Trivilalliteratur und Popmusik. Okay, ganz schön weites Feld. Hochkultur bezeichnet im Gegensatz dazu von den meinungsbestimmenden Eliten als besonders wertvoll erachtete Kulturleistungen! Ja, da brat mir doch einer einen Storch. Meinungsbestimmende Eliten? Sind wir jetzt noch ein säkularer, demokratischer Rechtsstaat, oder hatte Orwell doch recht mit dem Satz „Manche sind gleicher!“? Wann immer ich irgendwo derartigen Elitismus wahrnehme, kriege ich mittlerweile die Krätze!

„Nur im Studierzimmer wird wahrhaft wertvolles gelesen…“ – MUHAHAHAHAHAHA…
"Einen besonderen Platz in meinem Herzen genießen Artikel, die einen sogenannten Kanon beschören – „Diese 10 Klassiker der Weltliteratur…“. Weil unter solcherlei Äußerungs-Überschrift meist nur Büchern alter weißer Männer auftauchen, was jetzt den Terminus „Weltliteratur“, der ja sinngemäß Bücher aus allen Zeiten, allen Kulturen, allen Ethnien und Religionen, allen sozialen Milieus und von allen Geschlechtern einschließen würde irgendwie ein wenig ad absurdum führt. Könnte sein, dass das an der sogenannten Deutungshoheit alter weißer Männer und gelegentlich auch Frauen liegt; die Heidenreich ist ja auch so’n Vogel, den man besser schon lange in eine andere Voliére verlegt hätte."
[Zitat aus älterem meiner Posts]

Ich mache an dieser Stelle mal einen Punkt, den sicher nicht jeder nachvollziehen kann oder will, der mir aber sehr wichtig ist: wenn Kultur ein Prozess ist, also etwas, dass dauernd in Bewegung ist, sich zyklisch erneuert und immer wieder andere, wundersame Dinge hervorbringt – was sich hervorragend beobachten lässt, wenn man die musikalischen, cinematischen und literarischen Trends der letzten 30 Jahre mal ins Visier nimmt – stellt sich die Frage, wer sich in 100 Jahren das Recht herausnehmen wird, zu sagen: „DAS da war Kunst, aber DAS hier kann weg!“. Nichts anderes tun selbst ernannte Eliten, wenn sie etwas als Teil der Hochkultur definieren. Denn sie tun dies nur aus einem Grund – Distinktion! Es ist das inhärente Bedürfnis höherer Schichten, sich von der Plebs abheben zu wollen. Und derartiges Verhalten ist in seinem tiefsten Kern asozial, egoistisch, unsolidarisch und damit zutiefst antidmokratisch! Es geht also nicht NUR um Musikgeschmack, es geht immer auch um die Frage, wer sich von wem aus welchen Motiven unterscheiden möchte. Ähnliches Verhalten lässt sich bei den Gangs im urbanen Raum der USA beobachten, die bestimmte Musik-Genres oder sogar spezifische Bands als Erkennungszeichen nutzen (eine kurze Recherche zu „gangs and the use of music“ auf Google verrät hierzu mehr). Nun sind die meisten Mitglieder der sogenannten Eliten keine Gangster im herkömmlichen Sinne, sondern nur darauf bedacht, Kulturartefakte als funktionale Zeichen zu benutzen: „Schau her, ich spiele Mozart am Klavier: ich gehöre dazu – und du nicht!“ Und sicher tue ich dem einen oder anderen mit meiner Analyse unrecht; was die Analyse als solche jedoch nicht entwertet.

Die oft beschrieene Dichotomie Hochkultur vs. Populärkultur ist ganz einfach Bullshit! In jeder Zeit emergieren die unterschiedlichsten Kulturtechniken und Kulturpropdukte. Dass sich mit dem technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt des 20. und 21 Jhdts. die Ausdrucksformen verändert, die Distributionstechniken diversifiziert und der Zugang zum Publishing demokratisiert haben, steht außer Frage – aber immer noch wird Kultur von Menschen für Menschen aus den gleichen Motiven heraus produziert, wie eh und je: aus dem Wunsch heraus, eigene Ideen verbreiten zu können, dem Wunsch wahrgenommen und geehrt zu werden, und schließlich dem Wunsch, Geld damit verdienen zu können! Und was unterscheidet nun die Hoch- von der Populärkultur? Das Urteil von Kritikern, die sich selbst oft genug zur Elite zählen? Das Tomato-Meter auf Rotten Tomatoes oder irgendeine andere Rating-Plattform? Der jeweils amtierende Kulturminister? Das Volk? Sucht es euch aus, meine lieben Menschen. Denn schlussendlich liegt die Entscheidung darüber, welche Kulturartefakte wertvoll sind, und welche eher nicht… TADAH… bei euch selbst!

Das Internet hat so manche Schwachstelle, wenn es um die Demokratie als solche geht, es erzeugt Meinungsblasen und gesellschaftliche Probleme zuhauf – aber es ermächtigt jeden nicht vollkommen verblödeten Mitmenschoid dazu, sich seine eigene Meinung bilden zu können. Dazu sind nur ein wenig gesunde Skepsis und etwas Bildung notwendig. Und Bildung heißt hier explizit nicht, dass man „diese 10 Klassiker der Weltliteratur gelesen haben sollte“; sondern dass man über die Kompetenz verfügt, Dinge kritisch begutachten, beurteilen, einordnen und miteinander in Bezug setzen zu können. Ob einem „Ulysses“ von James Joyce dabei hilft, muss jeder für sich selbst herausfinden (für mich hat der 16.06.1904 übrigens keine besondere Bedeutung…). Und was hat das alles jetzt mit dem Song aus dem Titel zu tun? Alles und Nichts zugleich! Für manche ist dieser Song ein Meisterwerk, dessen Produktionsdesign und Arrangement einen Meilenstein darstellen. Für andere ist es einfach nur ein Song unter vielen. Und wieder andere werden den Pomp und das Übermaß von einfach allem (insbesondere Pathos) in dem Stück eher mit Widerwillen erleben. Und damit unterscheidet er sich kein Jota von Beethovens 9. Sinfonie, der Ode an die Freude! Hochkultur? Drauf geschissen! Kunst entsteht zu allen Zeiten, wenn jemand mit seiner Kreativität etwas anzustellen weiß. Manche mehr, manche weniger. Und damit hat sich’s. Schöne Woche…

Auch als Podcast…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert